Berlin. Die Bundesrechnungshof rügt Mittelverschwendung in Milliardenhöhe. Die Kontrolleure warnen, die „Schwarze Null“ sei langfristig in Gefahr.

Internetdienste, die keine Umsatzsteuer zahlen, doppelt ausgezahltes Kindergeld oder ungenutzte Softwarelizenzen in Behörden – die schwarze Liste der Rechnungsprüfer ist lang. Dabei wird der Staat in den kommenden Jahren auf jeden Euro angewiesen sein: „Ausgeglichene Einnahmen und Ausgaben allein machen den Bundeshaushalt nicht zukunftssicher“, sagte Rechnungshof-Präsident Kay Scheller am Dienstag in Berlin.

Die „Schwarze Null“ von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) steht. Doch wie lange noch? Die Kontrolleure des Bundesrechnungshofs warnen vor massiven Risiken für den deutschen Staatshaushalt: Die alternde Bevölkerung, der Investitionsstau bei Straßen und Schienen, aber auch unkalkulierbare Belastungen durch die Flüchtlingsströme und die europäische Schuldenkrise könnten den derzeit robusten deutschen Haushalt schnell in Schieflage bringen. Der Appell der obersten Rechnungsprüfer: Stärkere Sparanstrengungen, weniger Verschwendung, Schlupflöcher stopfen. Bei 1400 Prüfungen im Jahr 2014 stießen die Finanzexperten auf unnötige Verluste in Milliardenhöhe.

Aktuell ist die Lage noch mehr als gut: Die Zinsen sind niedrig, die Rekordbeschäftigung hält die Ausgaben für den Arbeitsmarkt auf dem tiefsten Stand seit zehn Jahren, die Steuereinnahmen wachsen stetig. Doch „diese günstigen Rahmenbedingungen dürfen nicht über die finanzwirtschaftlichen Herausforderungen der kommenden Jahre hinwegtäuschen“, mahnen die Experten. Die finanziellen Spielräume würden allein durch die demographische Entwicklung in den kommenden Jahren enger – wie wichtig aber Spielräume sind, zeige die aktuelle Herausforderung durch die Flüchtlinge. „Welche Auswirkungen diese auf den Bundeshaushalt insgesamt haben wird, kann derzeit nur schwer eingeschätzt werden“, räumen die Rechnungsprüfer in ihrem Bericht ein. Finanzminister Schäuble peilt bislang trotz der Mehrausgaben für die Flüchtlinge nach 2014 und 2015 auch für 2016 die „Schwarze Null“ und damit einen Haushalt ohne neue Schulden an.

Staat braucht zusätzliche Milliarden für Renten, Straßen und Schienen

Große Sorge bereiten den Prüfern die Milliardenkosten durch die demografische Entwicklung: Allein die Zuschüsse des Bundes an die gesetzliche Rentenkasse sollen bis zum Jahr 2019 von derzeit 84 auf fast 98 Milliarden Euro klettern. Auch bei der Instandsetzung und beim Ausbau von Straßen und Schienen werde das eingeplante Geld nicht reichen: Für Bundesfernstraßen seien weit mehr Investitionen notwendig als bisher geplant – ihr Zustand sei „besorgniserregend“. Das von der Bundesregierung anstrebte Niveau beim Erhalt, das sich am Jahr 2010 orientiere, sei zu wenig ambitioniert, monierte Scheller: „Es könnte sich negativ auf Wohlstand und Wirtschaftswachstum in Deutschland auswirken.“ Grundsätzliche Kritik übten die Finanzkontrolleure an wachsenden Zugeständnissen des Bundes an die Länder. Der Bund sage immer mehr Mittel für klassische Aufgaben der Länder und Gemeinden zu.

Steuerschlupflöcher für Internethändler

Viel Geld verliert der Bund auch nach wie vor im Internet: In der digitalen Steueroase gingen dem Fiskus vor allem bei Dienstleistungen durch laxe Kontrollen und mangelnde Absprachen zwischen Bund und Ländern erhebliche Umsatzsteuereinnahmen verloren: Verkaufen ausländische Unternehmen etwa Musik, Videos, E-Books oder Software an private Abnehmer in Deutschland, fällt in Deutschland Umsatzsteuer an. „Bund und Länder sind aber ohne Konzept, wie sie diesen Anbieterkreis systematisch steuerlich kontrollieren können“, heißt es. Für ausländische Internetanbieter, die ihre Umsätze nicht erklären, sei das Entdeckungsrisiko sehr gering.

Lücken im Haushalt reißt auch doppelt ausgezahltes Kindergeld: Beantragen Eltern Kindergeld bei mehreren Familienkassen, fällt das bislang oft mangels Datenabgleich zwischen den Familienkassen nicht auf. Erst 2016 soll ein Kontrollverfahren starten. Allerdings nur bei Familienkassen der Bundesagentur für Arbeit, nicht bei denen des öffentlichen Dienstes. Die Kontrolle, mahnen die Rechnungsprüfer, sollte unverzüglich bei allen Familienkassen eingesetzt werden.

Doppelt ausgezahltes Kindergeld, ungenutzte Software

Kritik übten die Rechnungsprüfer auch am Bundesinstitut für Risikobewertung – es müsse seine IT-Systeme besser planen. Die Einführung einer Software habe fast dreimal so lange gedauert als geplant, die Kosten hätten sich mit 1,3 Millionen Euro fast verdreifacht. Für eine Softwareerweiterung seien 500 Lizenzen gekauft worden, aber vier Jahre lang sei nur eine genutzt worden.

Gerügt wurde auch das Bundesministerium für Landwirtschaft und Verbraucher: Es richtet seit 1962 alle zwei Jahre ein vierzehntägiges Seminar für rund 70 Teilnehmer aus, das immer in derselben Tagungsstätte stattfindet – Kostenpunkt rund 200.000 Euro. Öffentlich ausgeschrieben wird die Veranstaltung nicht. Der Bundesrechnungshof sieht darin einen Verstoß gegen die Vergabevorschriften sowie den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit.