Berlin. Am Freitag soll im Bundestag die zweite Stufe der Pflegereform besiegelt werden. Sie soll unter anderem pflegende Angehörige absichern.

Woran erkennt man ein gutes Pflegeheim? Was macht einen verlässlichen Pflegedienst aus? Viele Pflegepatienten und ihre Angehörigen wünschen sich solide Antworten – doch die Bundesregierung lässt sich Zeit: Erst 2018 soll es ein zuverlässiges Bewertungssystem für die stationäre Pflege geben, 2019 sollen die ambulanten Dienste folgen. Der Pflege-Tüv, das bisherige Bewertungssystem, ist gescheitert: Am Freitag soll das Aus für die umstrittenen Pflegenoten mit der zweiten Stufe der Pflegereform im Bundestag besiegelt werden. Sie bringt vor allem für Demenzkranke deutlich mehr Leistungen.

Endgültig abgeschafft wird der Pflege-Tüv jedoch auf Wunsch der SPD erst, wenn es ein neues System gibt. Mindestens drei Jahre lang dürfen die Heime noch mit den umstrittenen Noten werben. Zum Ärger der Kritiker: „Bis das neue System steht, kann ich den Bürgern nur empfehlen: Vergessen Sie den heutigen Pflege-Tüv!“, sagte der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), unserer Redaktion. „Um sich ein möglichst realistisches Bild von einem Heim zu machen, sollten sich Betroffene selbst die Einrichtungen vor Ort anschauen und mit den Menschen dort reden.“

Laumann sieht Pflege-Tüv als „Irreführung der Bürger“

Wie viele Experten sieht Laumann im Pflege-Tüv eine „Irreführung der Bürger“ und mahnt ein zuverlässigeres System für die Qualitätsbewertung an: Künftig dürfe es bei der Bewertung eines Heims nicht mehr möglich sein, „dass schwere Pflegefehler bei der Medikamentenausgabe durch eine schön gedruckte Speisekarte ausgeglichen werden können“.

Das neue System soll diesmal von einem Qualitätsausschuss mit unabhängigen Beratern erarbeitet werden. Damit soll verhindert werden, dass sich Heimbetreiber und Kassen erneut auf ein Modell einigen, das so schwammig bleibt, dass die Betroffenen nichts davon haben. Denn: Der Pflege-Tüv mit seinen Schulnoten ist nicht gescheitert, weil man Pflege nicht in Noten fassen könnte. Er ist gescheitert, weil er Wichtiges und Unwichtiges zu aussagelosen Spitzennoten zusammenrührt.

Klar ist jetzt schon: Es wird schwer, ein Prüfverfahren zu finden, das schlechte Heime auch tatsächlich schlecht bewertet. Ein Ergebnis soll es in jedem Fall erst nach der nächsten Bundestagswahl geben: „Der Pflege-Tüv in seiner jetzigen Form hat ein klares Verfallsdatum. Ab 2018 wird es in der stationären Pflege und ab 2019 im ambulanten Bereich ein völlig neues Bewertungssystem geben“, so Laumann.

Mehr Leistungen für Demenzkranke

Der Startschuss für das neue Bewertungssystem ist Teil der großen Pflegereform der Bundesregierung. Der erste Teil mit Verbesserungen in Heimen und bei der häuslichen Pflege gilt bereits seit Anfang des Jahres. Jetzt folgt der zweite Schritt: Ab 2017 sollen pflegebedürftige Menschen nicht mehr in drei Pflegestufen, sondern in fünf Pflegegrade eingestuft werden. Vor allem Demenzkranke bekommen im Zuge dessen mehr Leistungen. Zudem soll der Eigenanteil für die Pflege bei Pflegeheimbewohnern nicht mehr bei jeder Höherstufung steigen, sondern bundesweit bei 580 Euro eingefroren werden. Außerdem werden pflegende Angehörige in der Renten- und Arbeitslosenversicherung besser abgesichert.

Um die Umstellung von drei Pflegestufen auf fünf Pflegegrade zu finanzieren, soll der Beitragssatz zur Pflegeversicherung vom 1. Januar 2017 an um 0,2 Prozentpunkte steigen – für den ersten Teil der Reform war der Beitrag bereits im Januar um 0,3 Prozentpunkte erhöht worden. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) rechnet damit, dass durch die Reform des Prüfsystems rund 500.000 Menschen erstmals Leistungen bekommen werden. Wer heute bereits pflegebedürftig ist, soll nicht schlechter gestellt werden: Um den Bestandschutz für die 2,7 Millionen Pflegebedürftigen zu gewährleisten, sind einmalig vier Milliarden Euro einkalkuliert.

Jedes Jahr fehlen 20.000 Pflegerinnen und Pfleger

Für Laumann sind die Pflegestärkungsgesetze der Bundesregierung die „bedeutendste Reform der Pflegeversicherung in ihrer 20-jährigen Geschichte“: Insgesamt stehen ab 2017 jährlich zusätzlich rund fünf Milliarden Euro mehr für die Pflege zur Verfügung. Der Etat steigt damit auf über 30 Milliarden Euro pro Jahr. „Für Demenzkranke ist das Gesetz geradezu ein Quantensprung“, sagte Laumann. „Minutenpflege und Defizitorientierung gehören der Vergangenheit an.“ Bei der Einstufung gewichten die Prüfer künftig sechs Aspekte: Mobilität (10 Prozent), Sprechen und Verstehen (15 Prozent), Selbstständigkeit beim Essen, Waschen und Anziehen (40 Prozent), Umgang mit Medikamenten oder Prothesen (20 Prozent) und schließlich die Fähigkeit, den Alltag zu gestalten und Kontakte zu pflegen (15 Prozent).

Kritiker der Reform warnen jedoch: Bessere Einstufung und mehr Geld bedeuten nicht automatisch mehr Qualität. Der Personalnotstand in der Pflege ist groß, die Bezahlung schlecht und die Erschöpfung immens. „Wir brauchen jedes Jahr ungefähr 20.000 Pflegefachkräfte mehr“, kalkuliert Laumann. Der Beruf müsse attraktiver werden. „Sonst werden wir in Zukunft nicht mehr genügend Menschen dafür finden.“