Berlin . Die Rückkehr zum Dublin-Verfahren sorgt für Turbulenzen: Merkel wusste nichts von dem Plan. De Maizière verteidigt die Entscheidung.

Die Ankündigung des Innenministeriums, das sogenannte Dublin-Verfahren wieder umzusetzen, erschüttert den Koalitionsfrieden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Flüchtlingskoordinator Peter Altmaier seien nicht über die Entscheidung informiert worden, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz am Mittwoch in Berlin. Diese Entscheidung sei in der Ressortverantwortung des Bundesinnenministeriums getroffen worden. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verteidigt derweil die Entscheidung.

Am Dienstag war der Vorstoß des Innenministeriums bekannt geworden: Demnach wollen die Behörden Flüchtlinge aus Syrien wieder in das EU-Land zurückschicken, in dem sie in die Europäische Union eingereist sind. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) prüft nun wieder in jedem Einzelfall alle Aspekte für einen sogenannten Selbsteintritt Deutschlands – also die Übernahme eines Flüchtlings ins nationale Verfahren. Ausnahme soll Griechenland sein. Die Bundesregierung hatte erst im August beschlossen, das sogenannte Dublin-Verfahren für Syrer vorübergehend auszusetzen.

De Maizière versteht die Aufregung nicht

Heftige Kritik schlägt Innenminister Thomas de Maizière auch aus der SPD entgegen. „Das ist eine Entscheidung, die nicht abgestimmt war, über die wir noch nicht einmal informiert waren“, sagte Christine Lambrecht, Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD.

De Maizière hat die Rückkehr zum Dublin-Verfahren für syrische Flüchtlingen hingegen verteidigt. Der Minister sagte am Mittwoch im Bundestag, er sehe „überhaupt keinen Grund zur Aufregung“. Deutschland habe das Dublin-Verfahren zu keinem Zeitpunkt rechtlich ausgesetzt. „Das sehen die Regelungen der Dublin-Verordnung auch gar nicht vor“, betonte de Maizière. Wegen der stark angestiegenen Flüchtlingszahlen habe das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge das Verfahren zwar für Syrer vorübergehend gestoppt, es im Oktober aber wieder eingeführt. „Wir verfolgen das Ziel, damit wieder zu geordneten Verfahren bei der Einreise zurückzukehren“, sagte de Maizière.

Eine Million Asylverfahren laut BAMF nicht entschieden

Während die österreichische Innenministerin den Schritt als „Rückkehr zu einer Kultur der Vernunft“ bezeichnet, ruft der Vorstoß hierzulande vor allem Unverständnis hervor. Das BAMF werde mit der Regelung völlig überfordert, kritisiert Christine Lambrecht. „Wer jetzt glaubt, wir kehren einfach mal zur Einzelfallprüfung zurück, der muss wissen, dass man damit das BAMF lahmlegt“, sagte sie. Es sei davon auszugehen, dass bis Ende dieses Jahres eine Million Asylverfahren nicht entschieden seien. Diese Zahl habe BAMF-Chef Frank-Jürgen Weise am Dienstag in der Fraktionssitzung der SPD genannt.

Auch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sowie die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Aydan Özoguz (SPD) warnten angesichts der Kehrtwende der Regierung vor einem immensen bürokratischen Aufwand für das Bundesamt.

Momentan sind beim BAMF etwa 660 Entscheider tätig. Sie werden voraussichtlich noch bis Ende des Jahres von 300 Mitarbeitern anderer Behörden unterstützt. Im Nachtragshaushalt 2015 wurden dem Bundesamt weitere 750 Stellen zugewiesen. Beobachter gehen allerdings davon aus, dass auch diese neuen Stellen bei weitem nicht ausreichen werden. Im sogenannten „Qualifizierungszentrum“ des BAMF in Nürnberg hat das Amt die Ausbildung für Entscheider beschleunigt. Vier Wochen Theorie, zwei Wochen Praxis dauert die Ausbildung insgesamt.

Hü und Hott aus dem Bundesinnenministerium

Ministerpräsidentin Dreyer kritisierte, dass sie in den vergangenen Wochen von immer neuen Vorstößen häufig nur über die Presse erfahre. „Aus dem Bundesinnenministerium werden wir mit einem ständigen Hü und Hott konfrontiert, und das macht die Lage nicht einfacher.“ Die SPD-Politikerin forderte mehr Verlässlichkeit in der Flüchtlingspolitik: „Wir brauchen für Deutschland einen Masterplan, in dem wir Vereinbarungen treffen, auf die wir uns alle verlassen können.“

All das sorgt für Irritationen in der Koalition. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Lambrecht, sieht die Schuld nicht bei ihrer Partei. „Chaostage“ und ein „Tohuwabohu“ bei CDU und CSU belasteten die Zusammenarbeit und das Vertrauen im schwarz-roten Bündnis: „Wir haben keine Koalitionskrise. Wir haben eine Unionskrise“, sagte sie.

Auch seitens der Grünen schlägt der CDU Kritik entgegen. Sie werfen der Bundesregierung „blankes Chaos in der Flüchtlingspolitik“ vor. Die Vorsitzende Simone Peter erklärte am Mittwoch in Berlin, das derzeitige Hin und Her schade Deutschland und den Asylbewerbern. „Es ist weder hinnehmbar, dass Syrern der Familiennachzug verweigert wird, noch dass sie nach dem Dublin-System zurückgewiesen werden sollen“, sagte Peter. „Der Versuch, das gescheiterte Dublin-Verfahren wiederzubeleben, ist inhumaner Irrsinn.“ (dpa/rtr/ls)