Nach dem Flugzeugabsturz in Ägypten mit 224 Toten, deutet einiges auf einen Anschlag hin. Doch ist die Gruppe IS dazu überhaupt fähig?

Im Rückblick waren sich viele Flugreisende einig. „Scharm el-Scheich ist das schlimmste Chaos, was ich bisher gesehen habe“, urteilte eine ehemalige Flugbegleiterin, die privat zum Badeurlaub hier war. Als „unzureichend“ qualifizieren US-Sicherheitsexperten die Kontrollen auf dem Ferienflughafen am Roten Meer. All das war bekannt über Scharm el-Scheichs Flughafen. Nun erhärtet sich der gravierende Verdacht: Terroristen des „Islamischen Staates“ sollen eine Bombe in den russischen Airbus geschmuggelt und das Flugzeug, das am Wochenende über dem Sinai abgestürzt war, in die Luft gesprengt haben.

Stimmt der Verdacht, wussten auch die Terroristen von den laxen Sicherheitskontrollen und nutzten das für ihren Anschlag. Alle 224 Menschen an Bord kamen ums Leben.

Nach neuen Erkenntnissen britischer und amerikanischer Geheimdienste wächst die Gewissheit. „Wir können nicht sicher sein, dass die Passagiermaschine durch eine Terroristen-Bombe zum Absturz gebracht wurde“, sagte der britische Premierminister David Cameron. „Aber es sieht zunehmend danach aus.“ Experten wie der ehemalige Scotland-Yard-Beamte Chris Hobbs erkennen an einem solchen Anschlag, wie auch Terroristen Strategien nutzen, die ursprünglich aus dem Drogenmilieu bekannt sind. Schmuggler hätten sich seit Jahrzehnten dieser als „rip on, rip off“ genannten Taktik bedient, selbst in gut gesicherten Flughäfen wie in Großbritannien. Hobbs erklärte in der „Daily Mail“, wie man einen Sprengsatz an Bord eines Flugzeugs bringen kann.

Es ist leicht, einen Sprengsatz an Bord zu schmuggeln

Dazu bräuchte es lediglich eines oder mehrerer Komplizen unter den Mitarbeitern des Flughafens in Scharm el-Scheich, da die Kontrollen für Personal wesentlich weniger streng als für Passagiere seien. Für korruptes Personal sei es leicht, Pakete mit dem Gepäck in einer Maschine zu verladen. Es sei nur eine Frage der Zeit gewesen, bevor sich Terroristen der Technik bedient haben.

Und Terrorexperten wie Peter Neumann vom renommierten Kings College in London halten den IS auf dem Sinai für fähig, solche Anschläge zu verüben. Die ägyptische Sinai-Halbinsel hat sich seit dem Sturz des Langzeit-Machthabers Husni Mubarak 2011 mehr und mehr zu einer Unruheregion entwickelt. Der IS hat sich bereits zu einer Reihe von Anschlägen in Ägypten bekannt, um die Regierung von Präsident Abdel Fattah al-Sisi zu destabilisieren – auch mit Sprengstoff und Bomben.

Luftangriffe auf IS kratzen am Mythos der Unbesiegbaren

Die Islamistengruppe in der Region hatte Ende 2014 dem IS die Treue geschworen. Der deutsche Professor Neumann forscht in London über politische Gewalt. Vor Kurzem ist sein Buch „Die neuen Dschihadisten“ erschienen. Neumann sagt aber auch: „In Syrien und dem Irak musste die Terrorgruppe durch die Luftangriffe vor allem von den USA und auch Russland schwere Rückschläge hinnehmen.“ Aus seiner Sicht ist es nur noch eine Frage von Wochen, bis der IS Teile seiner eroberten Gebiete verliert. „Das wäre für die Gruppe fatal, denn sie rekrutiert Kämpfer vor allem durch ihren Mythos der Unbesiegbaren.“

Und bei Neumann bleiben Zweifel an einem IS-Anschlag. „Zum einen gehen aus den Bekennerschreiben nur öffentlich bekannte Informationen zu dem Anschlag hervor – und nichts bisher Geheimes. Wenn der IS aber belegen will, dass er eine Bombe in dem Flugzeug versteckt hatte, dann hätte er in den Bekennerschreiben geheime Details bekannt geben können.“ Zudem erscheinen die Aufnahmen wie Hobbyfilme. „Mir fehlt ein aufwendiges und professionelles Video. Der IS ist bekannt für ausgeklügelte Propaganda.“

Auch deutsche Experten sind Teil der Unfallkommission

Trotz der Zweifel: Auf den Sinai blicken Sicherheitsbehörden mit Sorge. Auch US-Geheimdienstler nannten gegenüber dem Sender CBS eine Bombe an Bord „höchst wahrscheinlich“. Die Experten berufen sich unter anderem auf abgehörte Telefonate. Ein US-Aufklärungssatellit hatte zum Zeitpunkt des Unglücks einen Explosionsblitz aufgezeichnet. Der Flugschreiber wurde inzwischen ausgelesen, der Stimmenrekorder im Cockpit ist stark beschädigt.

Bisher drang aus der Unfallkommission, der Experten aus Ägypten, Russland, Frankreich, Deutschland und Irland angehören, lediglich nach draußen, dass die aufgezeichneten Flugdaten schlagartig abbrechen und auf dem Band in den Sekundenbruchteilen des Absturzes ein „ungewöhnliches Geräusch“ zu hören sei. Die Sicherheitsbehörden prüfen daneben auch ein Video, das im Internet kursiert und möglicherweise den Terroranschlag zeigt. Eine Aussage, ob es tatsächlich den Absturz der russischen Maschine zeigt, trifft das Bundeskriminalamt (BKA) derzeit nicht. In dem Video stürzt eine brennende Maschine zu Boden. Die Szene ist aus zwei Perspektiven aufgenommen, was dafür sprechen kann, dass das Video geplant war. Der Film zeigt zudem das Logo eines ägyptischen Ablegers der Terrormiliz IS.

Russland reagiert verärgert auf britische Warnungen

Ägypten und Russland reagierten auf die britischen Bombenwarnungen verärgert. Das seien Spekulationen, erklärte der Kreml, und nannte das Vorgehen Londons „politisch motiviert“. Doch seit Russland Ziele in Syrien bombardiert, fürchten Experten einen Vergeltungsschlag von Extremisten gegen Moskau. Ägyptens Außenminister Samih Schukri geißelte die Schlussfolgerungen als „voreilig und ungerechtfertigt“ und kritisierte, sein Land sei vorab nicht konsultiert worden. Die Sicherheitsprozeduren auf ägyptischen Flughäfen entsprächen internationalem Standard. Den Verdacht, Ägypten könne bei Metroflug 9268 etwas vertuschen, wies er von sich.

Ägyptens Präsident al-Sisi begann derweil – überschattet von den Sinai-Hiobsbotschaften – einen Staatsbesuch in England, der auf der Insel politisch umstritten ist. Ägypten sei bereit, mit „allen Freunden“ zusammenzuarbeiten, um Sicherheit für die Gäste aus dem Ausland zu gewährleisten, sagte al-Sisi. Pro Jahr reisen eine Million Briten nach Ägypten. Bereits am Donnerstag schickten London und Moskau eigene Sicherheitsteams nach Scharm el-Scheich, eine unverhohlene Misstrauensgeste gegenüber der ägyptischen Seite. Stunden später war der ägyptische Sicherheitschef des Flughafens wegen Nachlässigkeit entlassen.