Berlin. Die AKP hat die Wahlen klar gewonnen. Das könnte sich auf die deutsch-türkischen Beziehungen auswirken, sagt Politologe Burak Çopur.

Die Parlamentsneuwahl in der Türkei hat am Sonntag die islamisch-konservative Partei AKP um Präsident Recep Tayyip Erdoğan eindeutig für sich entscheiden können. Mit dem Politikwissenschaftler und Türkei-Experten der Universität Duisburg-Essen, Dr. Burak Çopur, sprachen wir über das Wahlergebnis und die Auswirkungen auf die deutsch-türkischen Beziehungen.

Medien in Europa berichten, dass der Wahlsieg „eine Bedrohung für die türkische Demokratie“ sei. Wie schätzen Sie diese Befürchtungen ein?

Dr. Burak Çopur: Das Ergebnis der Wahlen in der Türkei ist völlig überraschend – auch für alle Türkeikenner. Keiner hat damit gerechnet. Nun muss man sich die Frage stellen, zu welchem Preis die AKP diese Wahl gewonnen hat. Dieser ist angesichts der über 500 Menschen, die seit dem 7. Juni aufgrund von Terrorangriffen gestorben sind, ziemlich hoch. Das zeigt natürlich, dass die Spannungspolitik, die die AKP betrieben hat, völlig aufgegangen ist. Die Menschen haben sich mehr für die Sicherheit und die Stabilität interessiert, als für andere demokratische Fragen in der Türkei.

Wie stehen die Chancen auf einen EU-Beitritt der Türkei nach diesem Wahlergebnis? Wird sich dieses auf die Beitrittsverhandlungen auswirken?

Das glaube ich nicht. Man darf den Wahlsieg nicht absolut setzen. Dieser ist durch Wählerwanderungen entstanden, das heißt, die AKP hat ihre nationalistischen Wähler zurückgewonnen. Genau wie die islamisch-konservativen kurdischen Wähler, die sie damals an die pro-kurdische HDP verloren hatte. Man muss abwarten, ob die 50 Prozent der AKP von langfristiger Bedeutung sind oder ob sie dem Effekt der instabilen Türkei geschuldet sind.

Gerade in Deutschland hätte die AKP bei den türkischen Wählern überproportional gut abgeschnitten. Haben Sie eine Erklärung dafür?

In Deutschland leben viele konservative Türken und die wählen tendenziell eher islamisch-konservativ – und somit die AKP. Die türkische Gesellschaft ist allgemein sehr konservativ, was auch das Wahlergebnis deutlich zeigt.

Wie kann es jetzt gelingen, die Beziehungen zum Westen aufrechtzuerhalten oder zu stärken?

Die EU wird jetzt wieder einen übermächtigen Erdoğan vor sich haben. Er ist gestärkt aus dieser Wahl herausgegangen und das bedeutet, dass Erdoğan mit Blick auf die Flüchtlingsfrage seine Forderungen gegenüber der EU noch weiter erhöhen kann. Er kann der EU quasi seine Wünsche diktieren.

Diese Sorge teilt ja auch Grünen-Politikerin Claudia Roth. Sie halten diese Sorgen für gerechtfertigt?

Auf jeden Fall. Erdoğan wird seine Macht völlig gegen die EU ausspielen.

Wie könnte das aussehen?

Er wird mehr Geld, mehr Legitimität, mehr Einbeziehung und Einbindung auch in EU-Fragen fordern. Vor allem strebt er an, sich aus seiner internationalen Isolation zu befreien. Zum Teil ist ihm das schon durch den Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel gelungen. Durch ihren Besuch hat sie ihn aus der Isolation befreit und ihn hoffähig gemacht. Diese Politik wird sich noch bitter rächen.

Halten Sie den Besuch von Frau Merkel so kurz vor der Wahl für einen Fehler?

Mir geht es nicht so sehr um die indirekte Wahlkampfhilfe von Merkel für Erdoğan. Der Besuch von Merkel hat vielmehr Millionen von türkischen Demokraten, die große Hoffnungen auf die EU gesetzt haben, stark enttäuscht. Die EU hat sich völlig unglaubwürdig gemacht und ihre Werte gegen Interessen verkauft. Dass sie sich mit einem Autokraten an den Tisch gesetzt und einen Kuhhandel ausgehandelt hat, hilft vielleicht kurzfristig den europäischen Interessen, nicht aber der Demokratie in der Türkei.

Wie könnte jetzt die EU noch gegensteuern und ihre eigene Position vor allem in Bezug auf die Flüchtlingskrise stärken?

Die EU ist jetzt auf die Hilfe von Erdoğan angewiesen, nachdem sie ihn so hofiert hat. Jetzt muss die EU gucken, dass sie mit Erdoğan einen gemeinsamen Weg findet, um die Flüchtlingsfrage zu lösen. Ich bin mir unsicher, ob Erdoğan der richtige Partner ist, um die Flüchtlingsfrage der Europäer zu lösen.

Der Fortschrittsbericht der EU-Kommission wurde nicht wie üblich im Oktober veröffentlicht. Kritiker sehen darin eine Verbindung zu den Wahlen in der Türkei, da das Land darin hart kritisiert würde. Wie schätzen Sie das ein?

Es ist tragisch, dass der EU-Fortschrittsbericht, der immer im Oktober veröffentlich wird, jetzt plötzlich unter Verschluss gehalten wird und anscheinend die Wahlen in der Türkei abgewartet werden. Das ist ein Trauerspiel, was sich die EU gerade leistet.

Wie wird nach dem Wahlausgang eine Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Türkei aussehen?

Die Zusammenarbeit wird keine strategische mehr nach einer regionalen Rolle der Türkei sein, sondern nur eine taktische Zweckbeziehung. Die EU und Deutschland werden sich gegenseitig nutzen, wenn sie sich gerade brauchen.

Erdoğan fordert eine Verfassungsänderung und die Einführung eines Präsidialsystems. Was würde das für die Türkei bedeuten?

Das bedeutet letztlich einen Regimewechsel von einer parlamentarischen Demokratie hin zu einem autoritären Präsidialsystem, wie wir es beispielsweise in Russland kennen. Das wäre engültig das Ende für die türkische Demokratie.