Berlin . Der Sonderermittler wirft der NSA vor, gegen Verträge verstoßen zu haben: Auch grundgesetzliche geschützte Ziele wurden ausgespäht.

Der Sonderermittler der Bundesregierung, Kurt Graulich, erhebt in der Affäre um die NSA-Selektorenliste für den Bundesnachrichtendienst (BND) schwere Vorwürfe gegen die USA. Unter Berufung auf Graulichs fast 300 Seiten dicken Abschlussbericht schreibt „Spiegel Online“ am Freitag, die USA hätten mit ihren Spähzielen klar gegen vertragliche Vereinbarungen verstoßen.

Auch deutsche Ziele, die durch das Grundgesetz vor der Ausforschung eigener Nachrichtendienste besonders geschützt seien, sind laut Graulich „in überraschend großer Anzahl“ auf der Wunschliste des US-Geheimdienstes NSA zu finden. Darunter seien auch zahlreiche Wirtschaftsunternehmen aus oder mit Sitz in Deutschland gewesen.

„Keine massenhafte Ausspähung deutscher Bürger“

Die Bundesregierung betont dagegen in einer Mitteilung zu Graulichs Bericht, es gebe „nach wie vor keine Hinweise auf eine massenhafte Ausspähung deutscher und europäischer Staatsbürger“. Gleichwohl bestünden „im Bereich der strategischen Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes technische und organisatorische Defizite“.

Grundlage der Untersuchung ist eine Liste von gut 39.000 Suchbegriffen der NSA, die der BND im Zeitraum von 2005 bis März 2015 in einer Ablehnungsliste zusammengefasst hatte, weil sie gegen deutsche oder europäische Interessen verstießen. Die große Mehrzahl der Suchbegriffe waren E-Mail-Adressen. Laut dem Bericht seien die meisten dieser Suchbegriffe – so genannte Selektoren – aussortiert worden, bevor sie in die Überwachungssysteme eingespeist wurden. Teilweise aber seien sie länger als 100 Tage aktiv gewesen.

Amerikaner reagierten nicht auf Anfrage

Fast 70 Prozent der aussortierten Selektoren habe Regierungsstellen von EU-Ländern betroffen. Bei zwei Dritteln aller 28 EU-Mitgliedsstaaten habe man Treffer gefunden, heiße es in dem Bericht. Knapp 16 Prozent der Selektoren hätten aber auch Telekommunikationsteilnehmer in Deutschland betroffen. Sie sind durch das Grundgesetz vor Ausspähung durch eigene Nachrichtendienste geschützt. Die meisten dieser Telefon-, Fax- oder E-Mail-Adressen seien vom BND aber herausgefiltert worden, bevor sie aktiv wurden, hieß es bei „Spiegel Online“.

Er habe auf informellem Wege versucht, von der NSA eine Erklärung für die offenbar rechtswidrige Selektorenauswahl zu bekommen, schreibe der Sonderermittler. Die Amerikaner aber hätten nicht reagiert. Laut dem Bericht habe der Gutachter festgestellt, dass die Zusammenarbeit zwischen NSA und BND „weder transparent noch für die deutsche Seite steuerbar“ gewesen sei. Am kommenden Donnerstag wird Graulich vor dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags als Sachverständiger auftreten.

Erst im Frühjahr 2015 war bekanntgeworden, dass der BND über seine bayerische Abhörstation Bad Aibling Zigtausende Spionageziele des US-Geheimdienstes NSA steuerte.