Berlin. Es kracht in der Union. CSU-Chef Seehofer droht der Kanzlerin. Fünf Szenarien, wie Merkels Kanzlerschaft enden könnte.

Bundeskanzlerin Angela Merkel wollte endlich Pause machen von der Flüchtlingskrise. Beim Besuch in Peking unterzeichnete sie am Donnerstag erst mit Ministerpräsident Li Wirtschaftsabkommen in Milliardenhöhe, dann ließ sie sich die Zusage machen, dass der Berliner Zoo ein Pandapärchen aus Peking erhält. Alles im Griff, kein Grund zur Aufregung, wollte Merkel mit ihrem Besuch in China demonstrieren. Doch die Krise reist mit – daheim nehmen die Spannungen in der Koalition dramatisch zu. CSU-Chef Horst Seehofer hat Merkel ein Ultimatum für einen Kurswechsel bis Sonntag gestellt, droht mit dem Abzug der CSU-Minister. Am Wochenende sind Krisengespräche der Koalitionsspitzen geplant, im Vorfeld wird sogar ein Ende der Koalition nicht mehr völlig ausgeschlossen. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) warnt schon: „Einseitig Aufkündigen – das halte ich nicht für zielführend.“ Stürzt die Kanzlerin über die Flüchtlingskrise? Wie Merkels Kanzlerschaft enden könnte – und wie wahrscheinlich das jeweils ist:

1. Seehofer zieht CSU-Minister zurück

Die Drohung steht im Raum. Seehofer könnte seine drei CSU-Minister aus Berlin abziehen und damit die große Koalition sprengen. „Wir sind auf alles vorbereitet, juristisch, politisch, prüfen dieses, jenes“, sagt der CSU-Chef. Seehofer will, dass Merkel eine Obergrenze für Flüchtlinge einzieht – und Maßnahmen ergreift, damit weniger Menschen kommen. Das will Seehofer mit Merkel am Sonnabend klären, am Sonntag treffen sich die beiden dann mit SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel. Die Drohung, seine Minister abzuziehen, ist Seehofers stärkste Waffe: Theoretisch könnte die CDU auch noch mit der SPD eine Koalition bilden. Doch praktisch wäre das kaum denkbar. Geht die CSU, zerbricht Schwarz-Rot. Seehofer hat in den vergangenen Wochen mit einer komplizierten, fast dialektischen Taktik gespielt: Einerseits ist seine CSU Teil der großen Koalition, trägt alle Entschlüsse mit und muss sie verantworten. Andererseits greift er Merkel seit Wochen hart an. Dass Seehofer den Koalitionsbruch wagt, wird in den Spitzen von CDU und SPD bezweifelt, strategisch wäre der Nutzen begrenzt. Völlig ausgeschlossen ist es nicht. Zu den Spekulationen gehört, dass die CSU auch versuchen könnte, sich bundesweit als konservative Kraft zu etablieren.

2. Merkel stellt Vertrauensfrage

In Berlin spekulieren Unionsleute, Merkel werde versuchen, die Reihen mit einer Vertrauensfrage im Bundestag zu schließen – wie es ihr Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) 2001 beim Afghanistan-Einsatz gemacht hat. Merkel könnte zu dem Disziplinierungsmittel greifen, wenn die Unruhe in der Unionsfraktion zunimmt. Schon nächsten Dienstag droht Merkel dort massiver Widerstand. Die Abgeordneten der Koalition müssten sich bei der Vertrauensfrage entscheiden, ob sie Merkels Kurs stützen oder Neuwahlen in Kauf nehmen. Die Kanzlerin bekäme aber wohl große Rückendeckung. Auch kritische Unionsabgeordnete haben wenig Interesse an einem Wahlkampf jetzt. Die SPD dürfte ebenfalls zu Merkel stehen – es sei denn, sie peilt heimlich Rot-Rot-Grün an.

3. Neuwahlen

Mit einer „unechten“ Vertrauensfrage, die eine Ablehnung zum Ziel hat, könnte Merkel wie 2005 Vorgänger Schröder Neuwahlen herbeiführen. Die Kanzlerin würde dann die Bürger über ihren Kurs abstimmen lassen, in der Hoffnung auf breite Unterstützung. Die Risiken dieses Manövers wären beträchtlich – siehe Schröder.

4. Gabriel macht Rot-Rot-Grün

Wenn die CSU weiter auf Konfrontation geht, könnte SPD-Chef Sigmar Gabriel die Krise nutzen, um sich im Bundestag zum Kanzler wählen zu lassen. Eine Mehrheit hätte Rot-Rot-Grün im Parlament. Gabriel würde erklären, aus staatspolitischer Verantwortung müsse er das Ruder übernehmen, weil die heillos zerstrittene Union handlungsunfähig sei und damit nur Parteien am rechten Rand stärke. Sollte Merkel vorher die Vertrauensfrage stellen, bräuchte sich die SPD nur zu enthalten, um elegant den Koalitionsbruch einzuleiten. Aber so gut wie nichts spricht dafür: Der Graben zwischen SPD und der Linken ist tiefer geworden, eine Koalition schon wegen außenpolitischer Differenzen kaum denkbar. Und das Risiko für die Beteiligten wäre groß: Die Bildung einer rot-rot-grünen Bundesregierung würde das Land zusätzlich spalten, die Stimmung weiter anheizen.

5. Merkel wird Uno-Generalsekretärin

Merkel könnte das Kanzleramt auch aus eigener Entscheidung einem Nachfolger überlassen. Diese Option hatte vor der Flüchtlingskrise Charme: Keinem großen Kanzler ist so ein eleganter Abschied geglückt. In Berlin wird mitunter spekuliert, Merkel könnte sich freiwillig zurückziehen, um den Ruhestand in der Uckermark zu genießen oder ein internationales Amt zu übernehmen: Der Posten des UN-Generalsekretärs wird 2016 frei, Merkel wird immer mal wieder als Kandidatin genannt.

Doch mit der Flüchtlingskrise hat sich das so gut wie erledigt. Erstens sähe der Schritt jetzt unter dem Dauerfeuer der CSU nicht mehr wie ein freiwilliger Rücktritt aus, sondern wie eine Flucht. Die aber passt kaum zu Merkels Charakter. Hinzu kommt: Einen Kronprinzen, der problemlos übernehmen könnte, hat Merkel nicht aufgebaut. Und offen ist zudem, ob die SPD einen solchen Wechsel mitmachen würde.