Peking. 35 Jahre lange hat die chinesische Führung ihren Bürgern nur ein Kind erlaubt. Nun rückt sie von dieser umstrittenen Vorgabe ab.

Die Meldung von Chinas amtlicher Nachrichtenagentur Xinhua war nur sehr knapp gehalten – doch bei Danone löste sie ein Kursfeuerwerk aus. Die Aktienkurse des französischen Lebensmittelkonzerns legten am Donnerstag zwischenzeitlich um mehr als vier Prozent zu. Der Grund: Anleger gehen davon aus, dass der Weltmarktführer von Babynahrung sein China-Geschäfts in der nächsten Zeit deutlich ausweiten wird. Denn am Donnerstag hat die chinesische Führung das Ende der Ein-Kind-Politik verkündet.

„Alle Paare dürfen künftig zwei Kinder haben“, teilte das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei mit. Auch die Begründung dieser Entscheidung fiel kurz aus: Überalterung der Gesellschaft und drohender Arbeitskräftemangel, schrieben die chinesischen Staatszeitungen.

Drakonische Strafen für zweite Schwangerschaft

Mehr als 35 Jahre lang hatte die chinesische Führung eine grausame und von Anfang an höchst fragwürdige Familienpolitik durchgesetzt. Wer ein zweites Mal schwanger wurde, musste mit drakonischen Strafen rechnen. Millionen Frauen wurden einer Zwangsabtreibung unterworfen. Die Logik der Kommunistischen Partei: Nur wenn auf jedes Paar höchstens ein Kind kommt, lässt sich eine Bevölkerungsexplosion verhindern.

Auf den ersten Blick schienen die Zahlen der chinesischen Führung Recht zu geben. Und angesichts Chinas großer Bevölkerung fand diese Politik auch im westlichen Ausland viele Befürworter. Die Geburtenrate fiel von durchschnittlich acht Kindern in den sechziger Jahren auf heute durchschnittlich 1,4 pro Frau. Die Partei brüstet sich damit, auf diese Weise 400 Millionen Menschen verhindert zu haben. Bis heute ist China mit 1,38 Milliarden Menschen das bevölkerungsreichste Land der Welt.

Unabhängige Forscher bezweifeln jedoch bereits seit einiger Zeit die offiziellen Zahlen. Ihren Berechnungen zufolge ging die Geburtenrate schon früher deutlich zurück. Sie lag demnach bereits Ende der siebziger Jahre, also vor Einführung der strengen Strafen, nur noch bei knapp über zwei Kindern pro Frau.

Geburtenrückgang durch wachsenden Wohlstand

Der Hauptgrund für den Geburtenrückgang sei der wachsende Wohlstand gewesen, fand der in den USA lebende chinesische Demografie-Experte Cai Yong von der University of South California heraus. „Nicht die Ein-Kind-Politik war ausschlaggebend für Chinas Geburtenrückgang, sondern die ökonomische Entwicklung“, sagte der Soziologe. „Die Grausamkeiten hätte sich die chinesische Führung also sparen können.“

Tatsächlich erschien die Ein-Kind-Politik zuletzt auch der chinesischen Führung zunehmend sinnlos. Denn längst ist es in China so, dass die meisten Paare gar keine großen Familien mehr wollen. Die 1980 so plötzlich eingeführte Ein-Kind-Politik hatte zur Folge, dass China nun vor einem demografischen Debakel steht, das längst auch die Wirtschaft des Landes belastet. Die Zahl der Einwohner im arbeitsfähigem Alter geht seit 2011 massiv zurück, während im gleichen Maße mehr Rentner versorgt werden müssen.

Nur jede fünfte Mutter will zweites Kind

Und auch auf das Geschlechterverhältnis wirkt sich die Ein-Kind-Politik verheerend aus. Weil viele Paare lieber einen Jungen zur Welt bringen wollten, ließen sie weibliche Embryonen abtreiben. Auf 100 Frauen kommen heute in China 117 Männer.

Um diese gesellschaftlichen Missstände zu mildern, hatte die chinesische Führung bereits vor zwei Jahren die Ein-Kind-Politik gelockert. Jedem Paar wurde ein zweites Kind erlaubt, sofern mindestens ein Elternteil selbst Einzelkind war. Doch der Erfolg blieb aus. In Peking hat seitdem gerade jede fünfte Mutter im gebärfähigen Alter, auf die diese Regelung zutrifft, von diesem Recht Gebrauch gemacht.

Dem chinesischen Sozialwissenschaftlers Yuan Xin von der Nankai-Universität in Tianjin geht die Abschaffung der Ein-Kind-Politik nicht weit genug. In der englischsprachigen Zeitung „China Daily“ fordert er zusätzliche Reformen, die das Leben für Familien mit mehr Kindern begünstigen, unter anderem flexiblere Arbeitszeiten, mehr Kinderbetreuung und finanzielle Hilfe vom Staat. Damit zieht China auch im familienpolitischen Diskurs mit westlichen Industrieländern gleich.