Berlin. Tausende Flüchtlinge strömen täglich nach Norden. Die EU-Agentur Frontex soll Grenzen kontrollieren, doch es fehlt Personal und Geld.

Der Flüchtlingsstrom durch Europa reißt nicht ab. Besonders kritisch ist die Lage an der deutsch-österreichischen Grenze. Nach Angaben der Bundespolizei in Potsdam kamen am Dienstag knapp 7200 Menschen in Bayern an, 8858 illegale Einreisen wurden bundesweit registriert. Derzeit werden Tausende Flüchtlinge von Kroatien nach Slowenien transportiert. Von dort geht es weiter nach Österreich und Deutschland. Die Vereinbarung vom EU-Balkangipfel vom Sonntag, die „Politik des Durchwinkens“ zu beenden, greift bislang nicht.

Auch an den Außengrenzen der EU hält der Ansturm unvermindert an, insbesondere in Griechenland. Am frühen Mittwochmorgen liefen in Piräus zwei Fähren mit insgesamt 3173 Migranten an Bord ein. Sie hätte die Menschen von den Inseln Lesbos und Chios gebracht, teilte die Küstenwache mit. Nach Mitteilung der griechischen Behörden sind seit Jahresbeginn mehr als 545.000 Flüchtlinge aus der Türkei auf den Inseln im Osten der Ägäis angekommen.

Sicherung der Grenze kommt wieder in Mode

Die Flüchtlingskrise setzt die EU-Länder unter Druck – plötzlich kommt die Sicherung der Grenzen wieder in Mode. In Deutschland wurden am 13. September Grenzkontrollen eingeführt. Vor allem an der Grenze zu Österreich ist die Bundespolizei aktiv, die im ganzen Land eine Personalstärke von mehr als 40.000 Beamten aufweist.

Vor allem an der Grenze zu Österreich ist die deutsche Bundespolizei bei Grenzkontrollen im Einsatz
Vor allem an der Grenze zu Österreich ist die deutsche Bundespolizei bei Grenzkontrollen im Einsatz © Getty Images | Johannes Simon

Bundesinnenminister Thomas de Maizière kündigte gestern an, die Grenzkontrollen um zwei Wochen bis zum 13. November zu verlängern. Er rügte das österreichische Vorgehen in der Flüchtlingskrise. Der Transport der Migranten an die deutsche Grenze sei „nicht in Ordnung“ gewesen.

Seit dem Schengener Abkommen keine klassischen Kontrollen mehr

Klassische Grenzkontrollen gibt es eigentlich seit dem Schengener Abkommen von 1985 nicht mehr. Nach der Vereinbarung, der sich mittlerweile 22 der 28 EU-Länder angeschlossen haben, werden die Binnengrenzen der Gemeinschaft nicht mehr überwacht. Nur die Außengrenzen der EU sollen gesichert werden.

Doch der Ansturm von Migranten führt in einigen Ländern zu einer Debatte über die generelle Wiedereinführung von Grenzkontrollen. Dabei ist die Grenzsicherung prinzipiell unterschiedlich geregelt. Italien verfügt zum Beispiel über drei verschiedene Einheiten: die Staatspolizei, die Finanzpolizei und die Küstenwache.

Ungarn schottet sich bislang am meisten gegen Flüchtlinge ab: Ministerpräsident Viktor Orbán ließ einen mehr als 170 Kilometer langen Zaun an der Grenze zu Serbien bauen. Auch an der Grenze zu Kroatien wurde Stacheldraht hochgezogen. Nächster Plan der Orbán-Regierung: Der Übergang von Rumänien aus soll blockiert werden. Die Grenzen wurden teilweise von Soldaten überwacht. Seitdem sind die Migranten auf Ausweichrouten über Kroatien oder Rumänien umgestiegen.

140.000 Polizisten für die Grenzkontrollen

Immer wieder wird der Ruf nach einer Stärkung der EU-Grenzschutzagentur Frontex laut. Die in Warschau ansässige Organisation soll die Grenzschutz-Operationen koordinieren. Voraussetzung ist, dass Frontex von einem EU-Land zu Hilfe gerufen wird. Frontex stellt Einsatzpläne auf und organisiert die Polizeikräfte der nationalen Regierungen. Die Agentur kann für die Einsätze Personal anfordern, das aber von der jeweiligen Behörde bezahlt wird. Die Befehlsgewalt bleibt indessen immer in der Hand der nationalen Organisationen. Alle EU-Länder verfügen insgesamt über rund 140.000 Polizeikräfte, die für Grenzkontrollen abgestellt sind.

Beispiel: In Griechenland und Italien, wo die meisten Flüchtlinge landen, hat Frontex jeweils 500 nationale Polizeikräfte für die Grenzkontrollen geordert. Im gesamten EU-Raum werden etwas mehr als 1000 Polizisten von Frontex koordiniert. „Die Hauptaufgabe besteht darin, die Flüchtlinge zu identifizieren, die die Grenze überschreiten wollen“, sagt eine Sprecherin der Agentur in Warschau. Wenn etwa ein Flüchtlingsboot in griechischen Gewässern treibt, wird es von Frontex in den nächsten Hafen eskortiert. Dort findet die Registrierung der Migranten statt.

EU-Kommission will Frontex stärken

Frontex hat allerdings wenig eigenes Personal vor Ort: Nach Angaben der Zentrale sind derzeit nur rund 20 Mitarbeiter EU-weit im Einsatz. Bei der Ausrüstung sieht es nicht viel besser aus. So verfügt Frontex über keine eigenen Transportmittel. Diese werden vielmehr von den nationalen Regierungen angefordert. So bezahlt die Agentur derzeit die Nutzung von 31 Schiffen (17 in Italien, 14 in Griechenland), sechs Flugzeugen und vier Helikoptern.

Künftig sollen mehr Frontex-Leute in den Aufnahmezentren für Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen arbeiten – den sogenannten Hotspots. So ist vorgesehen, in Griechenland fünf und in Italien sechs Hotspots zu errichten.

Frontex hat 2015 ein Jahresbudget von 142 Millionen Euro. Die Agentur legt Rechenschaft ab gegenüber dem eigenen Führungsgremium, das sich aus Vertretern der Grenzschutz-Organisationen der Schengenländer zusammensetzt. Zudem berichtet sie an das EU-Parlament und die EU-Kommission.

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hatte sich kürzlich für eine massive Aufwertung der Agentur ins Zeug gelegt: „Wir müssen Frontex erheblich stärken und zu einer voll funktionsfähigen europäischen Grenz- und Küstenschutzbehörde ausbauen. Das ist durchaus machbar. Aber es wird Geld kosten.“ Angesichts der anhaltenden Flüchtlingsströme ist das bislang nur ein frommer Wunsch.