Berlin. Tausende Flüchtlinge strömen von Österreich nach Bayern. Ministerpräsident Horst Seehofer erhebt schwere Vorwürfe gegen Wien.

Der Flüchtlingsansturm an der deutsch-österreichischen Grenze droht aus dem Ruder zu laufen. Allein im Raum Passau seien am Montag 8000 Migranten angekommen, sagte der Sprecher der Bundespolizei in Bayern, Frank Koller, am Dienstag. Am frühen Abend habe man in Wegscheid auf einen Schlag 2000 Migranten versorgen müssen. „Wir konnten uns darauf nicht vorbereiten“, so Koller. Von den österreichischen Behörden habe es keine Vorwarnung gegeben. Dabei seien die Flüchtlinge vermutlich mit Bussen zur deutschen Grenze gefahren worden.

Die Polizei brachte die Hälfte der 2000 Neuankömmlinge in die Niederbayernhalle nach Ruhstorf, die andere Hälfte wurde in Passau untergebracht. Am Dienstag sollten die Asylbewerber bundesweit verteilt werden. Am Montag wurden nach Angaben der Bundespolizei 11.154 illegale Migranten an der Grenze aufgegriffen. Dies sei der höchste Wert im Oktober gewesen, sagte eine Sprecherin.

Seehofer wettert gegen Wien

Beim EU-Balkangipfel am Sonntag war vereinbart worden, dass die „Politik des Durchwinkens“ beendet werden soll. In den vergangenen Tagen waren die Migranten entlang der Balkanroute von einem Staat zum nächsten transportiert worden – zum Beispiel von Kroatien nach Slowenien. Eine Registrierung fand nicht statt. Künftig sollen sich die Regierungen gegenseitig über die Flüchtlingstrecks informieren, austauschen und abstimmen, hieß es in dem Brüsseler Schluss-Dokument.

Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) setzte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erneut mit einem Ultimaturm unter Druck. Bis kommenden Sonntag werde er noch abwarten, ob die bayerischen Forderungen nach Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung in Berlin Gehör fänden, sagte Seehofer der „Passauer Neuen Presse“. „Sollte ich keinen Erfolg haben, müssen wir überlegen, welche Handlungsoptionen wir haben.“ In der vergangenen Woche hatte der CSU-Chef Merkel bereits mit Notwehrmaßnahmen und sogar mit einer Verfassungsklage gedroht.

Österreich: Wir stehen mit Merkel in Kontakt

Angesichts des Ansturms von Flüchtlingen warf Seehofer der Regierung in Wien rücksichtsloses Vorgehen vor. „Dieses Verhalten Österreichs belastet die nachbarschaftlichen Beziehungen. So kann und darf man nicht miteinander umgehen“, kritisierte Seehofer. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nannte Österreichs Verhalten „skandalös“. Wenn die Regierung in Wien zahllose Menschen auf einen Schlag unabgesprochen an die Grenze bringe, dann sei dies eine bewusste Missachtung der deutschen Grenzkontrollen und letztlich eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik.

Die österreichische Regierung versuchte den Dampf aus der Angelegenheit zu nehmen. „Bundeskanzler Werner Faymann ist in engstem Kontakt mit Kanzlerin Angela Merkel“, erklärte Kanzleramtsminister Josef Ostermayer (SPÖ).

Merkel: Den Schalter nicht mit einem Mal umdrehen

Kanzlerin Merkel mahnte erneut zu Geduld bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise. „Wir können den Schalter nicht mit einem Mal umdrehen“, sagte sie am Dienstag bei einer Pressekonferenz mit dem honduranischen Präsidenten Juan Orlando Hernández in Berlin. Vielmehr gelte es, Schritt für Schritt vorzugehen, ohne namentlich auf Seehofer einzugehen.

Merkel betonte, in Deutschland müssten jetzt die Möglichkeiten des gerade beschlossenen Pakets zur Verschärfung des Asylrechts genutzt werden. Sie sei überzeugt, dass sich die Zahl der Flüchtlinge „nur im Ergebnis unseres gemeinsamen Handelns“ zwischen der Türkei, Griechenland und der EU verringern lasse. Hierfür sei der kommende Sonntag wegen der Wahl in der Türkei ein wichtiges Datum.

Erste Bundespolizisten gehen nach Slowenien

Die Bundesregierung stehe mit der österreichischen Regierung seit dem Frühsommer in konstanten Kontakten auf allen Ebenen. „Diese Kontakte haben heute schon wieder stattgefunden, die werden morgen stattfinden, übermorgen stattfinden.“

Deutschland schickt noch in dieser Woche fünf Bundespolizisten nach Slowenien zur Unterstützung bei der Bewältigung des Flüchtlingsandrangs. Das sagte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums. Deutschland und zehn weitere Länder hatten sich beim EU-Balkangipfel darauf verständigt, binnen einer Woche 400 zusätzliche Polizisten aus anderen EU-Staaten nach Slowenien zu entsenden.

Union sackt auf 35 Prozent ab

Die Sprecherin des Innenressorts sagte, Deutschland habe auch der EU-Grenzschutzagentur Frontex angeboten, 50 zusätzliche Bundespolizisten zu entsenden, um entlang der Westbalkanroute und in den geplanten „Hotspots“ für Flüchtlinge in Italien und Griechenland Unterstützung zu liefern. Über den genauen Einsatzort und die Einsatzdauer entscheide Frontex nach Auswertung aller Angebote aus den EU-Mitgliedsstaaten. 40 deutsche Bundespolizisten sind nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei (GdP) bereits bei Frontex im Einsatz. Die Gewerkschaft warnte vor einer Überlastung der Bundespolizei und mahnte, im Inland fehle es enorm an Personal.

Die Unionsparteien verlieren in der Flüchtlingskrise weiter an Zustimmung. Nach einer Umfrage des Insa-Instituts im Auftrag der „Bild“-Zeitung würden nur noch 35 Prozent der Befragten CDU und CSU wählen. Die SPD gibt demnach einem halben Punkt ab und landet bei 24,5 Prozent. Die Linke bleibt bei 9,5 Prozent. Die Grünen legen 1,5 Punkte zu auf elf Prozent. Die AfD verbessert sich um einen Punkt auf 8,5 Prozent. Die FDP verliert einen halben Punkt und erreicht 4,5 Prozent.