Berlin. Die SPD diskutiert schon länger über eine Öffnung der Partei. Jetzt sollen Bürger ohne Parteibuch erstmals Anträge stellen können.

SPD-Chef Sigmar Gabriel redet seinen Genossen schon seit Jahren ins Gewissen: „Viele Menschen empfinden Parteien als geschlossene Gesellschaften, die sich selbst genug sind“, klagt der Vorsitzende unter dem Eindruck eines anhaltenden Mitgliederschwunds nicht nur in seiner Partei. Die SPD müsse sich stärker öffnen, Nichtmitglieder „zu Interessierten machen“.

Jetzt nehmen Gabriel und seine SPD dafür einen neuen, ungewöhnlichen Anlauf: Als erste Partei in Deutschland will die SPD nach Informationen unserer Redaktion künftig allen Bürgern die Möglichkeit einräumen, mit Anträgen an Parteitage direkt Einfluss auf die Debatten und die politische Ausrichtung der Sozialdemokraten zu nehmen. Einen entsprechenden Vorstoß für eine Satzungsänderung hat der SPD-Vorstand bereits beschlossen, er liegt unserer Redaktion vor. Entscheiden muss der Bundesparteitag im Dezember. Ziel sei es, „modernste Partei Europas“ zu werden, heißt es in einem parallel beschlossenen Vorstandsantrag.

Zunächst ist der Versuch auf vier Jahre befristet

SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi sagte unserer Redaktion: „Die SPD geht als stärkste Beteiligungspartei Deutschlands neue Wege der Kommunikation und Partizipation“. Die ungewöhnliche Beteiligung von Nichtmitgliedern ist zunächst als Modellprojekt auf vier Jahre befristet und mit Hürden versehen: Die offenen Anträge können nur online eingereicht werden, auf Bundesebene müssen die Initiatoren nach den bisherigen Vorstandsplänen 125.000 Unterstützer finden. Die Auflage ist aber bei aktuellen Themen relativ schnell zu erfüllen, wie etwa zahlreiche Online-Petitionen an den Bundestag zeigen. Auf Landesebene könnten die Hürden viel niedriger sein, der SPD-Führung schwebt ein nach Einwohnerzahl gestaffeltes Quorum vor, in den meisten Ländern wären zwischen 20.000 und 30.000 Unterstützer erforderlich. Es muss allerdings um inhaltliche Forderungen gehen – Personal-, Satzungs- und Finanzfragen sind von der Öffnung ausgeschlossen. Ohne Risiko ist das Verfahren dennoch nicht, der SPD stehen heiße Debatten vor.

Nachbarschaftskampagnen in Stadtteilen und Gemeinden

Im Gegenzug will die SPD-Führung das 2005 beschlossene Angebot einer auf zwei Jahre begrenzten Gastmitgliedschaft wieder abschaffen. „Wir wollen mit allen diskutieren und Politik entwickeln, wer mitentscheiden will, muss Mitglied werden“, heißt es.

Die Öffnung ist Teil eines Plans, unter dem Titel „Beteiligungspartei“ die eigenen Mitglieder stärker einzubinden und interessierte Bürger an Debatten zu beteiligen. Dazu gehören Nachbarschaftskampagnen in Stadtteilen und Gemeinden mit regelmäßigen Tür-zu-Tür-Aktionen oder das Angebot, in den SPD-Arbeitsgemeinschaften auch ohne Parteibuch mitzumachen. Auch Mitglieder sollen sich einfacher in Parteidiskussionen und -entscheidungen einmischen können; der Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag, an dem sich vor gut zwei Jahren 78 Prozent der Genossen beteiligten, gilt als Initialzündung. Dabei wollen die Sozialdemokraten vor allem die Möglichkeit des Internets nutzen. So sollen auch die Mitglieder verstärkt online an Diskussionsprozessen teilnehmen und Anträge einreichen können. Fahimi sagte: „Wir wollen die digitale Vernetzung der Menschen nutzen, um einfache und direkte Partizipation besser zu ermöglichen und so mehr Menschen für die SPD zu begeistern.“

Ermutigung vom früheren Obama-Berater Messina

Ermutigt ist die Parteiführung von ihrem neu angeheuerten Berater Jim Messina, dem früheren Kampagnen-Chef von US-Präsident Barack Obama. Messina hatte für Obama übers Internet eine „Freiwilligenarmee“ von Unterstützern organisiert und zugleich erfolgreich Tür-zu-Tür-Kampagnen entwickelt. Die SPD musste aber schon erleben, dass erste Nachahmungsversuche im Wahlkampf 2013 wenig brachten. Auch das Bemühen, mit einer ersten, 2011 beschlossenen Parteireform neue Mitglieder anzulocken, hat nur teilweise gefruchtet: Damals rebellierte die Parteibasis gegen Pläne, auch Nichtmitglieder über den Kanzlerkandidaten abstimmen zu lassen.

Doch der Mitgliederschwund bereitet der Partei weiter Sorgen: 2014 ging die Zahl der SPD-Mitglieder um 2,9 Prozent auf 459.000 zurück, parallel sank auch die Zahl der eingetragenen CDU-Mitglieder um 2,1 Prozent auf 457.500. Auch die CDU hat sich deshalb eine Parteireform verordnet. Das im Sommer vorgestellte Projekt ist aber vorsichtiger angelegt: Die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Parteiarbeit soll verbessert, Hürden für Anträge von Mitgliedern gesenkt werden. Auf Kreisebene sollen alle Mitglieder bei Sach- und Personalfragen mitentscheiden können.