Riad. Viele Hunderte Pilger starben in Mekka bei der Massenpanik im September. Es hat Gründe, dass Saudi-Arabien genaue Informationen zurückhält.

Die Mitteilung war so nichtssagend wie üblich. Kronprinz Mohammed bin Nayef habe die Untersuchungskommission angewiesen, „mit ihren Anstrengungen fortzufahren, um die Ursachen des Unglücks zu ermitteln“, schrieb die staatliche Nachrichtenagentur. Vier Wochen nach der Hadsch-Katastrophe gerät Saudi-Arabien immer mehr unter Druck.

Unübersehbare Menschenmassen bei der Pilgerfahrt, der Hadsch: Immer wieder kommt es zu Unglücken, in diesem Jahr ereignete sich die schwerste der vergangenen 25 Jahre
Unübersehbare Menschenmassen bei der Pilgerfahrt, der Hadsch: Immer wieder kommt es zu Unglücken, in diesem Jahr ereignete sich die schwerste der vergangenen 25 Jahre © dpa | Amel Pain

Weltweit machen Meldungen die Runde, die Massenpanik in Mina habe dreimal mehr Menschenleben gekostet, als Riad mit 769 Toten bisher einräumte. Das Unglück am 24. September wäre damit das schlimmste Mekka-Desaster aller Zeiten. So belegt die neueste Addition der ausländischen Opfer durch die Nachrichtenagentur AP, dass bislang 2177 identifiziert wurden. Die Zahl wächst weiter, kurz zuvor war dpa noch auf 1807 gekommen.

Suchfotos mit Nummern bis 2253

Hunderte werden noch vermisst. Die Website Middle East Eye hatte zuvor in der Notfallklinik von Mekka ausgehängte Suchfotos dokumentiert, deren Nummerierung bei 2253 endete. Auf der Webseite des Gesundheitsministeriums war am 29. September für wenige Minuten sogar von 4173 Toten die Rede gewesen, bevor der Eintrag rasch wieder verschwand. Aktivisten gelang es, einen Screenshot zu machen.

4137 Tote meldete die Seite des saudi-arabischen Gesundheitsministeriums – für kurze Zeit, dann war der Eintrag verschwunden.
4137 Tote meldete die Seite des saudi-arabischen Gesundheitsministeriums – für kurze Zeit, dann war der Eintrag verschwunden. © BM | Screenshot

Vizegesundheitsminister Mohamed Aldowale habe ein Buch mit 4173 Fotos erhalten von Pilgern, die in Mina ums Leben kamen, hieß es in dem gelöschten Text. „Die ursprüngliche Statistik ging von 769 Toten aus, die endgültige Zahl jedoch ist auf 4173 gestiegen, nachdem das Ministerium weitere Leichen erhalten hat.“

Trotzdem hüllen sich die Saudis eisern in Schweigen, das Gesundheitsministerium verweigert jede Stellungnahme zu seinem mysteriösen Webeintrag. Auch die Forderung des Erzrivalen Iran wurde brüsk abgelehnt, ausländische Experten hinzuzuziehen. Die rein saudische Ermittlungskommission jedoch steht möglicherweise vor der unlösbaren Aufgabe, die Ursachen der Hadsch-Tragödie korrekt zu benennen, ohne gleichzeitig die eigene Staatsspitze zu blamieren.

VIP-Konvoi Auslöser des Unglücks?

Denn bereits 24 Stunden nach dem Unglück berichteten zahlreiche Medien, zwei Zugänge zu der Jamarat-Brücke seien wegen eines VIP-Konvois gesperrt gewesen. Das hätte den Rückstau und damit die Katastrophe ausgelöst. Nach Angaben der libanesischen Zeitung „Al-Diyar“ saß in dem Autokorso Vizekronprinz Mohammed bin Salman, eskortiert von 150 Polizisten und 200 Soldaten.

Nach dem Unglück sei die Wagenkolonne des jungen Verteidigungsministers sofort davongerast, das ganze Areal wurde für Presse und Fernsehen gesperrt, um die Rolle des Thronfolgers zu verschleiern. Das saudische Innenministerium räumte später ein, dass ein VIP-Konvoi zur Unglückszeit in Mina war, wies jedoch den heiklen Zeitungsbericht als „inkorrekt“ zurück. Stattdessen machte Gesundheitsminister Khaled al-Falih die Beter selbst für die Tragödie verantwortlich. „Wären die Pilger den Anweisungen gefolgt, hätte dieser Unfall vermieden werden können“, erklärte er.

Kein Durchkommen auch für Presse: Sicherheitskräfte sperrten das Gelände ab.
Kein Durchkommen auch für Presse: Sicherheitskräfte sperrten das Gelände ab. © REUTERS | AHMAD MASOOD

Nervösität im Königshaus groß

Falls jedoch dieses VIP-Gebaren die Ursache der Katastrophe ist, stünde mit einem Schlag die gesamte Führungsspitze Saudi-Arabiens am Pranger: König Salman, der sich mit dem Titel „Hüter der beiden heiligen Moscheen“ schmückt und nicht mehr im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte sein soll, Kronprinz Mohammed bin Nayef als Innenminister und Hauptverantwortlicher für die Hadsch-Sicherheit sowie Vizekronprinz Mohammed bin Salman als möglicher Verursacher.

Kein Wunder, dass mittlerweile Unruhe und Nervosität im Königshaus Al-Saud so hochkochen, dass sie erstmals seit den schweren Machtkämpfen in den 60er Jahren wieder nach außen dringen. Vier Briefe kursieren in den Reihen der Öl-Prinzen, die eine Abdankung der gesamten Staatsspitze fordern. „Wir geraten immer näher an einen Zusammenbruch des Staates und einen Verlust unserer Macht“, deklamiert einer der Rebellentexte.