al-Chums/Hamburg. Das Hamburger Containerschiff „Santa Giorgina“ hat zwischen Libyen und Malta 420 Menschen geborgen. Das Protokoll einer Rettung.

Es war eine Routinefahrt, zu der das Hamburger Containerschiff „Santa Giorgina“ am vergangenen Wochenende aufbrechen sollte. Der 181 Meter lange Frachter der Reederei Claus-Peter Offen lag in der libyschen Hafenstadt a-Chums. Dort werden unter anderem Olivenöl, Thunfisch und Datteln exportiert. Von Libyen aus sollte es weitergehen nach Italien und Griechenland.

Doch dann erreichte am vergangenen Sonntag, gegen 12 Uhr, Kapitän Pawel Banys der Seenotruf einer italienischen Behörde. Das Maritime Rescue Coordination Center (MRCC) mit Sitz in Rom forderte dazu auf, in Seenot geratene Flüchtlinge aus dem Mittelmeer zu retten. Es entspricht den internationalen Gepflogenheiten, dass das am nächsten gelegene Schiff diesen Menschen zu Hilfe eilt. Und das war am Sonntag die „Santa Giorgina“.

Prompt nimmt der polnische Kapitän Kurs auf eine Position im Mittelmeer zwischen Libyen und Malta. Vier Crewmitglieder besetzen den Ausguck und entdecken gegen 14.30 Uhr bei relativ ruhiger See in vier Meilen Entfernung zwei größere Gegenstände. Wie sich kurz darauf herausstellt, sind es zwei ramponierte Schlauchboote (Zodiacs) mit leeren Luftschläuchen. Rucksäcke und Sandalen sind die letzten Überbleibsel jener Flüchtlinge, von deren Verbleib wohl jede Spur fehlt.

Gegen 16 Uhr fordert die italienische Behörde die „Santa Giorgina“ auf, mit Höchstgeschwindigkeit eine weitere Position im Mittelmeer anzusteuern. Es ist schon dunkel, als der Kapitän nach einem ersten Kontakt zur italienischen Küstenwache Generalalarm auslöst. Alle Lichter gehen an, der Countdown für die Bergungsarbeiten beginnt. Während die 22-köpfige Crew Leitern ausbringt und sich aus hygienischen Gründen mit Gesichtsmasken und Handschuhen zu schützen beginnt, weiß noch keiner, wie viele Flüchtlinge zu bergen sein werden. Mit dem deutschen Containerfrachter befindet sich lediglich ein Boot der „Guardia di Finanza“ auf dieser Position. Bei Windstärke 3 bis 4 klettern die ersten 100 Flüchtlinge zunächst in das Schiff der Küstenwache. So können sie besser über die Leitern in das größere Hamburger Schiff gelangen.

Kaum sind die ersten Frauen, Männer und Kinder an Bord gehievt, kommt es zu Handgreiflichkeiten unter den Flüchtlingen. Wenig später versuchen die Passagiere eines dritten beschädigten Flüchtlingsbootes die „Santa Giorgina“ zu entern. Es kommt zur Panik, Menschen fallen ins Wasser und müssen von der Crew geborgen werden. Am Ende eines langen Tages zählt die Mannschaft 420 gerettete Passagiere. Ihr Gesundheitszustand ist teilweise schlecht. Gegen die Unterkühlung erhalten sie Rettungsfolien.

Die Nacht verbringen sie unter engsten Verhältnissen auf dem Achterdeck. Der Montagmorgen beginnt um neun Uhr noch friedlich, als Essen und Getränke verteilt werden. Aber gegen zehn Uhr muss die Besatzung die Proviantausgabe für eine halbe Stunde unterbrechen, weil sich die Männer um die Reis- und Fleischrationen prügelten. „Es kam zu einem aggressiven Verhalten der Flüchtlinge untereinander“, notiert der Kapitän in seinem Bericht an die Reederei.

Kurz nach 17 Uhr erreicht das Containerschiff endlich den sizilianischen Hafen von Augusta, alle Flüchtlinge werden an Land gebracht.

Alle? Um 19.24 Uhr notiert Pawel Banys, dass zwei Leute fehlen – die Suche nach den „blinden Passagieren“ beginnt. Doch an Bord gefunden wurde bislang keiner. Am 14. April, um 0.55 Uhr, ereilt das Schiff ein erneuter Befehl zur Flüchtlingsrettung. Zum Glück übernimmt ein anderer Frachter diese Aufgabe, sodass die „Santa Giorgina“ zu den Löscharbeiten nach Libyen zurückkehren kann.

Was die kleine Mannschaft alles geleistet hat, bringt Hermann J. Klein, Chief Operating Officer (COO) der Reederei Claus-Peter Offen, so auf den Punkt: „So ein Einsatz ist eine extreme körperliche und seelische Belastung. Die Crew hat wirklich Außergewöhnliches geleistet und dabei im Einklang mit der Reedereiphilosophie gehandelt, nämlich zu retten, was zu retten ist, und Leiden zu mindern.“

Das lasse sich niemals in Geld aufrechnen. Der Einsatz eines solchen Schiffes koste pro Tag etwa 15.000 Euro. Die „Santa Giorgina“ war zwei Tage im Einsatz. „Bei 420 Geretteten kommt man in diesem Fall auf einen Betrag von rund 50 bis 100 Euro pro Menschenleben. Es wäre absurd, eine solche Berechnung zur Grundlage einer Rettungsaktion zu machen.“