Es ist die größte Demonstration seit der Befreiung von den Nazis. Merkel und Hollande führen den Marsch für die Opfer von „Charlie Hebdo“ an. Aktion auch in Hamburg geplant.

Paris/Berlin/Hamburg. Es ist das größte Zeichen gegen den islamistischen Terror und für Solidarität mit den Opfern nach dem Attentat auf die Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“ und die Geiselnahme in Paris. Der französische Staatspräsident François Hollande und Kanzlerin Angela Merkel sind am Sonntagnachmittag gemeinsam mit anderen Staats- und Regierungschefs zum großen Solidaritätsmarsch gestartet. Hollande und Merkel liefen zunächst untergehakt nebeneinander. Die Spitzenpolitiker versammelten sich unweit der Place de la République, die übersät von Menschen war.

An der Spitze des Marsches, zu dem bis zu eine Million Menschen erwartet werden, liefen Angehörige der Terroropfer, wie französische Medien berichteten. Auf Transparenten stand: „Je suis Charlie“. An dem Marsch beteiligen sich mit Ausnahme der rechtsextremen Front National (FN) praktisch alle Parteien und Gewerkschaften. Es zeichnet sich ab, dass es mit mehr als einer Million Teilnehmer die größte Versammlung seit der Befreiung von Paris 1944 werden dürfte.

Ein Welle von islamistischen Terroranschlägen und Geiselnahmen hatte in der zurückliegenden Woche das Leben von 17 unschuldigen Menschen gefordert. Allein der Überfall auf die Redaktion der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ hatte am Mittwoch zwölf Opfer gefordert.

An dem Marsch nahmen auch Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und der ukrainische Präsident Petro Poroschenko teil.

Die Leichen der vier bei der Geiselnahme in einem koscheren Supermarkt in Paris getöteten Juden sollen auf Wunsch der Familien in Israel beigesetzt werden. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte am Sonntag von Paris aus, er habe entsprechende Bitten von den Angehörigen erhalten. Alle nötigen Schritte zur Überführung der Leichen seien eingleitet, sagte er. Die Beerdigung wird voraussichtlich am Dienstag stattfinden.

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland plant nach den Terrorakten in Paris für Dienstag eine Mahnwache für Weltoffenheit und Toleranz in Berlin. Er hoffe, dass die Spitzen des Staates der Veranstaltung beiwohnen, sagte der Zentralrats-Vorsitzende Aiman Mazyek. Ursprünglich war die Veranstaltung, die am Brandenburger Tor stattfinden soll, für Montag vorgesehen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte eine Teilnahme der CDU an der Mahnwache zugesagt. Auch SPD und Grüne rufen zur Teilnahme auf. Die Bundestagsparteien planen außerdem eine große Solidaritätskundgebung deutscher Politiker mit gesellschaftlichen Gruppen, möglicherweise mit Bundespräsident Joachim Gauck als Redner.

CDU-Vize Klöckner: Halte nichts von Kundgebungs-Wettbewerben

SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte den anderen Vorsitzenden öffentlich vorgeschlagen, sich daran zu beteiligen. Dieses Vorpreschen brachte ihm deutliche Kritik ein. Unter anderem sagte die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner der „Saarbrücker Zeitung“ (Montag), sie halte jedenfalls nichts von „Kundgebungs-Wettbewerben“.

In Hamburg haben zahlreiche gesellschaftliche Institutionen für Montag, auf dem auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz, zu einer Solidaritätskundgebung für Freiheit und Demokratie aufgerufen.

Nach den Anschlägen von Paris wächst auch in Deutschland die Furcht vor islamistischen Anschlägen. Innenminister Thomas de Maiziere rief die Bürger zu erhöhter Wachsamkeit im Alltag auf. Warnungen kamen auch von den Geheimdiensten anderer Staaten. In Nordrhein-Westfalen nahmen Spezialkräfte ein mutmaßliches Mitglied der Extremistenmiliz IS fest. Die EU-Innenminister wollen mit einem Maßnahmenpaket verstärkt gegen den Terrorismus vorgehen.

30 Syrien-Heimkehrer im Visier der deutschen Behörden

„Wir haben Radikalisierungsprozesse in Deutschland, bei denen sich Personen äußerlich und innerlich bis hin zu ihren Essgewohnheiten verändern“, sagte de Maiziere der „Bild am Sonntag“. Daher sei „Wachsamkeit der Bürger, Familien, der Nachbarn, der Sportfreunde oder Mitgläubigen in Moscheegemeinden wichtig und richtig“. De Maiziere verwies auf rund 260 Gefährder in Deutschland. Dies seien so viele wie noch nie. 550 Menschen seien aus Deutschland in die Kampfgebiete in Syrien und den Irak ausgereist. 150 bis 180 seien zurückgekehrt, bei 30 handele es sich um kampferprobte Fundamentalisten.

Die Extremistenmiliz IS hat der „Bild am Sonntag“ zufolge die Anschläge von Paris zum Auftakt einer europaweiten Terrorwelle erklärt. Dies hätten Abhörspezialisten des US-Geheimdienstes NSA herausgefunden. Dem Blatt zufolge warnte zudem der britische Inlandsgeheimdienst MI5 vor Anschlägen auf Flugzeuge mit schwer aufspürbaren Sprengstoffen.

Attentäter Coulibaly soll Verbindungen zum IS gehabt haben

Im Internet sind derweil Videoaufnahmen eines Attentäters aufgetaucht. Der Islamist schwört darin noch einen Treueeid auf den Anführer der Terrormiliz Islamischer Staat. Gezeigt wird auch ein Waffenarsenal. Die Aufnahmen zeigten den Pariser Geiselnehmer Amedy Coulibaly und seien über einen Twitter-Account mit Verbindungen zur Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verbreitet worden, teilte die Beobachtungsplattform Site mit. Coulibaly schwört darin dem IS-Anführer Abu Bakr al-Bagdadi die Treue.

Sein Handeln begründet der spätere Attentäter in einer der Aufnahmen in französischer Sprache mit den Angriffen der westlichen Koalition auf die Gebiete des Islamischen Staates. „Ihr attackiert den Islamischen Staat, wir attackieren euch“, sagt er. Bei den Angriffen auf den IS würden auch Zivilisten getötet. „Warum? Weil wir die Scharia anwenden?“, fragt Coulibaly in die Kamera. „Seid Ihr diejenigen die entscheiden, was auf der Erde passiert?“

Der Internetdienst Site, der weltweit Terrorgruppen beobachtet, hält das Video für authentisch. Site hatte zunächst erklärt, das Video sei vom IS direkt verbreitet worden, dies dann aber korrigiert.

Von offizieller französischer Seite gab es zunächst keine Bestätigung der Authentizität. In dem Video sind Szenen von Waffensammlungen und Trainingssequenzen zu sehen. Später scheinen Aufnahmen von der Erstürmung des koscheren Geschäfts im Osten von Paris verwendet worden zu sein, wo Coulibaly Geiseln genommen hatte und nach Angaben der Staatsanwalt vier Menschen tötete.

Der Attentäter Coulibaly ist womöglich auch für die Schüsse auf einen Jogger am Mittwochabend im Großraum Paris verantwortlich, teilte die Staatsanwaltschaft am Sonntag mit. Seine Familie verurteilte die taten. Coulibalys Lebensgefährtin und mutmaßliche Komplizin setzte sich womöglich ins Ausland ab.