Nur knapp zwei Drittel aller Schutzsuchender mit Visum sind bisher nach Deutschland eingereist. Läuft das deutsche Aufnahmeprogramm für Syrien an den Menschen im Krieg vorbei?

Hamburg. Es ist vor allem ein Satz, der ins Auge springt. „Viele Flüchtlinge ziehen es vor, an einem sicheren Ort in der Region zu bleiben.“ So steht es in der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion. Anträge auf Asyl würden von den in Deutschland lebenden Verwandten gestellt und seien – so die Erfahrung aus den Verfahren – nicht immer mit den in der Krisenregion lebenden Angehörigen abgestimmt. Die Bundesrepublik hat seit 2011, dem Beginn des Krieges in Syrien, etwa 80.000 Flüchtlinge aufgenommen, 2193 davon in Hamburg. 2014 reisten 46.912 Schutzsuchende nach Deutschland ein, mehr als in den drei Jahren zuvor (30.899). Viele von ihnen kamen auf eigene Faust, auch über die gefährlichen Routen über das Mittelmeer. Denn die Kontingente nach Deutschland sind begrenzt, obwohl noch etliche Menschen aus Syrien um Asyl in Europa bitten. Laufen die Hilfsprogramme der Bundesregierung an den wirklich Schutzbedürftigen vorbei?

Seit dem Beginn des Krieges zwischen den Truppen des syrischen Diktators Baschar al-Assad, islamistischen Milizen und Einheiten der Opposition starteten Bund und Länder insgesamt drei Aufnahmeprogramme für Flüchtlinge aus Syrien. Insgesamt 26.909 Menschen erhielten dadurch Asyl. Doch bisher sind laut Innenministerium nur gut 15.000 nachweislich nach Deutschland eingereist. Das heißt auch, dass knapp 10.000 Flüchtlinge bereits ein Visum für Deutschland besitzen, aber noch im Krieg oder auf der Reise hierher sind. Die innenpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Ulla Jelpke, fordert die Regierung von Union und SPD auf, die Auswahl der sogenannten Kontingentflüchtlinge zu überprüfen und die Asylverfahren sowie die Einreise zu beschleunigen. So sind nach Angaben des Innenministeriums auch freie Sonderplätze für schwerkranke Syrer nicht ausgeschöpft.

Ausschlaggebend für die deutlich geringere Zahl der tatsächlich eingereisten Flüchtlinge ist laut Jelpke der Fokus der Behörden auf den Nachzug zu bereits hier lebenden Verwandten. „Viele Syrer konnten nur nach Deutschland kommen, weil ihre Verwandten hier vollständig die Lebenshaltungskosten tragen“, sagt Jelpke dem Abendblatt. Um einen der 11.000 Plätze der Länderkontingente zu bekommen, benötigen Flüchtlinge aus Syrien eine Verpflichtungserklärung ihrer Verwandten in Deutschland. Die Familie übernimmt damit die gesamten Kosten für den fliehenden Verwandten. Mittlerweile trägt der Staat die Kosten für medizinische Behandlung. „Richtig wäre hingegen, diese Verpflichtung zu befristen“, sagt Linkspolitikerin Jelpke. Es sei nicht miteinander vereinbar, einerseits die humanitären Ziele der Aufnahmeprogramme zu betonen und andererseits die Kosten dafür Privatpersonen überzuheften. Jelpke hebt hervor: „Für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge muss ein dauerhafter Kanal für eine Einreise nach Deutschland geöffnet werden. Sich von Aufnahmeprogramm zu Aufnahmeprogramm zu hangeln, kann auf Dauer keine Lösung sein.“

Das Innenministerium weist nun in der Antwort auf die Fragen der Linken darauf hin, dass nur bei einem Bruchteil der registrierten Flüchtlinge (528 Personen) die Familie sich für die Kosten verpflichtet habe. Das zeige: Das Ziel der Hilfe stehe nicht in Frage. Für die bisher etwa 10.000 Flüchtlinge, die zwar ein Visum für Deutschland haben, jedoch noch nicht eingereist sind, hat die Bundesregierung mehrere Erklärungen: Zum einen würden viele Flüchtlinge ihre Einreise erst mit deutlicher Verzögerung bei den deutschen Behörden melden. Zum anderen würden manche Familien nicht sofort aus Syrien ausreisen, sondern beispielsweise erst das Ende des Schuljahres abwarten.