Seit langem wirft der Westen Russland eine unzulässige Beteiligung am Ukraine-Konflikt vor. Nun sorgt eine Äußerung über angebliche Waffenlieferungen gleich mehrerer Nato-Staaten an die Ukraine für Aufsehen. Was steckt dahinter?

Kiew. Die ukrainische Regierung hat mit Äußerungen zu Waffenlieferungen einzelner Nato-Staaten international Verwirrung ausgelöst. Die USA sowie Frankreich, Italien, Polen und Norwegen hätten der prowestlichen Führung jetzt eine solche Unterstützung für ihren Kampf gegen die Separatisten im Osten versprochen, sagte der ukrainische Präsidentenberater Juri Luzenko am Sonntag in Kiew. Die USA, Norwegen und auch Polen wiesen die Angaben umgehend zurück.

Zugleich erwies sich die nach monatelangen Kämpfen am Freitag vereinbarte Feuerpause am Wochenende trotz aller Friedensbeteuerungen der Konfliktparteien als brüchig. Die prorussischen Separatisten streben nun eine Abspaltung von der Zentralmacht auf dem Verhandlungsweg an, wie sie am Abend bekanntgaben.

Die Aufständischen würden sich „in sieben bis acht Tagen“ in Minsk mit Vertretern der Ukraine, Russlands und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) treffen, sagte Separatistenführer Alexander Sachartschenko dem Moskauer Radiosender Kommersant-FM. Thema in der weißrussischen Hauptstadt soll eine Unabhängigkeit der selbst ernannten „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk sein. „Der mit Kiew vereinbarte Sonderstatus ist nicht endgültig“, sagte Sachartschenko. Kiew lehnt eine Abspaltung ab.

Der Separatistenführer Pawel Gubarew sagte, die Aufständischen hätten ihren Plan eines eigenständigen Staates Noworossija (Neurussland) in der Ostukraine nicht aufgegeben. Er forderte offizielle Volksabstimmungen in den Regionen über einen Verbleib im ukrainischen Staatsverband. „Wir kämpfen um ein Noworossija von Lugansk bis Odessa“, sagte Gubarew.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bereits beim EU-Gipfel Ende August deutsche Waffenlieferungen an Kiew strikt abgelehnt. Nach den jüngsten Äußerungen kam auch ein Dementi aus den USA. „Diese Berichte sind nicht korrekt“, sagte die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates, Caitlin Hayden, der Nachrichtenagentur dpa. Es gebe eine Reihe ukrainischer Ersuchen um zusätzliche Hilfe für ihre Sicherheit, „und wir prüfen jetzt alle, um zu sehen, wie wir die Ukraine stärker unterstützen können“.

Auch Norwegen und Polen dementierten die ukrainischen Angaben. Aus Rom lag zunächst keine offizielle Stellungnahme vor. In Medienberichten hieß es aber, Italien liefere keine Waffen, dafür aber in Abstimmung mit anderen EU- und/oder Nato-Mitgliedern militärische Ausrüstung wie etwa schusssichere Westen oder Helme.

Die Nato hatte sich bei ihrem jüngsten Gipfel darauf verständigt, dass einzelne Mitgliedsstaaten künftig Waffen an die ukrainischen Streitkräfte liefern können. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko sprach von Präzisionswaffen. Konkrete Länder nannte er nicht.

Russland reagierte mit Besorgnis. Der einflussreiche Außenpolitiker Alexej Puschkow forderte die Nato mit Nachdruck zur Klarstellung auf, wozu die Waffen geliefert und gegen wen sie eingesetzt werden sollen.

Die vereinbarte Waffenruhe wurde auch am Sonntag erschüttert. Beim Einschlag von Granaten kam in Mariupol eine Frau ums Leben. Drei weitere Bewohner der strategisch wichtigen Hafenstadt am Asowschen Meer wurden schwer verletzt, wie die Stadtverwaltung mitteilte. Es waren die ersten bestätigten Opfer seit Beginn der Feuerpause am frühen Freitagabend.

Regierungseinheiten und prorussische Separatisten warfen sich gegenseitig Verstöße gegen die Friedensregelung vor. Auch in Donezk soll es wieder Tote gegeben haben. „Russland hat jetzt eine besondere Verantwortung, die Aggressionen zu stoppen“, sagte der ukrainische Außenminister Pawel Klimkin der Bild-Zeitung.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier zeigte sich besorgt über Verstöße gegen die Waffenruhe. Für einen Waffenstillstand sei sowohl in Kiew als auch in Moskau ein „starker politischer Wille“ notwendig, sagte der SPD-Politiker während eines Indien-Besuchs in Neu Delhi.

Gegen den Protest Russlands beginnen die USA und die ukrainische Marine an diesem Montag im Schwarzen Meer ein gemeinsames dreitägiges Manöver Sea Breeze 2014. Daran nehmen auch Kanada, Rumänien, Spanien und die Türkei teil. Russland hatte Manöver nahe dem Krisengebiet als „völlig unpassend“ kritisiert. Es verlegte den Lenkwaffenkreuzer „Moskwa“ (Moskau) ins Mittelmeer.

Russland kündigte Gegenmaßnahmen an, sollten die von Brüssel angekündigten neuen EU-Strafmaßnahmen gegen Moskau umgesetzt werden. Die EU sende mit der Drohung ein Signal der Unterstützung für die „Kriegstreiber“ in Kiew, warnte das Außenministerium in Moskau.

Die Botschafter der 28 EU-Mitgliedsländer hatten sich am späten Freitagabend in Brüssel auf ein neues Sanktionspaket geeinigt. Moskau hat bereits einen Importstopp für EU-Waren verhängt und zuletzt ein Überflugverbot für ausländische Fluglinien erwogen.

Im Ukraine-Konflikt begehen nach Angaben von Amnesty International Kämpfer beider Parteien Kriegsverbrechen. „Alle Seiten in diesem Konflikt haben Missachtung für das Leben von Zivilisten gezeigt und verletzen eklatant ihre internationalen Verpflichtungen“, teilte AI-Generalsekretär Salil Shetty mit.