Der neue EU-Kommissionspräsident ist Chef von 33.000 Beamten. Für Jean-Claude Juncker ist ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen, für Kritiker ein Albtraum.

Brüssel. Einst war sich Jean-Claude Juncker, 59, ganz sicher: „Europäische Politik wird zuerst in den Hauptstädten gemacht.“ Da war er selbst noch Premierminister von Luxemburg, mit insgesamt 18 Dienstjahren wurde er zum weitaus dienstältesten in der Runde der Staats- und Regierungschefs der EU. Aber nun spielt die Musik für ihn woanders: Juncker wird Präsident der EU-Kommission - Chef der 33.000 Beamte zählenden, höchst wichtigen EU-Behörde.

Die Kommission verwaltet nicht nur die EU, sie schlägt auch neue Gesetze vor, sie kontrolliert die Einhaltung des EU-Rechts durch die Mitgliedsstaaten, und sie vertritt die EU international. Im Machtdreieck von Kommission, EU-Parlament und den Ratsgremien der 28 Regierungen hatten viele den Langzeitregierer Juncker eher als möglichen Ratspräsidenten gesehen. Der finassiert und taktiert im Hintergrund – ein Treiben, das Juncker meisterlich beherrscht. Doch jetzt wird er zum täglich öffentlich agierenden Geschäftsführer der EU. Dafür bekommt er monatliche Gesamtbezüge von 30.800 Euro.

Juncker bringt vieles mit, was man für diese Aufgabe braucht, vor allem Begeisterung für Europa. Als Sohn eines von deutschen Besatzern zwangsrekrutieren Hüttenwerkspolizisten ist er aufgewachsen, im politischen und auch kulturellen Spannungsfeld zwischen den beiden großen Nachbarn Deutschland und Frankreich. Frieden ist für ihn keineswegs selbstverständlich. Die EU sei vor allem ein großes Friedensprojekt: „Zwei Wochen Krieg sind teurer als zehn Jahresbudgets der EU.“

Juncker erfand Maastricht und den Euro

Seit seinem 28. Lebensjahr war Juncker nach abgeschlossenem Jurastudium Mitglied diverser luxemburgischer Regierungen. 1989 wurde er Finanzminister seines Landes und war einer der Autoren des Vertrags von Maastricht, mit dem die EU zu einer politischen und Währungsunion werden sollte.

1995 wurde er Premierminister und zum Miterfinder der Euro-Währung. Von 2005 bis Anfang 2013 war er Vorsitzender der Eurogruppe („Das ist nicht vergnügungssteuerpflichtig“) und damit einer der wichtigsten Krisenmanager nach dem Ausbruch der Schuldenkrise. Er gilt als Politiker, der das Kleingedruckte liest und sich im Finanzbereich in komplexen Details auskennt – was die Suche nach einem Kompromiss erleichtert. Er spricht stets sehr leise: „Wir sind Harmonisierer aus Berufung“, sagt der Luxemburger.

Eigentlich hatte er in Luxemburg bleiben wollen und von einem beschaulicheren Leben als Premierminister des Großherzogtums geträumt. Daraus wurde nichts, weil eine undurchsichtige Abhör- und Geheimdienstaffäre – in deren Verlauf Juncker einräumte, die luxemburgischen Agenten nicht ausreichend kontrolliert zu haben – im Oktober 2013 zu Neuwahlen führte. Zwar wurden Juncker und seine Christsoziale Partei wieder stärkste Kraft, doch schmiedeten Liberale, Sozialdemokraten und Grüne eine ganz große Koalition gegen ihn.

„Ich bin nicht blöder als die anderen“

Im Dezember 2013 schied Juncker enttäuscht aus dem Amt – fühlte sich um das Amt des Regierungschefs betrogen und vom Posten des Oppositionsführers in Luxemburg erkennbar unterfordert: Er ist ein Mann, der sich in vier Sprachen – Luxemburgisch, Deutsch, Französisch und Englisch – vor allem auf dem internationalen Parkett wohlfühlt. Als die europäischen Christdemokraten einen Spitzenkandidaten für die Europawahl suchten, mussten sie Juncker nicht lange bitten.

Seither hat er sich vor allem bemüht, den unter anderem vom britischen Regierungschef David Cameron erhobenen Vorwurf auszuräumen, er verkörpere eine „alte“, bürokratische EU und habe nicht mehr genügend Kraft, um Europa und seine Bürger wieder miteinander zu versöhnen. „Ich will nicht Präsident werden, damit Europa bleibt, was es ist“, sagt er. Juncker weist Zweifel an seiner Fitness für große und anstrengende Aufgaben zurück. Selbstbewusst war er schon immer: „Ich bin nicht blöder als die anderen.“