Im Osten der Ukraine wird weiter gekämpft, viele Wahllokale blieben geschlossen. Im Westen bildeten sich dagegen lange Schlangen vor den Wahllokalen. Bei Gefechten starben ein italienischer Journalist und mindestens zwei Soldaten.

Kiew. Unter dem Schutz bewaffneter Polizisten haben Millionen Ukrainer in der schwersten Krise des Landes einen neuen Präsidenten gewählt. In Kiew sowie im Westen des Landes mussten wegen des Andrangs viele Wähler am Sonntag längere Zeit warten, um ihre Stimme abgeben zu können. In der teilweise von militanten Separatisten kontrollierten Ostukraine öffnete nur ein Bruchteil der Wahllokale. Örtlich Medien berichteten von vereinzelten Übergriffen moskautreuer Kräfte auf Wahlstellen. Viele Einwohner der Gebiete Donezk und Lugansk trauten sich demnach nicht zur Wahl oder fanden keine Möglichkeit zur Stimmabgabe vor.

Schokoladenfabrikant ist Favorit

Als aussichtsreichster Kandidat galt nach Umfragen der Schokoladenfabrikant Pjotr Poroschenko. Mit weitem Rückstand lag die Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko demnach auf Platz zwei. „Ich habe für die Freiheit und die Demokratie in der Ukraine gestimmt“, sagte die 53-Jährige bei der Stimmabgabe in ihrer Heimatstadt Dnjepropetrowsk. Die Ukraine ist seit der Amtsenthebung und Flucht von Präsident Viktor Janukowitsch ins russische Exil Mitte Februar ohne gewählten Staatschef.

Bis zum Nachmittag gab es im Gegensatz zu früheren Wahlen keine landesweiten Angaben über den Stand der Wahlbeteiligung. Schafft keiner der insgesamt 21 Kandidaten die absolute Mehrheit, gibt es am 15. Juni eine Stichwahl.

Die Regierung in Kiew hatte die Rekordzahl von etwa 3000 internationalen Wahlbeobachtern aus rund 20 Ländern eingeladen. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kündigte an, mit etwa 1000 Experten im Einsatz sein, darunter nach Angaben von Außenminister Frank-Walter Steinmeier rund 100 Deutsche. Mit Verweis auf die prekäre Sicherheitslage hatte die OSZE unmittelbar vor der Wahl angekündigt, höchstwahrscheinlich keine Beobachter nach Donezk oder Lugansk zu schicken.

Regierungschef Arseni Jazenjuk zeigte sich in Kiew zuversichtlich. „Wir werden ein legal gewähltes Staatsoberhaupt bekommen“, sagte der prowestliche Politiker. Die Regierung in Kiew, die EU und die USA hoffen, dass die Abstimmung die Lage in der Ukraine stabilisiert. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte am Sonnabend im Gespräch mit Vertretern internationaler Medien bekräftigt, Moskau werde das Votum respektieren, sprach aber nicht ausdrücklich von einer „Anerkennung“. Das Wahlergebnis soll nach einem Parlamentsbeschluss in Kiew in jedem Fall Gültigkeit haben.

Wahl in Ostukraine in weiten Teilen nicht möglich

Im Osten der Ukraine gibt es indes in weiten Teilen des krisengeschüttelten Ostens kaum Möglichkeiten zur Stimmabgabe. In der Millionenstadt Donezk habe bisher kein Wahllokal geöffnet, teilte die von Kiew eingesetzte Gebietsverwaltung am Sonntag mit. Um 9.30 Uhr Ortszeit (8.30 Uhr MESZ) sei im gesamten Gebiet Donezk die Stimmabgabe in 426 von insgesamt 2430 Wahlbüros möglich gewesen. Es lägen allerdings noch nicht Informationen aus allen Teilen der Region vor.

Örtliche Medien berichteten von vereinzelten Angriffen auf Wahllokale, etwa in der Stadt Dokutschajewsk. Im benachbarten Gebiet Lugansk könne vermutlich nur in zwei von zwölf Bezirken gewählt werden, betonte eine Nichtregierungsorganisation. In zwei Städten wurden zudem die Bürgermeisterwahlen abgesagt. In der Region halten prorussische Separatisten zahlreiche Verwaltungsgebäude besetzt. Es kommt immer wieder zu Gefechten mit Regierungstruppen. In den von Separatisten teilweise kontrollierten östlichen Gebieten leben etwa 6,5 Millionen Menschen.

Die Abstimmung sollte bis 20.00 Uhr Ortszeit (19.00 Uhr MESZ) dauern. Bei der Wahl in der zweitgrößten Stadt Charkow im Nordosten gab es zunächst keine Zwischenfälle. Dagegen öffnete im Gebiet Donezk nur jedes sechste Wahllokal. Im benachbarten Gebiet Lugansk könne vermutlich nur in zwei von zwölf Bezirken gewählt werden, betonte eine Nichtregierungsorganisation.

Die Gebietshauptstadt Lugansk ist vollständig unter Kontrolle prorussischer Separatisten. In zwei Städten wurden zudem die Bürgermeisterwahlen abgesagt. In der Region halten moskautreue Kräfte zahlreiche Verwaltungsgebäude besetzt. Sie haben sich nach umstrittenen Referenden von Kiew losgesagt. Es kommt immer wieder zu Gefechten mit Regierungstruppen. Dabei sollen in der Nacht zum Sonntag zwei ukrainische Soldaten getötet worden sein. Nahe der Separatisten-Hochburg Slawjansk gerieten ausländische Reporter unter Beschuss. Dabei wurde ein italienischer Fotograf getötet. Auch sein Dolmetscher soll ums Leben gekommen sein.

In Kiew waren die Einwohner zugleich zur Wahl eines neuen Bürgermeisters aufgerufen. In letzten Umfragen lag Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko deutlich in Führung. Er hatte 2006 und 2008 bei der Abstimmung jeweils verloren.

Blutige Kämpfe forderten mehr als 150 Todesopfer

Die von blutigen Kämpfen zwischen Regierungssoldaten und Separatisten geprägten Wochen vor der Wahl mit mehr als 150 Toten seit Mitte April haben die Ukraine an den Rand eines Bürgerkriegs gebracht. Die Behörden sahen sich sogar genötigt, Stimmzettel im Schutze der Nacht mit Panzern und Hubschraubern in die Wahlbüros im Osten der Ukraine zu bringen.

Der ukrainische Übergangsregierungschef Arseni Jazenjuk rief seine Landsleute trotz der anhaltenden Kämpfe im Osten des Landes zur Stimmabgabe auf. Seine von westlichen Regierungen unterstützte Interimsführung in Kiew betrachtet die Wahl als wichtige Etappe, um den blutigen Konflikt mit den Separatisten im Osten friedlich zu lösen. Für den neuen Präsidenten des wirtschaftlich schwer angeschlagenen Landes wird es außerdem darum gehen, zugleich westliche Finanzierungsquellen zu erschließen und die Beziehungen mit Russland zu normalisieren.

Russlands Präsident Wladimir Putin bekräftigte am Sonnabend in einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem französischen Staatschef François Hollande, er werde das Abstimmungsergebnis „respektieren und mit den künftigen Autoritäten zusammenarbeiten“, wie der Elysée-Palast mitteilte. Für politischen Zündstoff dürfte indes sorgen, dass Putins Regierungschef Dmitri Medwedew am Sonntag die Krim besuchen wollte.