Hamburgs Bürgermeister versteht die Skepsis seiner Genossen nicht. Die Grünen gehen schon auf die Kanzlerin zu. Finanzminister Schäuble: Es könnte sehr schnell gehen.

Hamburg/Berlin. Sie war seine Chefin – und er fand das offenbar nicht so schlimm wie andere Genossen: Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hat sich für eine Wiederauflage der Großen Koalition im Bund ausgesprochen. In dieser Konstellation war Scholz Arbeitsminister unter Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Scholz, der auch stellvertretender SPD-Vorsitzender ist, sagte vor Beginn der zweiten Sondierungsrunde mit der Union: „Die Wähler haben uns beauftragt, aus dem Wahlergebnis etwas zu machen“, so Scholz im „Spiegel“. Der Skepsis vieler Sozialdemokraten wegen der Erfahrungen mit Schwarz-Rot von 2005 bis 2009 entgegnete Scholz: „Die SPD hat vor vier Jahren nicht wegen ihrer Beteiligung an der Großen Koalition ein so miserables Ergebnis erzielt.“ Eine Niederlage sei „keine Gesetzmäßigkeit nach einer Großen Koalition“.

Dagegen sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, die Einführung eines Mindestlohns von 8,50 Euro sei eine Bedingung für die Bildung einer Großen Koalition. „Ohne die Vereinbarung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro wird es eine Regierungsbeteiligung der SPD nicht geben“, sagte Nahles der „Bild am Sonntag“. Alles andere würden die SPD-Mitglieder nicht akzeptieren.

Allerdings scheint der Mindestlohn ohnehin nicht mehr so umstritten zu sein wie im Wahlkampf. CSU-Chef Horst Seehofer hatte erklärt, in dieser Frage sei man sich „sehr nahe“. Nach Medienberichten gibt es eine Kompromisslinie zwischen SPD und Union, wonach die Sozialdemokraten im Gegenzug zum Mindestlohn auf ihre Forderung nach Einführung von Euro-Bonds verzichten würden. Diese Gemeinschaftsanleihen der Europäer lehnt die Union strikt ab.

Vor dem zweiten Sondierungsgespräch mit der Union hat der neue Grünen-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter Korrekturen am umstrittenen Steuerkonzept seiner Partei angedeutet. „Sicher war nicht jedes Detail richtig. Wir haben Fehler gemacht“, sagte er der „Welt am Sonntag“. „Vielleicht war das zu viel auf einmal: Ehegattensplitting abbauen, Vermögensabgabe einführen, Spitzensteuersatz anheben. Wir müssen uns fragen, ob unser kompliziertes Konzept zur Abschmelzung des Ehegattensplittings in Zukunft noch sinnvoll ist. Aber jede Änderung am Steuerkonzept setzt eine Debatte über unsere politischen Prioritäten voraus.“

Die Grünen hatten in ihrem Wahlprogramm Steuererhöhungen für Gutverdiener angekündigt und bei der Bundestagswahl mit nur 8,4 Prozent eine herbe Niederlage kassiert. Nun wollen sie am Dienstag ihre Sondierungsgespräche mit den Spitzen von CDU und CSU über die Chancen für eine erste schwarz-grüne Koalition auf Bundesebene fortsetzen. Im Mittelpunkt soll dabei die Steuerpolitik stehen. Unions-Vertreter sind gegen Steuererhöhungen.

Hofreiter kündigte außerdem eine Neuausrichtung seiner Partei an: „Natürlich muss sich einiges ändern bei uns. Damit meine ich nicht so sehr unsere Grundüberzeugungen und programmatischen Konzepte, sondern unseren Habitus, unsere Tonlage. Statt etwa die Energiewende oder unser Steuerkonzept als technokratische Ansammlung von Details darzustellen, müssen wir mehr darauf achten, die Dinge zu erklären und zu begründen.“

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) rechnet damit, dass eine neue Bundesregierung „viel schneller“ feststeht als erwartet. „Ich glaube, dass wir Mitte November ungefähr eine neue Regierung haben werden“, sagte Schäuble bei einer Pressekonferenz am Rande der Herbsttagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank in Washington.

Könnten die Deutschen das nächste Bundeskabinett nach ihren Wünschen zusammenstellen, würde Finanzminister Schäuble seinen Posten behalten und SPD-Chef Sigmar Gabriel neuer Wirtschaftsminister. Das geht aus einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid im Auftrag der „Bild am Sonntag“ hervor, die den Befragten allerdings nur eine eingeschränkte Wahl ließ. Danach sind 52 Prozent der Bundesbürger für eine Große Koalition und nur 25 Prozent für eine Premiere von Schwarz-Grün.

Die Kompetenzen, die den einzelnen Parteien zugebilligt werden, schlagen sich auch in der Wunschverteilung der Ressorts nieder: Demnach ist eine Mehrheit der repräsentativ Befragten der Meinung, dass die Union idealerweise die Ministerien für Wirtschaft (61 Prozent), Finanzen (56 Prozent), Inneres (54 Prozent) und Verteidigung (52 Prozent) führen sollte. Der SPD würden am ehesten die Ressorts Arbeit und Soziales (53 Prozent), Umwelt (51 Prozent), Bildung (48 Prozent) und Familie (47 Prozent) zugeteilt.