Das sagt eine Etikette-Beraterin über die umstrittene Geste von Peer Steinbrück. Die Abendblatt-Umfrage zeigt: Die Mehrheit verzeiht dem Kandidaten.

Hamburg/Berlin. Beinfreiheit, Rock´n´Roll und Stinkefinger: SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat mit markigen, derben Sprüchen und Gesten im Bundestagswahlkampf 2013 die eigene Partei aufgeschreckt und den politischen Gegner verwirrt. Von Empörung bis Respekt reichen die Reaktionen.

Bis zum Nachmittag hatten über 1000 User bei abendblatt.de abgestimmt. Ergebnis: Etwa 60 Prozent nehmen Steinbrück die Geste nicht übel. Für rund 40 Prozent ist eine seriöse Kanzlerkandidatur des 66-Jährigen damit beendet.

Meike Slaby-Sandte, Etikette-Beraterin, zeigt im Hamburger Hotel Vier Jahreszeiten Erwachsenen und Kindern regelmäßig, wie man sich richtig benimmt. Sie sagte dem Abendblatt: „Ich finde die Geste nicht gut. Es gehört sich generell nicht, den Stinkefinger zu zeigen. Vor allem als Kanzlerkandidat hat man da auch eine Vorbildfunktion.“

Das sage sie nicht nur als Etikette-Beraterin, sondern auch als Mutter zweier Kinder. „Ich sage: „Finger weg vom Stinkefinger. Es hat allerdings hanseatische Größe und auch eine gewisse Coolness, dass Peer Steinbrück jetzt ganz offen dazu steht."

Auf der Titelseite des am Freitag erschienenen Magazins der „Süddeutschen Zeitung“ ist Steinbrück mit ausgestrecktem Mittelfinger zu sehen. Das Foto entstand im Rahmen einer Serie, in der mit Gestik und Mimik auf Fragen geantwortet wird. Steinbrück war in Anspielung auf den holprigen Start seines Wahlkampfes gefragt worden: „Pannen-Peer, Problem-Peer, Peerlusconi – um nette Spitznamen müssen Sie sich keine Sorgen machen, oder?“ Daraufhin zeigte er den Stinkefinger.

Steinbrück verteidigte die Geste: „Ich finde, wir sollten alle auch den Humor haben im Wahlkampf. Für alle, die den nicht haben: Die sollen in den Keller gehen zum Lachen.“ Der Chefredakteur des „SZ“-Magazins, Timm Klotzek, betonte, der Titel sei nicht absichtlich so kurz vor der Wahl am 22. September veröffentlicht worden. Der Termin sei „von Anfang an abgesprochen“ gewesen.

In der SPD sorgte das Foto für Befremden. Aufgeregtheiten über Interviews, Fotos oder Personalspekulationen behinderten nur die „Kampfkraft“ in der heißen Wahlkampfphase, sagte der Parteilinke Ralf Stegner zu „Handelsblatt Online“. Gelassen gab sich der bayerische SPD-Spitzenkandidat Christian Ude. „Sicherlich war das eine risikofreudige Geste“, sagte er dem Sender N24. Im bayerischen Landtagswahlkampf sei dies „aber nicht das wichtigste Thema“.

Auf Distanz ging die Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt: Die Geste sei wohl Steinbrücks nonverbale Art, Klartext zu sprechen, sagte sie dem Sender MDR Info. „Meine Form wäre das nicht.“ Grünen-Fraktionschefin Renate Künast kommentierte das Bild hingegen mit Humor: „Ich habe spontan gedacht, auch in Steinbrück steckt so'n cooler Jugendlicher“, sagte sie am Freitag AFP.

Auch im Kurznachrichtendienst Twitter wurde die Geste unter Stichworten wie #peerfinger und #stinkefinger lebhaft diskutiert. Viele Kommentare ließen auch Sympathie für Steinbrück erkennen.

Klare Ablehnung kam von den Regierungsparteien. „Die Bürger können sich nun erneut ein Bild vom Kandidaten machen“, sagte Unionsfraktionschef Volker Kauder der „Welt“ (Sonnabend). „Steinbrücks Geste ist nicht nur eine derbe Beleidigung, sondern auch der Abschied von Rot-Grün“, sagte FDP-Generalsekretär Patrick Döring zu „Handelsblatt Online“. „Wer so etwas macht, hat mit der Kanzlerschaft abgeschlossen.“

Regierungssprecher Steffen Seibert sagte zu der Angelegenheit lediglich: „Ich kann nur sagen, ich habe dazu keine Worte.“ Die Rubrik, in der Steinbrück ohne Worte auf Fragen antwortete, trägt den Titel „Sagen Sie jetzt nichts.“

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen (Tübingen, früher Hamburg) bezeichnet die Diskussion über den Mittelfinger von Steinbrück als Symptom für einen „Wahlkampf der totalen Mattheit“. Hauptmerkmal dieses Wahlkampfs sei sein „programmatischer Unernst“, so Pörksen zum epd. „Eine solche Geste kann nur wichtig werden, weil die Inhalte kaum interessieren und polarisieren.“

Pörksen sagte, mit dem Foto werde der „Schemabruch visuell dokumentiert: der Kanzlerkandidat im Rausch pubertärer Provokation“. Steinbrück inszeniere hier die Inszenierungsverweigerung. „Das soll eine besondere Echtheit, eine authentische Rauheit suggerieren, die SPD-intern als 'Klartext' gilt.“

Im Hamburger Abendblatt lesen und sehen Sie am Sonnabend die Reaktionen der Hamburger Polit-Größen.

Mit Material von dpa und epd