Palästinenserpräsident Mahmud Abbas will heute Antrag auf staatliche Anerkennung gegen den Widerstand Israels und der USA stellen.

Hamburg. Es ist die größte Generaldebatte in der 66-jährigen Geschichte der Vereinten Nationen. Eine Woche lang dauert sie, 200 Politiker haben sich in die Rednerliste eingetragen, alle 193 Mitgliedstaaten der Uno nehmen teil.

Dieser Tage entfaltet sich am United Nations Plaza am New Yorker East River ein weltpolitisches Drama, dessen Ausprägung und Konsequenzen noch nicht absehbar sind. Von einer Wiederbelebung des Friedensprozesses im Nahen Osten bis hin zu Aufruhr und Kriegsgefahr ist alles möglich.

Es geht um die feste Absicht von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, heute vor der Uno einen Antrag auf Vollmitgliedschaft der palästinensischen Autonomiegebiete zu stellen. Die rund vier Millionen Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen wollen endlich in einem eigenen, unabhängigen Staat leben.

Abbas begründet seinen einseitigen, gegen Israel gerichteten Schritt mit einer destruktiven Blockadehaltung Israels beim Nahost-Friedensprozess. Vor allem die Weigerung der rechtskonservativen Regierung von Benjamin Netanjahu, auf den Bau weiterer jüdischer Siedlungen auf palästinensischem Territorium zu verzichten - geschweige denn, die schon bestehenden aufzugeben -, ist Haupthindernis für eine Lösung.

+++ Palästinenser erinnern Obama an Versprechen +++

Zudem bezieht sich Abbas ausdrücklich auf eine grundlegende Rede von US-Präsident Barack Obama vor der Uno im vergangenen Jahr. Darin hatte Obama den September 2011 als letztmögliches Datum für eine Nahost-Friedenslösung genannt, die dann einen Palästinenserstaat beinhalten sollte. Wenn alle Seiten sich bemühten, könne ein Palästinenserstaat 2011 als neues, souveränes Mitglied der Staatengemeinschaft begrüßt werden, hatte Obama damals gesagt.

Doch der Friedensprozess ist derzeit klinisch tot; und die Palästinenser wollen ihr Schicksal nun in die eigenen Hände nehmen. Gestern trat Obama wieder ans Rednerpult, beschwor 35 Minuten lang eine einvernehmliche Lösung. Der Weg zum Palästinenserstaat führe nur über Verhandlungen mit Israel, betonte der US-Präsident. "Es gibt keine Abkürzung." Die Israelis waren entzückt, die Palästinenser enttäuscht.

Das Uno-Prozedere für einen solchen Antrag türmt rechtliche Hürden vor Abbas auf. Denn der Sicherheitsrat mit seinen fünf Ständigen und zehn Nichtständigen Mitgliedern muss einem solchen Ersinnen zunächst zustimmen. Dann muss die Vollversammlung mit einer Zweidrittelmehrheit dafür votieren - sie liegt bei 129 Stimmen, die die Palästinenser gewiss erreichen würden. In den vergangenen Tagen hatten Abbas und seine Delegation unaufhörlich mit den Uno-Diplomaten vor allem der 15 Staaten im Sicherheitsrat gesprochen, um sich die dort notwendige Mehrheit von neun Stimmen zu sichern. Das Problem: Die USA haben angekündigt, mit ihrem Veto-Recht den Antrag im Rat abzuschmettern.

Dann bliebe Abbas nur die Möglichkeit, sich an die Vollversammlung direkt zu wenden und den Status eines Ständigen Beobachters als Nichtmitgliedstaat zu beantragen. Einen derartigen Status hat der Vatikan. Dazu reicht schon eine einfache Mehrheit im Plenum aus. Bislang sind die Palästinenser nur einfache Beobachter.

Alle Seiten stecken in einem Dilemma. Die Palästinenser wollen die staatliche Anerkennung, Israel will das unbedingt verhindern. Nicht nur, weil eine geregelte Friedenslösung damit umgangen würde und völkerrechtliche Probleme wie der Status des von den Palästinensern beanspruchten Ostjerusalem ungelöst blieben, sondern auch, weil die Palästinenser mit einem Staats-Status gegen Israels Besatzungsregime vor dem Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte klagen könnten.

Die USA, deren Ansehen und Einfluss im Nahen Osten ohnehin dramatisch gesunken sind, sähen sich im Falle eines Vetos der kollektiven Wut der arabischen Welt ausgesetzt. Ähnliches gilt für Deutschland, das aus Rücksicht auf Israel wohl ebenfalls gegen eine einseitige Ausrufung eines Palästinenserstaates stimmen will. US-Diplomaten bemühten sich, im Sicherheitsrat eine Mehrheit gegen den Abbas-Plan zu bekommen, sodass ein US-Veto unnötig würde. Der wichtigste arabische Verbündete der USA, Saudi-Arabien - bezeichnenderweise ein rigides Despoten-Regime - hat Washington für den Veto-Fall mit der Überprüfung der Beziehungen gedroht. Im Zuge der Querelen an der Uno könnte es in der ganzen arabischen Welt zu Massendemonstrationen und zu gewalttätigen Reaktionen der Palästinenser kommen.

Aus Angst vor einer dritten Intifada und einer Gewaltwelle in der Region rief Obama eindringlich zu einem "neuen Kraftakt" aller Beteiligten auf.

Ein Krisengespräch zwischen Obama, der von US-Außenministerin Hillary Clinton begleitet wurde, und Abbas am Rande der Generaldebatte blieb aber offenbar ergebnislos. Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy meldete sich mit einem ehrgeizigen Kompromissvorschlag zu Wort. Danach soll die Uno die Palästinenser zunächst als Beobachterstaat (Observer State) anerkennen. (Und damit implizit als Staat.) Dann sollen Israel und die Palästinenser innerhalb von sechs Monaten neue Friedensverhandlungen aufnehmen. Innerhalb von weiteren sechs Monaten soll es eine Einigung über den Grenzverlauf und binnen eines Jahres einen Friedensvertrag geben. PLO-Generalsekretär Jassir Abed Rabbo begrüßte diesen Plan im Grundsatz.

Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon rief Israel indessen zur Besonnenheit auf. Die Regierung in Jerusalem hatte durchblicken lassen, sie könne im Falle einer Staats-Ausrufung die Verträge mit den Palästinensern kündigen. Aufgrund der Oslo-Verträge erhalten die Autonomiegebiete für sie lebensnotwendige Gelder. Auch Washington drohte mit dem Entzug von finanzieller Unterstützung Palästinas. Einige Experten meinten, eine Entscheidung über einen Antrag im Sicherheitsrat könne sich über Monate oder gar Jahre hinziehen. In dieser Zeit könnten neue Friedensverhandlungen aufgelegt werden, um eine Eskalation im Nahen Osten zu verhindern. Die Uno will eine frontale Zerreißprobe der Staatengemeinschaft unbedingt vermeiden.