Seit Jahren fördert ExxonMobil unweit von Hamburg mit der umstrittenen Fracking-Methode. Nun regt sich Protest bei den Anwohnern.

Hamburg. Wenn sich Fuchs und Hase irgendwo Gute Nacht sagen, dann hier, im Kreis Rotenburg in Niedersachsen, 70 Kilometer südwestlich von Hamburg. Weite Felder, dichte Wälder, grasende Pferde. Schnurgerade Straßen verbinden Dörfer, in denen sich ein paar Fachwerkhäuser aneinanderreihen. Von ihren Holzbalken bitten Schutzsprüche um Gottes Gnade.

Grelle gelbe Pfosten brechen die Idylle. Unscheinbar ragen sie auf, am Straßenrand, in Feldern. Sie markieren Rohre, die anderthalb Meter unter der Erde liegen. Lange hat sich niemand um die Pfosten und die Rohre gekümmert, doch seit Januar ist alles anders. Nachrichten aus dem kleinen Ort Söhlingen, knapp 15 Kilometer entfernt von Rotenburg, bringen Unruhe in die ländliche Gemütlichkeit. Der NDR deckte auf, dass über Jahre krebserregende Stoffe aus den Leitungen in Erde und Grundwasser gesickert waren. 2500 Kubikmeter Erde mussten ausgetauscht werden. Der Energiekonzern ExxonMobil hatte die leckenden Leitungen verlegt. Seit Jahrzehnten fördert das amerikanische Unternehmen in Rotenburg Erdgas. Große Vorkommen lagern unter der Erde, 2010 wurden 30 Prozent des deutschen Erdgases hier gefördert. Rund 150-mal stießen die riesigen Bohrer Löcher in die Erde um Rotenburg. Aus etwa 100 Bohrstellen strömt noch Gas.

Die Anwohner haben sich an die Bohrtürme gewöhnt, auch an die Pfosten, die gespenstischen Feuer, die nachts lodern, wenn eine Bohrstätte abgefackelt wird. Fragen darüber, wie das Erdgas gefördert wird, hat selten jemand gestellt. "Die Menschen kennen das. Die Erdgasförderung gehört seit Langem zur Region", sagt Manfred Radtke vom BUND im Kreis Rotenburg.

Doch seit Januar und dem Unfall hat sich einiges geändert. Plötzlich werden Fragen gestellt, die Bürger sind beunruhigt. "Die Leute sind aufgeschreckt", sagt Elke Twesten, die als grüne Abgeordnete für den Kreis Rotenburg im Niedersächsischen Landtag sitzt. Vor allem die Fördermethode, Fracking genannt, steht im Mittelpunkt des Interesses. Im Gegensatz zur Förderung konventioneller Erdgasvorkommen, wo mittels einer Bohrung sogenannte Erdgasblasen angebohrt werden, müssen die Konzerne für die Förderung unkonventioneller Vorkommen nachhelfen. Dafür mischen Mitarbeiter von Exxon große Mengen an Wasser mit Chemikalien und Sand. Sie pumpen diese Frack-Flüssigkeit in die ungefähr 5000 Meter tief liegenden Gesteinsformationen. Die dichten Schichten brechen auf, Risse entstehen, das Gas entweicht und strömt durch Rohre an die Oberfläche.

Doch das Verfahren birgt Risiken - und ist weltweit umstritten. Aus den USA kommen Bilder von brennenden Wasserhähnen, weil Methan durch die Risse im Gestein in das Grundwasser strömt. Und man sieht auch Bilder von Kühen mit Fellausfall, von kranken Menschen und verschmutzten Bächen. In manchen Bundesstaaten ist das Verfahren bereits verboten. Auch Frankreich hat im Juni ein Moratorium verhängt. Nach dem Unfall in Söhlingen befassten sich die Menschen in der Region intensiver mit dem, was neben ihrer Haustüre passiert. "Die Leute sind sensibilisiert und alarmiert, wollen Informationen", sagt Elke Twesten. Erinnerungen an das Jahr 2004 kommen hoch. Damals hatte ein Erdbeben der Stärke 4,5 Söhlingen erschüttert. Ein Hamburger Geologe vermutete einen Zusammenhang mit der Erdgasförderung. Bewiesen ist es nicht.

Nun wächst in der Region Widerstand. Bald soll eine Bürgerinitiative ins Leben gerufen werden. Für August plant die Ortsgruppe der Grünen eine Veranstaltung. Die Linken verteilen Flyer, um die Menschen für die Gefahren von Fracking zu sensibilisieren. Wut löst vor allem die Verschwiegenheit von Behörden und Energiekonzernen aus. "Wieso wurden wir nie über die Fördermethoden informiert?" Diese Frage eint alle in der Region, vom CDU-Bürgermeister über den Geschäftsführer des Bauernverbands bis zu den Linken. Vor allem das Einpressen von Chemikalien in die Erde löst Angst aus: "Wir wussten, dass gefördert wird. Aber von den Chemikalien haben wir nach dem Vorfall in Söhlingen zum ersten Mal gehört", sagt Markus Luckhaus, Bürgermeister der Samtgemeinde Sottrum.

Informiert wurde nicht, weil die Gesetze viel Spielraum gewähren. Das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) entscheidet darüber, wer wo bohren darf. Die Anwohner, aber auch die Lokalpolitiker, müssen nur informiert werden, wenn eine Umweltverträglichkeitsprüfung , kurz UVP, eingeleitet wird. Die wiederum ist erst vorgeschrieben, wenn Konzerne täglich mehr als 500 000 Kubikmeter fördern - eine Zahl, von der die Firmen nur träumen können, wenn sie das Gas aus dem massiven Gestein holen. Für Stefan Wenzel, den Fraktionschef der Grünen im Niedersächsischen Landtag, ist das Bergrecht "ein Anachronismus, der beseitigt gehört". Die Grenze für eine Kontrolle der Bohrlöcher durch die Behörden sei viel zu hoch. Werner Zittel von der Energy Watch Group fordert eine Anpassung der Gesetze an die neuen Fördertechniken, vor jeder Bohrung solle eine UVP durchgeführt werden.

Doch wie schädlich ist das Fracking wirklich für die Natur? Das Bundesumweltministerium warnt vor hohem Wasserverbrauch und der Verunreinigung von Grund- und Trinkwasser. Auch Zittel sieht Gefahren: Beim Mischen der Frack-Flüssigkeit an der Oberfläche könnten Chemikalien austreten, beim Durchbohren der Grundwasserspeicher könnten die Rohre lecken. Dazu kommen die Risiken nach der Förderung: Von der eingepressten Flüssigkeit verbleiben 20 bis 30 Prozent in der Erde, der Rest sprudelt durch die Rohre zurück an die Oberfläche, wird vom Gas getrennt und dann in den gelb markierten Leitungen zu sogenannten Versenkbohrungen gebracht. Dort entsorgt man die Brühe in alten Lagerstätten.

Die unkonventionelle Erdgasförderung ist ein Spiel mit dem Feuer - aber ein Spiel, das sich lohnt. Gas wird bei Deutschlands Energieversorgung immer bedeutender, der Atomausstieg befeuert diese Entwicklung. In Niedersachsen, wo im vergangenen Jahr 93 Prozent des deutschen Erdgases gefördert wurden, spült der Rohstoff viel Geld in die Landeskassen. 492 Millionen Euro Förderabgaben zahlten die Erdgas-Förderer 2010. Dazu kommen Gewerbesteuern für die Gemeinden, die laut dem Bürgermeister der Samtgemeinde Sottrum, Markus Luckhaus, "mit die größten Einnahmen" der betroffenen Gemeinden darstellen.

"Protect tomorrow. Today". Der Slogan prangt an der neuesten Bohrstelle von ExxonMobil in Bötersen. 20 Millionen Euro hat der Konzern dafür ausgegeben. Doch Werner Zittel bezweifelt, dass die Förderung von Gas im Gestein langfristig einen entscheidenden Beitrag zur deutschen Erdgasversorgung beisteuern kann. Er betrachtet die Fracking-Technologie kritisch: "Aufwand und Risiken sind groß, der volkswirtschaftliche Nutzen aber gering. Der Beitrag unkonventioneller Erdgasvorkommen wird in Deutschland nie über einen einstelligen Prozentbetrag hinauskommen." Norbert Stahlhut, Sprecher von ExxonMobil, widerspricht: "Wir arbeiten nach wirtschaftlichen Grundsätzen. Wenn sich das Ganze nicht lohnen würde, würden wir es auch nicht machen."

Seit dem Unfall in Söhlingen ist das Thema in Niedersachsen auf die politische Agenda gerückt. Die Grünen-Fraktion im Landtag fordert ein Fracking-Moratorium, bis die UVP für sämtliche Bohrungen Pflicht ist. Jörg Bode, FDP-Wirtschaftsminister des Landes, hält nichts von solchen Forderungen: "Das ist unsinnig. Fracking wird in der Region seit 35 Jahren unfallfrei durchgeführt." Kritischer sieht der SPD-Politiker Jo Leinen, Vorsitzender des EU-Umweltausschusses, das Verfahren. Insbesondere die UVP-Grenze ist für ihn "eine absolute Schwachstelle. Diese Grenze muss gesenkt werden." Leinen will eine Richtlinie für Energiequalität in Europa durchsetzen. "Eine Kosten-Nutzen-Analyse für die unkonventionelle Erdgasförderung ist notwendig. Wenn die nicht positiv ist, wenn zum Beispiel die Umwelt über Gebühr verschmutzt wird, dann muss man das verbieten." In einem Bericht für den EU-Umweltausschuss fordern Experten, darunter auch Werner Zittel, mehr Bürgerbeteiligung, tiefere Grenzwerte und eine Offenlegung der verwendeten Chemikalien.

ExxonMobil sieht mittlerweile ein, dass die Menschen bisher zu wenig informiert wurden. Das Unternehmen lädt Parteien und Umweltverbände nun zu Bohrstellen-Besichtigungen ein, für die Anwohner finden Informationsabende statt. Der Druck auf ExxonMobil wird sich in absehbarer Zeit jedoch nicht verringern. Im Herbst stehen Kommunalwahlen an - das Thema Fracking dürfte eine wichtige Rolle spielen.