Bei einem Gefängisausbruch in Afghanistan sind mehrere hundert Taliban-Kämpfer geflohen. Die Insassen sind über ein Tunnel ausgebrochen.

Kabul/Kandahar. In der südafghanischen Unruheprovinz Kandahar sind möglicherweise mehrere Hundert Taliban-Kämpfer durch einen Tunnel aus einem Gefängnis geflohen. Es sollen insgesamt 475 Gefangene durch den 300 Meter langen Tunnel, der über Monate gegraben wurde, entkommen sein, wie der Chef der Haftanstalt, Ghulam Destageer Mayar, am Montag sagte. Unter den geflohenen Häftlingen sollen auch zahlreiche Aufständische sein. Zur genauen Zahl machte er jedoch keine Angaben.

Die Aufständischen hätten 540 Häftlinge befreit, wie ein Sprecher der Taliban erklärte, der die Verantwortung für die Massenflucht übernahm. Demnach sollen sich rund 100 Taliban-Kommandeure unter den befreiten Häftlingen befinden, bei den anderen handele es sich um einfache Kämpfer. Die Flucht habe mehr als vier Stunden gedauert. Der Tunnel soll, den Taliban-Angaben nach, in fünf Monaten gegraben worden sein.

Die Provinzregierung von Kandahar bestätigte, dass die Ausbrecher einen Tunnel genutzt haben, der von einen Haus außerhalb der Gefängnismauern zum Trakt für politische Gefangene gegraben worden war. Ermittler prüfen jedoch, ob auch ein alter Abwasserkanal als Fluchtweg gedient haben könnte. Gouverneur Tooryalai Wesa räumte vor Reportern ein, dass das Gefängnispersonal und der Geheimdienst versagt hätten. Die genauen Umstände der Flucht würden untersucht.

In der Region Kandahar wurde unterdessen eine Großfahndung nach den Flüchtigen eingeleitet. Auch die Bevölkerung wurde zur Mithilfe aufgerufen. Nach Angaben von Gouverneur Wesa gelang es Sicherheitskräften, die ersten Ausbrecher wieder einzufangen.

Mitte 2008 hatte es in Kandahar schon einmal eine Massenflucht gegeben. Ein Taliban-Kommando mit Dutzenden Kämpfern hatte damals ein anderes Gefängnis gestürmt und rund 400 Gesinnungsgenossen die Flucht ermöglicht. Mit ihnen waren 600 weitere Gefangene geflohen. Bei der Aktion starben fast 20 Menschen, darunter 10 Polizisten.

Die Region Kandahar gilt als Hochburg der Taliban, in der diese immer wieder schwere Anschläge verüben. Erst Mitte April war bei einem Selbstmordanschlag der Polizeichef der Provinz getötet worden.

Bei der Ausbruchaktion sei zudem ein Selbstmordkommando anwesend gewesen, das jedoch nicht habe aktiv werden müssen.

Wesa gestand ein Scheitern der Sicherheitskräfte und Geheimdienste ein. Er zeigte sich aber zuversichtlich, dass die Geflohenen rasch gefunden würden, da die Behörden biometrische Daten von sämtlichen Häftlingen hätten. Die Nato-Truppe ISAF zeigte sich zu einer Beteiligung an der Suche nach den Häftlingen bereit.

Ein Sprecher von Präsident Hamid Karsai sagte in Kabul, der Gefängnisausbruch sei eine "Katastrophe“, die niemals hätte passieren dürfen. Waheed Omar sicherte eine Aufklärung der Umstände des Ausbruchs zu. Ihm zufolge wurden 13 entflohene Häftlinge wieder gefasst.

Die Provinz Kandahar gilt als Hochburg der Taliban. Trotz mehrerer Offensiven von Nato-Soldaten gegen Aufständische nahmen die Gewalttaten dort in den vergangenen Monaten zu. Vor dem Hintergrund, dass im Juli der schrittweise Abzug der ISAF-Truppen beginnen und die Sicherheitsverantwortung allmählich an die Afghanen übergeben werden soll, ist der Gefängnisausbruch ein Rückschlag für die afghanischen Behörden.

Die Flucht war der zweite große Ausbruch aus dem Gefängnis von Kandahar innerhalb von drei Jahren. Im Jahr 2008 waren rund 1000 Häftlinge, darunter viele Taliban, aus der Anstalt geflohen. Damals sprengten Helfer mit Hilfe einer immensen Lastwagenbombe ein Tor des Gefängnisses auf und ermöglichten so die Flucht.

Das Gefängnis ist die größte Haftanstalt im Süden Afghanistans. Die nun geflohenen Insassen brachen aus der Abteilung für politische Gefangene aus und machten mehr als ein Drittel aller Häftlinge aus.

Mit Material von dpa und afp