Die Partei sei in einer Existenzkrise, sagt Ex-Minister Baum. Generalsekretär Lindner könnte Westerwelle noch vor dem Parteitag ablösen.

Berlin/Hamburg. Die FDP steht vor der Kernschmelze: Die Top-Leute der Liberalen im Inneren der Partei stehen zur Disposition. Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle, Wirtschaftsminister Rainer Brüderle und Fraktionschefin Birgit Homburger bangen nach den Wahlniederlagen um ihre Ämter. Generalsekretär Christian Lindner, der mit seinem Atom-Vorstoß die Bundesregierung überholte, wird bereits als Nachfolger Westerwelles gehandelt. Dauer-Nörgler Wolfgang Kubicki hat Generalsekretär Lindner seine volle Rückendeckung für den Kurswechsel der Bundes-FDP in der Atompolitik zugesichert. Die Laufzeit der Kraftwerke müsse stärker verkürzt werden als zunächst von Rot-Grün vorgesehen, sagte Kubicki. Laut Lindner sollten alle acht alten Meiler nie wieder ans Netz. „Wer die Energiewende will, muss jetzt handeln“, sagte Kubicki.

Er ist für eine sofortige Vereinbarung mit den Betreibern. Andernfalls sei das dreimonatige Moratorium juristisch problematisch. Da die Kanzlerin es mit Gefahrenabwehr begründet habe, müssten die Betreiber vor einem Wiederanfahren erheblich nachrüsten. Er erwarte, dass die Reaktoren – darunter Krümmel und Brunsbüttel – nicht wieder ans Netz gehen.

Der Atomschwenk von Lindner findet in der FDP zunehmend Anhänger. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und NRW-Landeschef Daniel Bahr unterstützen die Festlegung Lindners auf die dauerhafte Abschaltung von acht alten Atommeilern. Auch die CDU hält einen beschleunigten Atomausstieg für machbar. „Die Koalitionsspitzen sind sich im Ziel völlig einig: Es geht um einen beschleunigten Ausstieg. Wichtige Details sind noch zu klären“, sagte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe der „Welt“.

Gesundheitsminister Philipp Rösler hält den Lindner-Vorschlag zunächst nur für einen „wichtigen Diskussionspunkt“. Er will an dem Beschluss der schwarz-gelben Koalition festhalten, erst nach einem dreimonatigen Moratorium endgültig über den Atomkurs zu entscheiden, sagte Rösler der hannoverschen „Neuen Presse“. Im „Kölner Stadt-Anzeiger“ sagte Rösler zum Gesamtzustand der FDP : „Ich denke, dass wir uns inhaltlich breiter aufstellen müssen.“ Der bei den Liberalen sehr beliebte Rösler wird immer wieder als kommender FDP-Vorsitzender gehandelt.

Der frühere FDP-Bundesinnenminister Gerhart Baum sieht seine Partei in einer „Existenzkrise“. „Es droht eine Veränderung des deutschen Parteiensystems. Die FDP droht an den Rand geschoben zu werden“, sagte Baum im ARD-„Morgenmagazin“. Die Grünen „verdrängen die FDP als traditionell liberale Partei, ohne so konsequent liberal zu sein“, sagte Baum.

FDP-Vorstandsmitglied Jorgo Chatzimarkakis forderte Westerwelle auf, bereits vor dem offiziellen Parteitag im Mai seinen Rückzug von der Parteiführung anzukündigen. „Wer als Parteivorsitzender Schicksalswahlen verliert, muss als Parteivorsitzender die Konsequenzen ziehen“, sagte Chatzimarkakis dem Magazin „Stern“. Westerwelle habe die Doppelbelastung als Außenminister und Parteivorsitzender nicht überzeugend bewältigt. Als Nachfolger schlug Chatzimarkakis Generalsekretär Christian Lindner vor. „Lindner traut sich gegen den Strich zu bürsten und die Wahrheit auszusprechen. Er kettet sich nicht sklavisch an die Union, wie es Westerwelle getan hat“, sagte er. „Ich sehe ihn als natürlichen Nachfolger.“ Westerwelle sollte die Debatte auf jeden Fall nicht unterschätzen. „In der Partei brodelt es“, sagt Chatzimarkakis. Er ist Mitglied des „Dahrendorfkreis“, einer Gruppe von Abgeordneten des Bundestags und des EU-Parlaments, die für eine sozial-liberale Ausrichtung der Partei stehen. (abendblatt.de/rtr/dpa/dpd)