Entsetzen über die “Gorch Fock“: Vorwürfe der Meuterei, der sexuellen Belästigung, Nötigung und der Tod einer 25-Jährigen kratzen am Image des Segelschulschiffs. Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) verlangt Aufklärung.

Glücksburg/Ushuaia. Das Symbol für den Frieden und Botschafterin für Deutschland ist weiß, elegant und mit stolzem Albatross. Die "Gorch Fock“, die schon mehr als 700.000 Seemeilen zurückgelegt hat, wird so weltweit wahrgenommen. Das hat sich aber seit einem tödlichen Unfall im vergangenen November an Bord des Segelschulschiffs verändert. Der Ruf leidet. Dazu trägt auch der nun veröffentlichte Brief des Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus bei. In dem Brief ist die Rede von sexueller Belästigung und Drohungen gegen Offiziersanwärter. Auch gebe es Vorwürfe der Meuterei. Nun ermittelt die Marine. Unterdessen kehrte die "Gorch Fock“ um und wartet in Argentinien auf eine Untersuchungskommission.

In dem Heimathafen Kiel legte das Segelschulschiff im August ab und nahm Kurs auf Südamerika – eine Traumreise nicht nur für die jungen Kadetten an Bord, sondern auch für den Kapitän Norbert Schatz. Die "Gorch Fock" sollte zum ersten Mal Kap Hoorn umschiffen. Dies gelang ihr Ende vergangener Woche gelang, doch zuvor stürzte im November eine 25-Jährige aus der Takelage. Nach dem Unglück stand die Mannschaft unter Schock. Kurz darauf brach die Marine die Ausbildung ab – etwas noch nie Dagewesenes in der mehr als 50-jährigen Geschichte des Dreimasters. Daraufhin flogen die 70 Lehrgangsteilnehmer zurück nach Deutschland und das Ausbildungskonzept kam auf den Prüfstand.

Auszubildende wandten sich in den Folgewochen an den Wehrbeauftragten. Ein junger Auszubildender trug in der Marineschule Mürwick vor, er sei in der Dusche von drei Soldaten sexuell belästigt worden. Außerdem wird berichtet, dass manche zum Aufentern – zum Klettern in die Takelage – teils genötigt worden zu sein, selbst bei Höhenangst. Der Druck ließ demzufolge auch nachdem ihre Kameradin gestürzt war, nur wenig nach. Dabei wollten viele unmittelbar nach dem Unglück nicht mehr in die Takelage klettern. Wegen "Meuterei und Aufhetzens“ hätten vier Offiziersanwärter von der Ausbildung abgelöst und nach Deutschland zurückgeflogen werden sollen.

Mit einer Einschätzung der Vorgänge hält sich die Marine bisher zurück. Sie verweist auf die anstehende Untersuchung. Alles andere sei Kaffeesatzleserei, heißt es. Und auch andere Stimmen mahnen vor voreiligen Schlüssen. Aufklärung wird vom Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) verlangt. Bislang hielt Guttenberg an der "Gorch Fock“ fest, obwohl sie jährlich Millionen kostet und die Bundeswehr zum Sparen gezwungen ist.

Für jeden Marinesoldaten gilt die Ausbildung an Bord des Segelschulschiffes als eine ganz besondere Herausforderung. Die 18- bis 25-Jährigen lernen das seemännische Handwerk, wie es auf einer modernen Fregatte undenkbar ist. Ein Ausbildungsoffizier hat einmal gesagt: "Den Einfluss von Wind und Wellen erfährt man hier viel stärker als auf einem Maschinenschiff." Mangelnder Komfort, fehlende Privatsphäre, Seekrankheit, unregelmäßiger Schlaf, der unmittelbare Kontakt zur oft rauen See - all dies schweißt die Crew zusammen.

Diese Schule auf der 89 Meter langen Bark – Patenschiff des schleswig-holsteinischen Landtags – fordert die jungen Offiziersanwärter – körperlich und psychisch. "Das sollte sie auch“, sagt der ehemalige "Gorch Fock“-Kommandant Immo von Schnurbein. "Es kann nicht ohne eine mit entsprechender Härte versehene Ausbildung abgehen“.

Von Schnurbein war 15 Jahre lang auf dem Dreimaster, fast sieben davon als Kapitän – bis 1992. Dass jemand nicht in die Takelage klettern wollte, habe er nicht erlebt. "Wer sagt, er will nicht, der gehört nicht auf das Schiff“. Denn das verletzte auch das Kameradschaftsprinzip – andere müssten dann die Aufgaben erledigen. Doch der Ex-Kapitän sagt auch: "Bei aller Rauheit dürfen die zulässigen Grenzen nicht überschritten werden“. (Von Nicola Kabel)

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Meuterei auf der "Gorch Fock" sorgt für Entsetzen

Die Vorwürfe wiegen schwer: Von sexueller Belästigung, Bedrohungen,Druck ist die Rede, auch das Wort Meuterei fällt. Auf dem Segelschulschiff „Gorch Fock“, dem Aushängeschild der Marine, ist es nach dem Tod einer Kadettin imNovember zu schweren Konflikten zwischen Stammbesatzung und Offiziersanwärtern gekommen. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) verlangte am Donnerstag „rückhaltlose Aufklärung“. Aufschluss erhofft er sich von einem Ermittlungsteam, das die Vorgänge aufklären soll. Die „Gorch Fock“ kehrte indes um und nahm Kurs auf ihren letzten Hafen Ushuaia in Argentinien, wo sie auf die Untersuchungskommission warten soll. Das Team wird laut Ministerium noch zusammengestellt und soll sich dann auf den Weg machen. Unklar war zunächst, wann es inArgentinien an Bord geht. Den Anstoß für die Untersuchungen hat ein Brief des Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus gegeben. Darin berichtet er unter Berufung auf Eingaben und Gespräche mit Offiziersanwärtern, dass die Stammbesatzung Auszubildende bedroht und sexuell belästigt habe. Außerdem geht es um Meuterei-Vorwürfe. Nach dem tödlichen Unfall hätten viele nicht mehr aufentern (in die Takelage klettern) wollen, heißt es in dem Schreiben. Dennoch sei starker Druck auf die Kadetten ausgeübt worden. Vier Offiziersanwärter hätten wegen „Meuterei und Aufhetzens“ von der Ausbildung abgelöst und nach Deutschland zurückgeflogen werden sollen. Königshaus stellte aber am Donnerstag klar: „Es gab keine Meuterei“. Dem Fernsehsender N24 sagte er weiter:„Es gab einige, die dort gesagt haben: Vor dem Hintergrund dieses tragischen Unfalls möchten wir nicht zum Tagesbetrieb übergehen. Das wurde von der Schiffsführung nicht gutgeheißen.“ Auch die Marine sträubt sich gegen den Begriff „Meuterei“. „Wir werden jetzt alles Menschenmögliche tun, um den Sachen nachzugehen und das aufzuklären“, sagte Marine-Sprecher Alexander vonHeimann. Die Untersuchungskommission soll zügig und mit gebotener Sorgfalt Gespräche mit allen Beteiligten führen. Die Marine erwartete den Dreimaster noch am Donnerstag gegen 18.00 Uhr deutscher Zeit in der südlichsten Stadt Argentiniens. Das Klettern in die Takelage gehört imBordalltag dazu. „Wenn es heißt Aufentern, dann heißt es aufentern. Da wird nicht diskutiert“, sagte Heimann. Aber in begründeten Einzelfällen werde davon abgesehen. Zu Vorwürfen, nach denen die verunglückte Offiziersanwärterin mit einer Körpergröße von 1,59 Meter nicht in die Takelage hätte klettern dürfen, äußerte sich die Marine zunächst nicht. „Die Untersuchungen in dem Unglücksfall sind noch nicht abgeschlossen“, hieß es. An Bord der „Gorch Fock“ ist derzeit die Stammbesatzung unter Kapitän Norbert Schatz. Die Ausbildung war nach dem tödlichen Sturz der 25-jährigen Offiziersanwärterin ausgesetzt worden. Die anderen Anwärter kehrten nach Deutschland zurück. Ihre Aufgaben wurden von der Stammbesatzung und eingeflogenen Soldaten übernommen, damit der Dreimaster die Fahrt fortsetzen konnte. Ein Ministeriumssprecher sagte: „Es gibt keine Entscheidung, dass die Reise abgebrochen wird.“ Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch, warnte vor voreiligen Schlüssen. Man müsse prüfen, ob Sicherheitsbestimmungen verletzt worden seien, sagte Kirsch dem „Hamburger Abendblatt“ (Donnerstag). „Manchmal stellt sich am Ende manches anders dar als am Anfang.“ Kirsch verteidigte das Ausbildungskonzept auf dem Segelschiff. „Es gibt keine bessere Ausbildung als auf einem Schiff, wenn es um den Crew-Gedanken geht.“ Das Konzept werde sich auch in Zukunft bewähren.

Lesen Sie dazu auch den aktuellen Abendblatt-Bericht:

Politiker bestürzt über Vorfälle auf "Gorch Fock"

Die Meuterei-Vorwürfe auf dem Marine-Segelschulschiff "Gorch Fock" sorgen für Entsetzen. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, Ulrich Kirsch, reagierte bestürzt, warnte aber vor Vorverurteilungen: "Manchmal stellt sich am Ende manches anders dar als am Anfang", sagte Kirsch dem Abendblatt. "Diejenigen, die ihren Dienst ordentlich versehen haben, müssen wir schützen. Diejenigen, die aber ein Fehlverhalten an den Tag gelegt haben, müssen zur Rechenschaft gezogen werden." Man müsse prüfen, ob Sicherheitsbestimmungen verletzt worden seien. "Wenn es so war, dann geht das zulasten der Ausbilder", stellte Kirsch fest.

Nachdem im November eine 25-jährige Offiziersanwärterin aus der Takelage gestürzt und tödlich verunglückt war, hatten sich andere Kadetten geweigert, ebenfalls in die gut 30 Meter hohen Masten zu klettern. Von Ausbildern kam dann massiver Druck, gegen vier Kadetten wurde an Bord der Vorwurf von Meuterei laut, wie jetzt aus einem Bericht des Wehrbeauftragten hervorgeht.

Der Bundeswehrverbandsvorsitzende Kirsch stellte sich zugleich hinter das Ausbildungskonzept auf dem Segelschulschiff. "Es gibt keine bessere Ausbildung als auf einem Schiff, wenn es um den Crew-Gedanken geht. Das hat sich über viele Generationen bewährt, und es wird sich auch in Zukunft bewähren", so Kirsch. Die "Gorch Fock" sei ein Markenzeichen der Marine. "Es ist bedauerlich, dass dieses tolle Schiff so schlechte Schlagzeilen bekommt", sagte er weiter. "Aber wo Menschen sind, menschelt es auch."

Auch Politiker von FDP und Union verlangen die Aufklärung der Meuterei-Vorwürfe auf der "Gorch Fock". Der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ernst-Reinhard Beck, sagte dem Abendblatt: "Die Frage ist nicht, ob die Ausbildung zu gefährlich ist. Entscheidend ist vielmehr: Ist die Ausbildung auf einem Segelschiff heute noch zeitgemäß oder nicht?" Der Hamburger FDP-Bundestagsabgeordnete Burkhardt Müller-Sönksen, Mitglied im Verteidigungsausschuss, betonte im Abendblatt: "Die Marine war bisher bekannt für ihre vorbildliche menschliche Führung." Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, müssten sie mit entsprechender Härte verfolgt werden.

Der tödliche Unfall in Brasilien war bereits der siebte seit Indienststellung des Dreimasters vor fast 53 Jahren, und der zweite unter dem Kommando von Kapitän zur See Norbert Schatz, seit dieser 2006 die Führung übernommen hatte. 2008 war die Offiziersanwärterin Jenny B. kurz vor ihrem 19. Geburtstag nachts vor der Insel Norderney über die 1,60 Meter hohe Reling in die Nordsee gestürzt. Auch 2002 und 1998 waren bereits junge Soldaten aus der Takelage gefallen und an ihren Verletzungen gestorben.