Sozialdemokrat Leichtfried sieht Ungarn Ministerpräsidenten Orban auf dem Weg zum Diktator. Dieser meint, sein Volk werde beleidigt.

Straßburg. Der eine sieht Ungarn auf dem Weg zu einer Diktatur, der andere fühlt sich im Namen seines Volkes beleidigt: Im Streit über das ungarische Mediengesetz ist es am Mittwoch im EU-Parlament zum Eklat gekommen. «Wie fühlt man sich, wenn man ein Land weg von einer Demokratie hin zu einer Diktatur führt», fragte der sozialdemokratische österreichische Abgeordnete Jörg Leichtfried den ungarischen Ministerpräsidenten Victor Orbán in der Plenumsdebatte. Provoziert durch den Vorwurf rief Orbán daraufhin, er lasse nicht zu, dass das ganze ungarische Volk beleidigt werde. Unter großem Beifall der Konservativen erklärte er es als Unsinn, dass sein Land auf dem Weg zu einer Diktatur sei.

Der Grünenabgeordnete Daniel Cohn-Bendit warf Orban vor, die Kritik am Mediengesetz für «nationalpopulistische Aussagen» zu missbrauchen. Orbán habe das Parlament in Straßburg zu Tisch gebeten. «Aber das hat uns den Appetit verdorben.»

Der hitzige Schlagabtausch täuschte indes nicht darüber hinweg, dass sich das Parlament nicht auf eine einheitliche Verurteilung des Mediengesetzes einigen konnte. Scharfe Kritik kam zwar von Liberalen, Sozialdemokraten und Grünen. Cohn-Bendit unterstellte Orbán, zu einem «europäischen Hugo Chavez» zu werden, der «das Wesen und die Struktur der Demokratie nicht versteht». Die konservative EVP-Fraktion nahm Orbán und sein Gesetz dagegen in Schutz. Der CDU-Abgeordnete Werner Langen verurteilte eine «heuchlerische und unerträgliche Kampagne» gegen ein Gesetz, das mit denen in vielen anderen EU-Staaten vergleichbar sei.

Der ungarische Regierungschef bekräftigte, er werde das Gesetz korrigieren, sollte die EU-Kommission «nachweisliche Mängel» erkennen. Der Chef der Europäischen Sozialdemokraten, Martin Schulz, forderte ihn auf, das Gesetz schon vor der Beurteilung durch die EU-Kommission zurückzunehmen und durch ein ausgewogeneres zu ersetzen. Doch eine Resolution, in der sich das gesamte Parlament hinter diese Forderung hätte stellen können, wurde angesichts der konservativen Mehrheit gar nicht erst eingebracht.

Trotz der verbalen Hiebe und Proteste – eine Hand voll Parlamentarier hatte Schilder mit der Aufschrift «Zensur» in den Plenarsaal gehalten und sich die Münder mit Klebeband versiegelt - sieht sich Orbán daher keinem massiven Druck des Parlaments mehr ausgesetzt. Entscheidend wird nun sein, ob Brüssel zu dem Urteil kommt, dass das Mediengesetz gegen EU-Recht verstößt. Wann die Beurteilung vorgelegt werden soll, ist noch offen.

(dapd/abendblatt.de)