Der umstrittene Ex-Bundesbanker und Autor Thilo Sarrazin („Deutschland schafft sich ab“) war als Lobredner bei der Mainzer Ranzengarde.

Mainz. Wor dieser Mann auftritt, sorgt er für Diskussionen und erregte Gemüter: Als „Beelzebub aus Berlin“ hat Thilo Sarrazin am Sonntag in Mainz eine Lobrede auf den Musikkabarettisten Lars Reichow gehalten. Reichow erhielt am Sonntag den „Ranzengardisten“ der Mainzer Ranzengarde, der im Jahr 2009 an Sarrazin gegangen war. In seiner Laudatio verwies der umstrittene Ex-Bundesbankvorstand darauf, dass er einige Jahre lang auch in Mainz als Staatssekretär „Asyl“ gefunden habe. Zuvor hatten rund 200 Menschen gegen den Auftritt Sarrazins demonstriert, der im vergangenen Jahr mit seinen provokanten Thesen zur Integration von Ausländern für großen Wirbel gesorgt hatte.

Die „böse Stiefschwester“ von Humor und Ironie sei der Zynismus, sagte Sarrazin weiter. „Wer länger in der Politik war, der weiß: Ein bisschen muss man zum Zyniker werden, sonst verliert man den Verstand“, meinte der frühere Berliner SPD-Finanzsenator, der in den 1990er Jahren in Mainz Finanz-Staatssekretär war. Zu Reichow meinte Sarrazin, dass dieser „uns nichts unterjubeln“ wolle. „Der macht auch nicht Meinungen runter, die er für falsch hält.“

Reichow sagte in seiner Dankesrede zu Sarrazin: „Ich habe entschieden: Wir können uns zusammenstellen, auseinandersetzen können wir uns auch später noch.“ Er habe sich zur Vorbereitung auf seinen Auftritt das Buch Sarrazins digital auf seinen Computer geladen. Mit dem Buch in der Hand habe er nicht gesehen werden wollen. Reichow sagte zu seinem Laudator: „Für mich sind Sie kein Rassist, sondern ein Gedankenspieler.“ Sarrazin solle sich doch überlegen nach seiner Zeit in der Politik zum Kabarett zu gehen.

Vor der Veranstaltung waren rund 200 Menschen mit Transparenten und Fastnachtshüten vom Mainzer Hauptbahnhof zu einer Kundgebung vor dem Kurfürstlichen Schloss gezogen. Zur „Demonstration gegen Rassismus“ hatten unter anderem der Kreisverband der Grünen und die rheinland-pfälzische DGB-Jugend in Mainz aufgerufen. „Nichts von dem, was Sarrazin beschreibt, ist eine Bereicherung für die Diskussion, geschweige denn neu, originell, oder ein Tabubruch. Seine Lösungsvorschläge sind bestenfalls unbrauchbar, schlimmstenfalls menschenverachtend“, hieß es im Aufruf.

Der Generalfeldmarschall der Ranzengarde, der ehemalige rheinland- pfälzische CDU-Landesvorsitzende Johannes Gerster, hatte vor der Veranstaltung das Kommen Sarrazins verteidigt. „Ich bin für die Freiheit von Rede und Meinung und da ist es selbstverständlich, dass er uns sehr willkommen ist“, erklärte Gerster. Er stimme zwar nicht bei allen Thesen mit Sarrazin überein, doch die Ranzengarde verteile schließlich nicht den Friedensnobelpreis und „daher bewerten wir auch keine politischen Aussagen“.

Die Fastnachtsauszeichnung „Ranzengardist“ wird seit 2005 alle zwei Jahre an „eine Person des öffentlichen Lebens“ verliehen. Preisträger waren vor Thilo Sarrazin ZDF-Intendant Markus Schächter und der Mainzer Bischof Karl Kardinal Lehmann. (dpa/abendblatt.de)

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Thilo Sarrazin: "Ich hätte eine Staatskrise herbeiführen können"

Mit seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" sorgte Thilo Sarrazin wochenlang für hitzige Debatten. Seine in dem Buch veröffentlichten provokativen Thesen zur Integration von Ausländern wurden hart attackiert. Nun zum Jahresende rechnet der aus dem Vorstand der Bundesbank ausgeschiedene Thilo Sarrazin mit seinen Kritikern ab. Für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schrieb Sarrazin in einem Beitrag von "Hass aus der politischen Klasse und einem Teil der Medien“ ihm gegenüber. Sein Buch sei in der Politik und vielen Medien "feindlich“ aufgenommen worden. Eine "beispiellose Medienkampagne" konstantierte Sarrazin. Diese hätte "verleumderische Züge". Thilo Sarrazin schreibt weiter, dass er selbst fast nur Zustimmung für sein Buch erfahre: "99 Prozent aller für mich wahrnehmbaren Reaktionen sind positiv.“

Ganz oben auf seiner Liste der Abrechnung steht unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sarrazin sieht in dem Vorgehen der Kanzlerin Parallelen zum Handeln der "Heiligen Inquisition": "Die Bundeskanzlerin eröffnete den Reigen und setzte mein Buch auf den Index, so wie es früher die Heilige Inquisition tat, indem sie erklärte, das Buch sei "nicht hilfreich“ und sie werde es auch nicht lesen“, schrieb Sarrazin. Weiter verglich Sarrazin: "An die Stelle des Scheiterhaufens trat nach ihrer Planung die Verbannung aus der Bundesbank, dazu forderte sie Präsident (Axel) Weber öffentlich auf. Der frisch gewählte Bundespräsident (Christian Wulff) stolperte eilfertig hinterher und bot seine Hilfe bei meiner Entlassung an, ohne vorher den Rechtsrat seiner Beamten einzuholen.“ "Mit ein bisschen Michael Kohlhaas im Blut hätte ich eine Staatskrise herbeiführen können", so Sarrazin weiter.

Doch Sarrazin sei nur kurze Zeit zornig über die Kritiker in Politik und Medien gewesen, die ihn verurteilten, ohne das mittlerweile 1,2 Millionen mal verkaufte Buch "Deutschland schafft sich ab“ überhaupt gelesen zu haben. Der frühere SPD- Politiker und Berliner Finanzsenator, gegen den mittlerweile ein Parteiausschluss-Verfahren läuft, sagte: "Stattdessen machte sich Verachtung in mir breit. Diese Verachtung sitzt mittlerweile tief.“

+++ Was Thilo Sarrazin geschrieben und gesagt hat +++

Unterdessen wurden das umstrittene Buch des Thilo Sarrazins "Deutschland schafft sich ab" zusammen mit dem Roman "Hummeldumm" von Tommy Jaud in Deutschland zu den Bestsellern des Jahres. Zu den erfolgreichsten Autoren zählen außerdem Jussi Adler-Olsen und Stephenie Meyer. Dies geht aus der Jahresbestseller-Liste des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" hervor.

"Hummeldumm", die Schilderung der Erlebnisse einer Reisegruppe in Namibia, führt in der Belletristik die Rangliste an. Gleich zweimal unter die Top 10 schaffte es der dänische Krimiautor Adler-Olsen: Sein Buch "Erbarmen" liegt auf Platz zwei, "Schändung" auf Platz fünf. Dritter der Jahresrangliste ist Ken Folletts "Sturz der Titanen". Großer Beliebtheit erfreut sich auch Stephenie Meyer mit ihren Vampirbüchern. Der neue Roman "Freiheit" des US-Autors Jonathan Franzen liegt auf Platz 14, einen Rang vor Ferdinand von Schirachs zweitem Buch "Schuld".

In der Sparte Sachbuch ist der millionenfach verkaufte Bestseller "Deutschland schafft sich ab" von Thilo Sarrazin erwartungsgemäß die Nummer eins. Dahinter rangiert "Das Ende der Geduld" der Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig, die sich in diesem Jahr das Leben genommen hat. (abendblatt.de/dpa)