Medienberichten zufolge sollen Diplomaten des Auswärtigen Amts offenbar tiefer im Holocaust verstrickt gewesen sein als bisher angenommen.

Berlin. Das Auswärtige Amt war offenbar tiefer in den Holocaust verstrickt als bisher angenommen. Diplomaten des Ministeriums hätten maßgeblich an der Ermordung von Juden mitgewirkt, heißt es im Abschlussbericht der 2005 vom Außenamt eingesetzten Historikerkommission, wie die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ und der „Spiegel“ am Sonnabend vorab berichteten. Die Studie wird dem Ministerium zufolge am Donnerstag im Auswärtigen Amt übergeben.

Laut „F.A.S.“fanden die Historiker Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann bei ihrer Akteneinsicht im Politischen Archiv in Berlin eine Reiseabrechnung des Leiters des sogenannten Judenreferats im Auswärtigen Amt, Franz Rademacher, der als Grund für eine Dienstreise von Berlin nach Belgrad und Budapest angibt: „Liquidation von Juden in Belgrad und Besprechung mit ungarischen Emissären in Budapest“. Zur Ausbildung der Attachés gehörte demnach von Mitte der dreißiger Jahre bis Kriegsausbruch 1939 ein Besuch bei Adolf Hitler auf dem Obersalzberg und im Konzentrationslager Dachau.

Anders als vom Auswärtigen Amt über Jahrzehnte verbreitet, schirmte sich das Amt laut „F.A.S.“-Bericht nicht etwa vom NS-Apparat ab, sondern arbeitete diesem auch bei der Judenvernichtung aktiv zu. Der Marburger Historiker Conze sagte der Zeitung, das Auswärtige Amt sei „an allen Maßnahmen der Verfolgung, Entrechtung, Vertreibung und Vernichtung der Juden von Anfang an aktiv beteiligt“ gewesen. „Das ist in dieser Gesamtschau tatsächlich schockierend.“

Ex-Minister Fischer „entsetzt„

"Das Auswärtige Amt war eine verbrecherische Organisation“, sagte Conze dem „Spiegel“. Es habe als Institution des nationalsozialistischen Regimes vom ersten Tag an funktioniert und die nationalsozialistische Gewaltpolitik zu jeder Zeit mitgetragen. Nach 1945 habe das Amt eine „hohe personelle Kontinuität mit teils schwer belasteten Diplomaten“ aufgewiesen.

Der ehemalige Außenminister Joschka Fischer (Grüne) zeigte sich erschüttert über das Ausmaß der Verstrickungen. „Ich las den Bericht und war zunehmend immer mehr entsetzt“, sagte er der „F.A.S.“. Das Ausmaß und viele Details hätten ihn überrascht.

Fischer hatte als Minister die Historikerkommission zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit des Hauses und zum Umgang mit dieser Vergangenheit in der Nachkriegszeit eingesetzt. Auslöser war der Streit über Nachrufe für Diplomaten, die durch ihre nationalsozialistische Vergangenheit belastet waren. Fischer hatte in seiner Amtszeit solche Nachrufe abgeschafft. Mit Blick auf den jetzt vorliegenden Historikerbericht sagte er, jetzt hätten solche Diplomaten „den Nachruf bekommen, den sie verdient haben“.