Beim Streit um Stuttgart 21 kommen jetzt die Argumente auf den Tisch. Schlichter Geißler will über das Pro und Kontra diskutieren lassen.

Stuttgart/Berlin. Nun soll es konstruktiv werden: Nach monatelangen Protesten gegen Stuttgart 21 wollen Gegner und Befürworter des Bahnprojekts bei den Schlichtungsgesprächen an diesem Freitag erstmals über konkrete Inhalte sprechen. Thema der ersten Runde: die Leistungsfähigkeit der geplanten unterirdischen Durchgangsstation anstelle des bisherigen Kopfbahnhofs. Die Verhandlungen im Stuttgarter Rathaus werden vom ehemaligen CDU-Generalsekretär Heiner Geißler geleitet und im Fernsehen, im Internet und auf einer Videoleinwand übertragen. Bahnchef Rüdiger Grube erhofft sich von der Schlichtung einen Meinungsumschwung zugunsten des Bahnprojekts Stuttgart 21.

Stuttgart 21 stößt inzwischen auch bundesweit auf Ablehnung. Mehr als die Hälfte der Deutschen (53 Prozent) ist dafür, dass die Arbeiten am Stuttgarter Hauptbahnhof gestoppt werden. Dies ergab eine repräsentative Umfrage für das Hamburger Magazin „stern“. Demnach erklärten nur 33 Prozent der Bürger, die Arbeiten sollten wie geplant fortgesetzt werden; dieser Ansicht sind mehrheitlich die Wähler von Union und FDP. 14 Prozent der Befragten äußerten sich unentschieden. Das Institut Forsa hatte am 14./15. Oktober 1001 Bundesbürger befragt. Die Teilnehmer sollten eine von drei Antworten ankreuzen: „Die Arbeiten am Stuttgarter Bahnhof sollten – gestoppt werden - fortgesetzt werden – weiß nicht.“ Ob die Arbeiten nur vorübergehend während der Schlichtung oder dauerhaft gestoppt werden sollten, wurde nicht gefragt.

Grube sagte der Nachrichtenagentur dpa am Donnerstag in Berlin: „Ich bin sehr zuversichtlich, dass ein Abwägen der Argumente in der Öffentlichkeit – insbesondere was Stuttgart betrifft – eine entsprechende Änderung in der öffentlichen Meinungsbildung bringt.“ Der Bahnchef unterstrich, dass er auch große Zustimmung zu dem umstrittenen Vorhaben bekomme. „Ganz viele wollen es.“ Er erhalte täglich an die 100 Briefe, die ihn ermutigten, seinen Weg konsequent weiter zu gehen. Vor allem bei Kommunalpolitikern – Landräten und Bürgermeistern – und in der regionalen Wirtschaft erlebe er großen Zuspruch. Die Projektgegner tragen ihre Proteste nun auch nach Berlin. Rund 600 Demonstranten wollen am kommenden Dienstag (26. Oktober) von Stuttgart in die Bundeshauptstadt reisen und dabei unter anderem mit den Fraktionen und Abgeordneten des Bundestags sprechen. Am Nachmittag steht eine Kundgebung auf dem Potsdamer Platz auf dem Programm. Dort ist am Abend auch ein „Schwabenstreich“ geplant. Eine Minute lang soll dann lautstark mit Trillerpfeifen und „allem, was Lärm macht“ protestiert werden. Dazu soll zeitgleich auch bundesweit aufgerufen werden.

Auch juristisch wird weiter gegen das Projekt gekämpft. Am Donnerstag reichte der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim die Klage eines Anwohners wegen fehlender Rußpartikelfilter in Baumaschinen zuständigkeitshalber an das Verwaltungsgericht Stuttgart weiter. Der Kläger will einen Baustopp bewirken. In den Schlichtungsgesprächen sollen Zahlen, Daten, Fakten auf den Tisch, abgeglichen und nüchtern diskutiert werden. Dem Vermittler Geißler geht es darum, eine Sach- und Fachschlichtung zu ermöglichen, um Ängsten entgegenzuwirken, dass beispielsweise Tunnel einstürzen oder der Tiefbahnhof aufgeschwemmt werden könnte. Parteipolitik und Emotionen will Geißler aus den Gesprächen heraushalten.

Etwa 40 bis 50 Prozent der Themen können nach Einschätzung von Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) objektiv beleuchtet werden. Der Regierungschef wird am ersten Treffen entgegen ersten Überlegungen doch teilnehmen. Es geht um den verkehrstechnischen Nutzen von Stuttgart 21 und der geplanten neuen Schnellbahnstrecke nach Ulm. Verglichen werden die Kapazitäten des geplanten unterirdischen Durchgangsbahnhofes mit acht Gleisen und die eines modernisierten Kopfbahnhofes mit 16 Gleisen. Ebenso dürften die Auswirkungen von Stuttgart 21 auf den europäischen Fernverkehr von Paris nach Bratislava, auf den Regionalverkehr im Südwesten sowie auf den Güterverkehr diskutiert werden. Am Freitag kommender Woche soll dann die Neubautrasse unter die Lupe genommen werden. Dabei geht es um die Trassenführung, die Energieeffizienz und die Steigungen auf der Strecke. Fragen der Ökologie, der Wirtschaftlichkeitsberechnungen oder des Städtebaus sind weiteren Treffen vorbehalten. Voraussichtlich am 3. Dezember sollen die Schlichtungsgespräche zu Ende gehen.