Beim G20-Gipfel haben sich die Staats- und Regierungschefs auf das konkrete Ziel geeinigt, die Staatsdefizite bis 2013 zu halbieren.

Toronto. Wachstum durch Schuldenabbau – die wichtigsten Volkswirtschaften (G20) der Erde verabschieden sich langsam von ihren milliardenschweren, auf Pump finanzierten Konjunkturprogrammen. Schärfere Spielregeln für Banken kommen dagegen frühestens im Herbst: Die Entscheidung zur Reform des weltweiten Finanzsystems vertagten die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Doppel-Gipfel in Kanada.

Gegen die von Bundeskanzlerin Angela Merkel geforderte Bankenabgabe gab es massiven Widerstand. Die deutsche Idee einer globalen Steuer auf Geldgeschäfte ist sogar ganz vom Tisch.

Die Kanzlerin sieht die Finanzpolitik Deutschlands und Europas dennoch bestätigt. „Ehrlich gesagt, ist es mehr als ich erwartet habe (...).“ In Toronto sei eine Formel für „wachstumsfreundlichen Defizitabbau“ gefunden worden. Das „entspricht eigentlich genau unserer Zeitachse.“

Bis 2013 wollen die stärksten Industrieländer nun ihre Haushaltsdefizite halbieren. Der Anteil der Schulden an der Wirtschaftsleistung soll sich möglichst verringern. Rechtlich verbindlich sind die Ziele allerdings nicht.

Da zur G20 auch aufstrebende Volkswirtschaften wie China, Indien und Brasilien gehören, nehmen die Vorgaben ausdrücklich Rücksicht auf die wirtschaftliche Ausgangslage eines jeden Landes.

Für eine neue weltweite Finanzmarktarchitektur sei der Gipfel eine „Übergangsphase“, räumte Merkel ein. „Wichtige weitere Schritte werden wir in Seoul abschließen“, kündigte die CDU-Chefin mit Blick auf das nächste G20-Treffen im November in Südkoreas Hauptstadt an.

Merkel zeigte sich zufrieden mit dem Gipfelmarathon; vor der G20 hatte am Freitag und Sonnabend schon die kleinere G8-Runde getagt – die Gruppe der führenden Industriestaaten und Russland.

Nach zunächst friedlichen Demonstrationen gegen den Gipfel kam es am Sonnabendabend in Toronto zu schweren Ausschreitungen. Etwa 100 militante Demonstranten zündeten Polizeiwagen an und randalierten. Die Polizei setzte Tränengas ein. Die Beamten nahmen mehr als 480 Menschen fest.

Insgesamt hatten sich mindestens 10.000 Demonstranten überwiegend friedlichen Protesten versammelt. Ihnen standen 19.000 Polizisten gegenüber. Das Konferenzzentrum war mit einem eigens errichteten Maschendrahtzaun quer durch die Stadt weiträumig abgesperrt.

Bei der Reform der Finanzmärkte lagen die Positionen der Staats- und Regierungschefs erwartungsgemäß weit auseinander. Nun glit der Seoul-Gipfel als Nagelprobe für die G20. Die G20-Gipfel waren im November 2008 auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise ins Leben gerufen worden – als eine Art globale Krisenfeuerwehr.

Beim Treffen vergangenen September im amerikanischen Pittsburgh hatte sich die G20 auf den Fahrplan für Reformen verständigt. Vorgabe war damals: Jeder Marktteilnehmer, jedes Finanzprodukt und jeder Finanzplatz sollen beaufsichtigt werden. Das Toronto-Treffen war der vierte G20-Gipfel. Obama suchte bei der Finanzmarktreform den Schulterschluss mit den europäischen Partnern. Wie auch Merkel will er eine Bankenabgabe durchsetzen. Kanada, Brasilien, Australien und andere G20-Mitglieder blockieren die Idee.

Obama ist bei der Bändigung der Banken am weitesten. Er kann im Juli ein Gesetz unterschreiben, dass schärfere Aufsicht vorsieht. Allerdings war vom bisher im internationalen Vergleich eher wenig regulierten US-Finanzmarkt die Krise auch ausgegangen.

Im Streit um die richtige Konjunkturpolitik gingen Merkel und der US-Präsident aufeinander zu. Obama verteidigte grundsätzlich seine Politik staatlicher Konjunkturpakete auch auf Pump. Man müsse „sich auf beide Aufgaben konzentrieren, auf Wachstum, aber auch auf finanzielle Konsolidierung“, sagte Obama.

„Wir müssen die richtige Balance finden“, sagte sein Finanzminister Timothy Geithner, der etwas mildere Töne anschlug als noch in den Tagen vor dem Gipfel. Auch wenn erstmals ein G20-Gipfel direkt auf einen G8-Treffen folgte, sieht Merkel für die G8-Gruppe auch künftig einen bedeutenden eigenständigen Platz im globalen Machtgefüge. „Die Rolle der G8 als wichtiges Diskussionsforum wird erhalten bleiben.“ Die G20 dagegen werde „das Format, um die Wirtschaftsprobleme der Welt zu diskutieren“.

Zur G8 gehören die USA, Kanada, Russland, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien. Die Gruppe verurteilte Nordkorea für den Angriff auf ein südkoreanisches Kriegsschiff Ende März. Eine internationale Untersuchungskommission kam zu dem Schluss, dass Nordkorea hinter dem Angriff steht. 46 Besatzungsmitglieder waren getötet worden. Der Iran wurde erneut dringend aufgerufen, sein Atomprogramm internationalen Inspektoren offenzulegen. Das Land steht im Verdacht, an der Entwicklung einer Atombombe zu arbeiten.

Hilfsorganisationen übten scharfe Kritik an der G8. Sie warfen den Staatenführern vor, frühere Versprechen an arme Länder unter den Tisch fallengelassen zu haben.

So wurde die Zusage beim Gipfel 2005 im schottischen Gleneagles, bis 2010 die Hilfe um 50 Milliarden US-Dollar zu erhöhen, erstmals nicht im Abschlussdokument erwähnt. Das Ziel ist nach den Angaben um

20 Milliarden Dollar verfehlt worden. Darüber dürfe auch die neue Initiative im Kampf gegen Kinder- und Müttersterblichkeit nicht hinwegtäuschen, für die die G8-Gruppe fünf Milliarden US-Dollar bereitstellen wollen. Der kanadische Gastgeber Harper stand wegen der gewaltigen Gipfel-Kosten von fast einer Milliarde Euro massiv in der Kritik. Der größte Teil des Geldes ging für die Sicherheit drauf.

Frankreis Staatspräsident Nicolas Sarkozy kündigte daraufhin an, die G8-Gipfelkosten drastisch senken zu wollen. Das nächste G8-Treffen soll im Frühjahr 2011 in Nizza sein.