Der Methadon-Tod der kleinen Chantal war beherrschendes Thema in der Parlamentssitzung. Weiter Forderungen nach Schreiber-Rücktritt.

Hamburg. Empörung in der Hamburgischen Bürgerschaft nach dem Methadon-Tod der elfjährigen Chantal: Neuerliche Forderungen der gesamten Opposition, den politisch verantwortlichen Bezirksamtschef Markus Schreiber (SPD) zu entlassen, verhallten beim Senat am Mittwoch ungehört. Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) kündigte lediglich grundlegende Reformen des Jugendhilfesystems an.

Immer wieder forderten die Oppositionsfraktionen Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) zum Handeln auf. „Sie sind in der Pflicht, Herrn Schreiber seines Amtes zu entheben“, sagte CDU-Familienexperte Christoph de Vries. Scholz griff aber nicht in die Debatte ein. Zuvor hatte Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) im Namen des gesamten Parlaments tief betroffen auf den Tod des Mädchens reagiert und Fehler des Jugendamt beklagt.

Chantal war vor gut drei Wochen in der Obhut ihrer drogensüchtigen Pflegeeltern an der Heroin-Ersatzdroge Methadon gestorben, sie wurde am Dienstag beerdigt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt unter anderem gegen die Pflegeeltern wegen Verdachts der fahrlässigen Tötung. Außerdem gibt es Ermittlungen gegen das Jugendamt und den freien Träger Verbund sozialtherapeutischer Einrichtungen (VSE).

Der Fall sei ein Skandal in der Jugendhilfe, sagte Scheele. Sowohl im Jugendamt als auch bei dem zuständigen freien Träger seien nicht nur dramatische Fehlurteile gefällt worden. Es habe auch keine Sicherungs- und Warnvorkehrungen gegeben. „Das muss sich ändern“, sagte er. Deshalb habe der Senat bereits die Anforderungen an Pflegeeltern deutlich verschärft.

So müssten alle Pflegeeltern und alle in dem Haushalt lebenden Personen ab 14 Jahren ein Gesundheitszeugnis mit Drogentest vorlegen. „Wäre das geschehen, hätte Chantal nicht sterben müssen“, sagte Scheele. Gleichzeitig würden bis Mitte des Monats alle Akten von Pflegefamilien überprüft und das Jugendamt Wilhelmsburg, das für Chantal zuständig war, besonders untersucht. Die Innenrevision sei beauftragt, die Vorgänge um den Tod des Mädchens lückenlos aufzuklären.

Entscheidend sei auch der Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems mit einem standardisierten Beschwerdeablauf, der eine Kontrolle in bedrohlich geltenden Fällen garantiere. Dazu gehöre auch echte Kontrolle: „Hingehen, unangemeldet, das Kind sehen und den Maßstab einer ordentlichen Familie anlegen“, sagte Scheele.

Der Senator kündigte zudem eine unabhängige Jugendhilfeinspektion an, die mit ähnlichen Rechten wie der Rechnungshof ausgestattet ohne Vorankündigung Akten und Prozesse prüfen soll. Mit Blick auf die Zuständigkeit der jeweiligen Bezirksamtsleiter erklärte Scheele: „Sie tragen die abschließende Verantwortung für die Einführung und Pflege der Systeme.“

Der Vorsitzende der GAL-Fraktion, Jens Kerstan, forderte Bürgermeister Scholz zum Eingreifen auf: „Wir erwarten, dass Sie uns jetzt sagen werden, was Sie tun wollen, um diese unhaltbaren Zustände in Mitte zu beenden.“ Bezirksamtchef Schreiber habe versagt. „Wenn politische Verantwortung in dieser Stadt überhaupt noch eine Bedeutung haben soll, dann muss Herr Schreiber jetzt abgelöst werden.“

Vor Beginn der Debatte im Parlament hatte Bürgerschaftspräsidentin Veit erklärt: „Chantal war in staatlicher Obhut untergebracht in einer Pflegefamilie und doch alleingelassen.“ Mit Blick auf die insgesamt fünf Kinder und Jugendlichen, die in den vergangenen Jahren auch wegen massiver Fehler des Jugendamts ums Leben gekommen sind, sagte sie: „Wir müssen erkennen, dass unsere Stadt offenkundig noch immer nicht in der Lage ist, alle ihr anvertrauten Kinder wirksam zu schützen.“

„Fassungslos“ fragte Veit, weshalb Chantal in eine Familie mit drogensüchtigen Eltern gegeben wurde, in der mehrere Familienmitglieder wegen Drogendelikten straffällig geworden, Kampfhunde gehalten worden seien, die Kinder aber keine eigenen Betten gehabt hätten. Obwohl es mehrere kritische Hinweise gegeben habe, sei das Kind in der Familie geblieben. „Wir können nicht verstehen, weshalb ein Jugendamt unter den Augen eines Amtsvormunds nicht nur gegen geltende Regeln verstößt, sondern warum die Zustände in der Familie offenbar auch noch als hinnehmbar betrachtet wurden“, sagte Veit.

Das gesamte Jugendhilfe-System habe erneut versagt. „Deshalb muss zu Recht die Frage nach Verantwortung gestellt werden.“ „Ich kann allen Hamburgerinnen und Hamburgern versichern, wir werden alles in unserer Macht stehende tun, dass die Missstände, die zum Tod von Chantal geführt haben, lückenlos aufgeklärt werden. (lno)