Die Führungskräfte von Staat und Religion im Iran zeigen nach außen Geschlossenheit, doch sie sind erbitterte Gegner im Kampf um die Macht.

Hamburg. Nach dem Mord an dem iranischen Nuklearwissenschaftler Mostafa Ahmadi Roshan hat Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad umfassenden Schutz für alle wichtigen Mitglieder der iranischen Atomindustrie angeordnet. Professor Roshan, Vizedirektor der Urananreicherungsanlage in Natans, war am 11. Januar in Teheran ums Leben gekommen - unbekannte Attentäter auf einem Motorrad hatten eine magnetische Bombe an seinen Wagen geheftet. Er war mindestens der vierte namhafte Nuklearexperte, der bislang im Iran einem Attentat zum Opfer gefallen ist.

Das Mullah-Regime geht davon aus, dass der israelische Geheimdienst Mossad, unterstützt von den USA, hinter den Morden steht. Der Westen verdächtigt den Iran, an der Entwicklung der Atombombe zu arbeiten. Und Ahmadinedschad hat immerhin gefordert, Israel "von der Landkarte zu löschen".

Die Fronten in diesem Atomstreit scheinen klar zu verlaufen. Tatsächlich jedoch ist die Krise Teil eines hoch komplizierten politischen Ringens, dessen Kraftlinien in der Außen- wie Innenpolitik verlaufen. Allein mithilfe des bloßen Verdachts, der Iran könne sich jederzeit in den Besitz von Atomwaffen setzen, schraubt sich das Regime auf Augenhöhe mit den großen Mächten empor. Der schiitische Iran steht im mittelöstlichen Raum vor allem in scharfer Konkurrenz zum sunnitischen Saudi-Arabien, das sich aufgrund seiner Hüterrolle bezüglich der heiligen Stätten Mekka und Medina als führende islamische Macht betrachtet. Die Saudis betreiben daher aktiv die Schwächung des syrischen Diktators Baschar al-Assad - Irans Schlüssel-Verbündeter in der Region. Zudem hat Riad mit einer Militärintervention in Bahrain die dortige schiitische Opposition niedergeworfen, die an die Macht strebte. Die Atom-Karte dient Teheran dazu, Riad unter Druck zu halten. Iran befeuert aber vor allem die Feindschaft mit dem Westen, namentlich mit dem "großen Satan" (USA) und dem "kleinen Satan" (Israel). Diese Frontstellung mitsamt den dazugehörnden militärischen Drohungen ist ein Instrument, um eine außenpolitisch nutzbare Geschlossenheit der zerrissenen iranischen Gesellschaft herzustellen. Die Teilhabe an der Atomtechnik gilt fast allen Iranern als nationales Recht, auch jenen, die in Opposition zum Regime stehen.

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Ahmadinedschad hat beim Volk längst abgewirtschaftet und hat vermutlich schon seine Wiederwahl 2009 nur noch mit miesen Tricks erreicht. Das Aufbegehren der Wutbürger konnte der Präsident nur mit dem brutalen Einsatz seiner gefürchteten Bassidsch-Miliz niederschlagen.

Doch tiefe Risse gehen auch durch das politische Führungs-Establishment selber. Ahmadinedschad und der Oberste Führer Irans, Ayatollah Ali Chamenei, sind erbitterte Rivalen. Chamenei nimmt es Ahmadinedschad übel, dass er mit seinen Eskapaden auch weltweit das Ansehen des Obersten Führers beschädigt hat. So hat Ahmadinedschad unter anderem öffentlich den Holocaust geleugnet und behauptet, der Westen habe den Aids-Virus gezüchtet, um in der Dritten Welt Absatzmärkte für seine Medikamente zu schaffen.

Die wahre Macht im Iran in politischer wie religiöser Hinsicht hat Chamenei. Doch der ehrgeizige Präsident will auf Kosten Chameneis seinen Einfluss ausbauen und möglichst über das Ende seiner Amtszeit 2013 hinaus zementieren. Im April hatte Ahmadinedschad den Geheimdienstminister Heydar Moslehi, einen engen Chamenei-Vertrauten, zum Rücktritt gedrängt, um den Klerus zu schwächen. Der Oberste Führer setzte Moslehi jedoch wieder ein und düpierte den Präsidenten damit. Ahmadinedschad war außer sich, weigerte sich zehn Tage lang, Kabinettssitzungen zu leiten, und wurde schließlich wie ein Schuljunge herbeizitiert. Der Präsident schlug zurück und feuerte im Juli die ihm nicht genehmen Minister für Wohlfahrt, Industrie und Öl. Chamenei wiederum hatte mehrere enge Mitarbeiter des Präsidenten und dessen mächtigen Stabschefs Esfandiar Rahim Mashai, verhaften lassen - unter dem Vorwurf der "Hexerei" und des Herbeirufen übler "Dschinns", wie man sie aus den Erzählungen von Tausendundeiner Nacht kennt. Mashai war 2009 von Ahmadinedschad zum Vizepräsidenten ernannt und von Chamenei nach wenigen Tagen vom Posten wieder entfernt worden. Ayatollah Mesbah Yazdi, ein enger Vertrauter Chameneis, sagte warnend, Ungehorsam gegenüber dem Obersten Führer sei gleichbedeutend mit "Abfall von Gott". Und der kann im Iran mit dem Tod bestraft werden.

Chamenei hat in einer Rede angeregt, den Posten des vom Volk direkt gewählten Präsidenten ganz zu streichen und den Iran in ein parlamentarisches System umzuwandeln. Ahmadinedschad hat diesen Vorschlag als "rein akademisch" abgetan. Doch in iranischen Medien wurde bereits die Frage diskutiert, ob Ahmadinedschad der letzte Präsident des Iran sei. "Der Machtkampf im Iran ist jetzt sehr ernst", sagte der Journalist Sayed Moitaba Vahedi der "New York Times".

Und US-Außenministerin Hillary Clinton meinte: "Wir sind nicht ganz sicher, wer eigentlich die Entscheidungen im Iran trifft." Ein iranischer Regierungsberater sagte dem "Guardian" zur Rolle der Klerikalkonservativen in Irans Machtkampf: "Falls sie die Wahl haben zwischen einem Ahmadinedschad, der darauf hinstrebt, allmächtig zu werden, und politischem Chaos - dann werden sie das Chaos wählen."