Der FDP-Politiker strebt eine schnelle Vereinbarung mit den Energiekonzernen über die Verlängerung der Laufzeiten an.

Hamburger Abendblatt: Herr Minister, welche Erkenntnisse hat Ihnen die Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg gebracht?

Rainer Brüderle: Wir haben die Vereinbarungen des Koalitionsvertrags vertieft diskutiert und klare Arbeitsaufträge verteilt. Wir haben uns natürlich auch etwas näher kennengelernt. So eine abgeschiedene Atmosphäre ist dafür eine gute Basis.

Abendblatt: Ist es einem Kabinettskollegen gelungen, Sie zu überraschen?

Brüderle: Wenn man so lange in der Politik ist wie ich, gibt es keine echten Überraschungen mehr. Es war ein angenehmes Zusammenwirken, zum Beispiel mit dem Kollegen Schäuble.

Abendblatt: Wie war die Kanzlerin so?

Brüderle: Die Kanzlerin arbeitet nicht nur hart, sondern ist auch ein geselliger Mensch. Wir hatten in Meseberg zwei Geburtstage und um Mitternacht hat die Kanzlerin mit angestimmt, als wir ein Ständchen zu Ehren von Werner Hoyer und Eckart von Klaeden gesungen haben.

Abendblatt: Ist es Union und FDP in Meseberg gelungen, ihren Steuerstreit beizulegen?

Brüderle: Es hat keinen Steuerstreit gegeben.

Abendblatt: Das ist nicht Ihr Ernst.

Brüderle: Die Kanzlerin und auch Herr Schäuble haben nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie den Koalitionsvertrag einhalten.

Abendblatt: Finanzminister Schäuble will keine große Steuerreform in dieser Wahlperiode.

Brüderle: Wir haben vereinbart, die Bürger zusätzlich um 24 Milliarden Euro zu entlasten. Zusammen mit den bereits beschlossenen Maßnahmen wie der Absetzbarkeit der Krankenversicherungsbeiträge kommen wir damit auf ein Entlastungsvolumen von rund 40 Milliarden Euro. Das wird sich auf die Konjunktur auswirken. Wie man dieses Paket dann nennt, ob große, mittlere oder kleine Steuerreform, ist nicht entscheidend.

Abendblatt: Wird das Stufenmodell der FDP umgesetzt?

Brüderle: Es muss zu einer Vereinfachung des Steuersystems kommen, denn einfache Steuersysteme sind gerechter. Deshalb werden wir noch in dieser Wahlperiode einen Stufentarif einführen. Offen ist lediglich, ob es drei, vier oder fünf Steuerstufen werden.

Abendblatt: Norddeutsche Ministerpräsidenten warnen eindringlich vor weiteren Steuersenkungen. Warum ignorieren Sie solche Stimmen?

Brüderle: Wir senken die Steuern, um Wachstumskräfte zu entfesseln, weil wir unsere kriselnde Wirtschaft und damit auch die öffentlichen Haushalte anders nicht stabilisieren können.

Abendblatt: Verstehen Ole von Beust und die anderen Regierungschefs im Norden nichts von Finanzpolitik?

Brüderle: Einige Landeshaushalte sind in einer schwierigen Lage – das weiß ich. Aber ohne Wachstum wird es keine Haushaltskonsolidierung geben. Ich setze fest darauf, dass die Bundeskanzlerin im Dialog mit den Ministerpräsidenten der Union genügend Überzeugungskraft entwickelt.

Abendblatt: Wie viel Klimaschutz kann Deutschland sich leisten in Zeiten der Wirtschaftskrise?

Brüderle: Klimaschutz ist kein Schönwetterthema, das in Zeiten der Wirtschaftskrise zurückgestellt werden kann. Im Gegenteil: Klimaschutz ist eine große Wachstumschance, wenn er richtig gemacht wird, das heißt, wenn er nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führt. Unsere Unternehmen sind in diesem Bereich bestens aufgestellt.

Abendblatt: Was bedeutet das für den Weltklimagipfel in Kopenhagen?

Brüderle: Wenn ich manche Stimmen höre, wird mir klar, dass Kopenhagen eine schwierige Veranstaltung wird. Klimaschutz darf nicht nur Sache der Europäer sein. Ich erinnere daran: Deutschland ist wirtschaftlich noch nicht über den Berg. Wir müssen fürchten, dass die Arbeitslosigkeit noch ein Stück steigen wird. Es wird noch manche Insolvenz geben. Daher ist es entscheidend, dass Klimaschutz keine unnötigen Belastungen für unsere Arbeitsplätze bewirkt. Belastungen für unsere Arbeitsplätze wären nicht vermittelbar.

Abendblatt: Die EU will Vorreiter sein beim Klimaschutz und hat sich auf strenge Abgasgrenzwerte für Autos verständigt. Muss die Regelung auf den Prüfstand?

Brüderle: Die Automobilindustrie ist immer noch in einer schwierigen Phase. Wir sollten deshalb jetzt keine neuen Belastungen draufsatteln. An Vereinbarungen, die bereits getroffen sind, müssen wir uns allerdings halten.

Abendblatt: Wird es neue Hilfen für den angeschlagenen Autobauer Opel geben?

Brüderle: Die Rettung eines Unternehmens durch den Staat bedarf einer sorgfältigen Begründung. General Motors hat sich entschieden, Opel doch zu behalten. Damit sind alle Zusagen des Bundes, die mit einem Verkauf an Magna verbunden waren, hinfällig.

Abendblatt: Und nun?

Brüderle: General Motors hat bisher kein Sanierungskonzept vorgelegt. Ich habe mit Interesse die Einschätzung von GM-Chef Henderson und GM-Verwaltungsratschef Whitacre gelesen, der Mutterkonzern könne das alleine stemmen. Ich hielte das auch für geboten. Wir sollten allmählich in die normalen Bahnen der sozialen Marktwirtschaft zurückkehren.

Abendblatt: Ist die Rettung von Opel wahrscheinlicher geworden?

Brüderle: Nach eigener Angabe ist GM ja jetzt in einer finanziell besseren Situation. Wenn es der Mutter besser geht, sollte es auch der Tochter besser gehen.

Abendblatt: Die Energieversorger warten auf ein Signal der Regierung: Wann erfolgt der Ausstieg aus dem Atomausstieg?

Brüderle: Die Fragestellung ist eine andere: Wie schnell gelingt uns der Einstieg in das Zeitalter der regenerativen Energien? Um das zu beschleunigen und die Übergangsphase klimafreundlich zu gestalten, sind wir bereit, die Laufzeiten von Kernkraftwerken mit höchsten Sicherheitsstandards zu verlängern.

Abendblatt: Die Energiekonzerne fordern Laufzeiten von 80 Jahren...

Brüderle: Eine solche Forderung der Energiekonzerne kenne ich nicht. Das Wirtschaftsministerium wird gemeinsam mit dem Bundesumweltministerium bis Oktober 2010 ein anspruchsvolles Energiekonzept erarbeiten. Einen Zwischenbericht wollen wir bis zur Sommerpause vorlegen.

Abendblatt: Wann fällt die Entscheidung über die Laufzeitverlängerung?

Brüderle: Wir wollen möglichst schnell zu einer Vereinbarung mit den Betreibern von Kernkraftwerken kommen. Eine Entscheidung kann schon im Sommer fallen. Es bleibt dabei: Kraftwerke, die nicht den strengen deutschen und internationalen Sicherheitsanforderungen entsprechen, gehören nicht ans Netz. Und die Laufzeiten werden nur verlängert, wenn die Energieversorger einen wesentlichen Teil der zusätzlichen Gewinne abführen. Diese müssen genutzt werden, um in die Erforschung erneuerbarer Energien und von Speichertechnologien zu investieren.

Abendblatt: Bleibt der Pannenreaktor Krümmel abgeschaltet?

Brüderle: Die Atomaufsicht liegt nicht im Bundeswirtschaftsministerium. Ich gehe aber davon aus, dass der Reaktor endgültig stillgelegt würde, wenn die Prüfung ergäbe, dass Krümmel nicht sicher ist.

Abendblatt: Herr Brüderle, zu Ihrem Amtsantritt haben Sie versprochen, dass schon bald wieder mehr Schiffe in den Hamburger Hafen einlaufen. Wie wollen Sie das anstellen?

Brüderle: Mit Wachstum. Hamburg ist das Tor zur Welt. Und wenn die Wirtschaft in Deutschland wieder brummt, dann brummt es auch im Hamburger Hafen.

Abendblatt: Um den Hafen steht es nicht gut.

Brüderle: Es mag sein, dass neben den konjunkturellen Problemen auch hausgemachte Hamburger Probleme dazukommen. Die müssten die Hamburger selbst lösen.

Abendblatt: Treten Sie für die Elbvertiefung ein?

Brüderle: Das Verfahren läuft. Ich bin zuversichtlich, dass es eine gute Lösung gibt.