Tanja Kuchenbecker Lyon Ein beiger vierstöckiger Sozialbau in Saint-Priest, einer 40 000-Einwohner-Gemeinde östlich von Lyon. Hier wohnt die Familie des mutmaßlichen Attentäters von Djerba in der dritten Etage in einer bescheidenen Dreizimmerwohnung. Nizar Ben Mohamed Nawar (25) hat den Tanklaster gefahren, der auf der tunesischen Ferieninsel Djerba vor einer Synagoge explodierte. Davon geht die Bundesanwaltschaft inzwischen aus. Er riss 15 Menschen, darunter zehn deutsche Touristen, mit in den Tod. Sein Name wird auch in dem Bekennerschreiben genannt, das bei arabischen Zeitungen eingegangen war und deren Absender der Al Kaida zugeordnet werden. Die Familie Nawar zeigte sich gestern schockiert und ratlos. "Es ist schrecklich, wir können es gar nicht fassen. Wir können uns nicht vorstellen, dass es mein Bruder gewesen sein soll", sagt Walid Naouar (22). "Er war Moslem, aber praktizierte die Religion nicht. Er betete nicht, trank Alkohol und hat keiner Fliege etwas zu Leide getan. Ich bin sicher, dass er uns anrufen wird." Walid sprach für die Familie, weil seine Mutter kein Französisch versteht und sein Vater nur wenig. Der mutmaßliche Attentäter ist der älteste Sohn der Familie, er hat drei Brüder und eine Schwester. Er kam 1977 in der südtunesischen Stadt Ben Gardane zur Welt. Sein Vater Mohamed, ein Maurer, zog schon in den 60er-Jahren nach Frankreich. Die Familie lebte bis vor kurzem noch in Tunesien. Erst vor zwei Jahren holte der Vater die Familie nach. Sohn Nizar blieb allerdings in Tunesien. "Seitdem haben wir ihn nicht mehr gesehen. Er hat uns noch nie in Frankreich besucht", sagt der Bruder. Die französische Polizei und der Geheimdienst bestätigten, dass er nicht in Frankreich gelebt hat. "Das letzte Mal habe ich mit meinem Bruder am 5. April telefoniert", sagt Walid. Nizar hatte seine Mutter angerufen und gesagt: "Mir geht es gut. Ich werde bald nach Frankreich kommen." Die Familie erzählte, dass Nizar auf Djerba Reiseführer war und für eine kanadische Reiseagentur arbeitete: "Aber wir glauben, dass er gar keinen Führerschein hatte und keinen Lastwagen besaß." Die arabische Zeitung "Al-Hayat" berichtete unter Berufung auf Informationen aus Tunis, der beim Anschlag benutzte Kleinlaster sei erst kürzlich einem jüdischen Einwohner Djerbas abgekauft worden. Der Käufer habe seinen Namen aber noch nicht unter den Kaufvertrag gesetzt, was nach tunesischem Recht möglich ist, da Käufer und Verkäufer nicht gleichzeitig unterschreiben müssen. Der Fahrer füllte den ursprünglich für den Wassertransport gedachten Tankwagen nach Angaben der Zeitung mit Benzin, welches er bei Schmugglern aus Libyen gekauft habe. In und vor der Synagoge habe es insgesamt vier Explosionen gegeben. Der mutmaßliche Attentäter Nizar Nawar soll im Jahr 1999 eine Tourismusausbildung in Kanada absolviert haben. Gerüchten zufolge soll er sich in der letzten Zeit auch in Südkorea aufgehalten und kürzlich eine Libyen-Reise unternommen haben.