Die Konservativen bräuchten für eine Regierung die Liberalen. Doch die könnten auch mit Labour. Jetzt wird mit Hochdruck verhandelt.

London. Auf dem Bild sah es aus, als hätte Großbritannien drei Premierminister. Neben Regierungschef Gordon Brown stand beim Gedenken zum Kriegsende vor 65 Jahren Tory-Chef David Cameron und der entscheidende Dritte im Bunde, Nick Clegg von den Liberaldemokraten. Aber drei sind mindestens einer zu viel. Am Wochenende sägten Cameron und Clegg mit aller Macht an Browns Stuhl, Verhandlungen über eine konservativ-liberale Koalition liefen auf Hochtouren. Doch schlauer als am Tag der Wahl war trotz durchwachter Nächte und heiß telefonierter Drähte niemand. Selbst eine Neuwahl könnte in der Ferne lauern, obwohl das Land eigentlich sein Schuldenloch stopfen muss und nicht Energie in einem neuen Wahlkampf verpulvern kann.

Auch wenn Brown weiter in der Downing Street wohnt, staatsmännisch mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy telefonierte und die Griechenlandkrise diskutierte: Seine Tage sind gezählt, falls es wirklich zu einem Pakt zwischen den Tories – die bei den Wahlen stärkste Partei geworden sind – und den Liberalen kommt. Am Wochenende war von ihm wenig zu hören und zu sehen. Mehrere Abgeordnete aus den eigenen Reihen wetzten aber die Messer und forderten Brown auf, als Parteichef zurückzutreten. Brown sei ein „schlechter Premierminister – realitätsfern und abgehoben“, sagte John Mann. „Es wäre selbstmörderisch für Labour, wenn es im Oktober eine Neuwahl gibt und Brown immer noch Parteichef ist.“ Mann ist zwar ein Hinterbänkler, doch die Rücktrittsforderung gießt Öl ins Feuer für Spekulationen um Browns Nachfolge.

Von hochrangigen Labour-Ministern war am Wochenende erstaunlich wenig zu hören. Zwar schwirren die Namen von Außenminister David Miliband, Bildungsminister Ed Balls oder der Labour-Vizechefin Harriet Harman als mögliche Nachfolger schon durch die Gänge. Aber bisher hat sich noch keiner vorgewagt.

Denn erst mussten sich die Tories und die Liberalen durch ihre Verhandlungen wursteln. Wenn diese scheitern, wäre Labour am Zug und könnte versuchen, mit den Sitzen der Liberalen eine wackelige Regierung auf die Beine zu stellen. Es wäre nach 13 Jahren die vierte Amtszeit für die Sozialdemokraten und eine Sensation, bedenkt man, wie oft Brown schon vor dem Abgrund stand.

Doch auch für eine Koaliton zwischen Labour und den Liberalen scheint Brown ein Hindernis zu sein. Die beiden Parteien haben sachpolitisch wesentlich mehr Gemeinsamkeiten als die Liberalen und die Tories. Vor allem in der Europapolitik könnten die Unterschiede zwischen Lib Dems und Konservativen nicht größer sein: Die einen wollen zum Beispiel den Euro, die anderen scheuen ihn wie der Teufel das Weihwasser. Eine blau-gelbe Koalition ist für viele Linksliberale so etwas wie ein Verrat an den eigenen Werten. Zudem bieten die Tories nicht viel, was die Wahlrechtsreform angeht – die Herzensangelegenheit der Liberalen.

Doch angeblich kann Clegg mit Brown nicht. Er will den uncharismatischen Schotten offenbar aus moralischen Gründen nicht stützen, da Brown das Mandat der Wähler so deutlich entzogen wurde. „Clegg wäre gekreuzigt, wenn er Brown stützt. Denn Browns Unbeliebtheit war ein Schlüsselfaktor bei dieser Wahl“, sagte auch Labour-Mitglied Mann. Wenn Brown überleben würde, dann wäre er zum zweiten Mal nicht gewählter Premier, lästerten konservative Zeitungen. Schließlich hatte er vor drei Jahren das Amt von Tony Blair ohne Wahl übernommen.

Die Zeit drängt, das wissen auch die Konservativen. Für Cameron wäre es eine Riesenblamage, wenn er seine Partei nach dem jahrelangen Hoch in den Umfragen nicht an die Regierung bugsiert. Und die Märkte sind vor dem Hintergrund der Griechenland-Krise nervös. Wenn Großbritannien länger „unregiert“ bliebe, könnten Investoren in Panik ausbrechen und das Pfund und britische Staatsanleihen scheuen. Auch eine Minderheitsregierung, die schnell platzen und Neuwahlen erforderlich machen könnte, kommt an den Märkten nicht gut an.

„Mit all dem, was in der Eurozone und Griechenland passiert: Wir können es uns nicht leisten, nicht schnell eine Regierung zu bilden“, sagte der schulpolitische Sprecher der Tories, Michael Gove. Als Lockmittel bot er deshalb am Sonntag den Liberalen schon seinen Kabinettsposten als Bildungsminister an.