Der Grünen-Fraktionschef wirft der Bundesregierung vor dem Klimagipfel vor, den Kampf gegen die Erderwärmung zu vernachlässigen.

Hamburg. Zum Auftakt des Bonner Klimagipfels an diesem Sonntag hat Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin der Bundesregierung vorgeworfen, den Kampf gegen die Erderwärmung zu vernachlässigen. Auf das Scheitern der Klimakonferenz von Kopenhagen im Dezember habe die schwarz-gelbe Regierung mit einem „verhängnisvollen Strategiewechsel“ reagiert, sagte Trittin dem Abendblatt (Montag). Kanzlerin Angela Merkel und Umweltminister Norbert Röttgen (beide CDU) hätten sich „ faktisch vom Ziel eines verbindlichen internationalen Klimaschutzabkommens verabschiedet". Diese Wende in der deutschen Klimapolitik sei „dramatisch“.

Der frühere Bundesumweltminister forderte: „Statt sich weiter zu zieren und auf dem Europäischen Rat unverbindliche Erklärungen abzugeben, muss sich die Bundeskanzlerin jetzt klar zu einem unkonditionierten europäischen Minderungsziel von mindestens 30 Prozent für die Europäische Union einsetzen.“ Die bisherige Blockade der Kanzlerin gegenüber diesem Schritt habe zu Vertrauensverlust geführt, beklagte Trittin. „Ohne echte Vorreiter gibt es beim Klimaschutz keine Fortschritte."

Zuvor hatte der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, eindringlich an die Europäer appelliert, weiter entschlossen gegen die Erderwärmung zu kämpfen. „Kopenhagen ist hinter unseren Erwartungen zurückgeblieben. Aber es wäre ein Fehler, wenn Deutschland und die anderen Mitgliedstaaten sich nun weniger anstrengen würden“, sagte er dem Abendblatt (Wochenende). „China und die USA investieren massiv in Umwelttechnologien und erneuerbare Energien. Die Europäer müssen alles tun, um Vorreiter beim Klimaschutz zu bleiben.“

+++ ZUM INTERVIEW MIT JOSÉ BARROSO +++

Zugleich machte Barroso deutlich, dass er für dieses Jahr keinen Durchbruch im Kampf gegen den Klimawandel erwartet. „Mit einem verbindlichen Klimaabkommen, das alle Staaten auf ehrgeizige Ziele und Maßnahmen verpflichtet, ist in diesem Jahr nicht mehr zu rechnen“, sagte er. Bei dem Gipfeltreffen auf dem Bonner Petersberg müsse die internationale Gemeinschaft „auf dem in Kopenhagen Erreichten aufbauen und Lücken füllen“, forderte Barroso. „Bis zum Klimagipfel am Jahresende in Cancún müssen alle Stücke zusammengesetzt werden, so dass ein echter Fortschritt möglich wird. Wir brauchen mehr Pragmatismus und konkretere Verpflichtungen.“ Der Präsident bekräftigte: „Wenn wir in Bonn gute Vorarbeit leisten, kann der der Gipfel in Cancún zu einem ersten Meilenstein werden.“

Trittin kritisierte, bisher schon habe Merkel beim Klimaschutz allen Inszenierungen zum Trotz vor allem auf der Bremse gestanden. Sie fördere Atom- und Kohlestrom und habe in der EU dafür gesorgt, dass die deutsche Automobil- und Schwerindustrie von Klimaschutzauflagen weitgehend befreit geblieben seien. International gemachte Finanzzusagen für den Klimaschutz halte die Bundesregierung nicht ein, beklagte Trittin. „Statt der versprochenen 420 Millionen Euro an zusätzlichen Mitteln für den internationalen Klimaschutz seien Mittel für die Armutsbekämpfung mit dem Klimaschutz verrechnet worden.“ Am Ende seien gerade einmal 70 Millionen übrig geblieben, die im laufenden Jahr tatsächlich als neue Mittel bereitgestellt werden sollen. „Das alles hat zum Scheitern in Kopenhagen beigetragen – neben der Tatsache, dass sich Deutschland und die EU ihre Vorreiterrolle aufgegeben haben", so Trittin.

Unterdessen wurde ein geheimer Mitschnitt vom gescheiterten Klimagipfel in Kopenhagen bekannt. Er enthüllt einem Bericht des „Spiegel“ zufolge, wie groß das Zerwürfnis zwischen Industriestaaten und Schwellenländern beim war. Die Tonaufnahme zeige, wie China und Indien eine Einigung auf konkrete Einsparziele bei Treibhausgasen blockiert hätten, berichtete das Nachrichtenmagazin am Sonntag vorab. Dabei hätten die Schwellenländer Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und andere westliche Regierungschefs deutlich düpiert.

Der im „Spiegel“ zitierte Mitschnitt ist dem Bericht zufolge bei einem Mini-Gipfel von 25 Staatschefs entstanden, auf dem eine Einigung auf konkrete Ziele zum Klimaschutz erreicht und ein Scheitern der Konferenz von weit über 100 Staaten hatte verhindert werden sollen. Indiens Premierminister Manmohan Singh drängte laut „Spiegel“ darauf, nicht sofort konkreten Zusagen in das Abschlussprotokoll aufzunehmen. „Ich habe immer gesagt, keine Optionen vorwegzunehmen“, sagte der Regierungschef dem Bericht zufolge. „Aber dann wollen Sie nichts rechtlich Bindendes!“, habe daraufhin Merkel ausgerufen. Dies wiederum habe Singh aus der Fassung gebracht: „Warum greifen Sie vorweg? Das ist nicht fair!„

Zu Verstimmung kam es dem Mitschnitt zufolge auch mit China, das durch den Vize-Außenminister vertreten war und nicht durch den ebenfalls in Kopenhagen anwesenden Ministerpräsidenten Wen Jiabao. Der chinesische Vertreter ließ die Europäer mit Forderungen nach konkreten Verpflichtungen zum Senken des Ausstoßes von Klimagasen demnach auflaufen: Danke für alle Ihre Vorschläge. Wir haben gesagt, dass wir das langfristige Ziel von 50 Prozent (Einsparung) nicht akzeptieren können. Wir sagen, es ist absolut inakzeptabel.“

An diesem Punkt griff laut „Spiegel“ Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy die Chinesen scharf an: Der Westen habe sich verpflichtet, seinen Klimagasausstoß um 80 Prozent zu verringern. „Und im Gegenzug sagt China, das bald die größte Wirtschaftsnation der Welt sein wird, gegenüber der Welt: „Engagements gelten für euch, aber nicht für uns.“ Dieses Verhalten sei „nicht hinnehmbar“. „Es geht um das Wesentliche, man muss auf diese Scheinheiligkeit reagieren“, fügte der französische Staatschef demnach hinzu.

Seit dem Scheitern des Klimagipfels in Kopenhagen im Dezember ist der Klimaschutzprozess festgefahren. Von Sonntag bis Dienstag wollten Umweltminister und Klimabeauftragte aus rund 45 Staaten auf dem Petersberg bei Bonn über das weitere Vorgehen beraten. Eröffnet werden sollten die Beratungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Mexikos Präsident Felipe Calderón. Dessen Land ist Gastgeber der nächsten UN-Konferenz im Dezember in Cancún. Beschlüsse mit Blick auf ein neues globales Abkommen sind nicht geplant, doch soll es auf dem Petersberg konkrete Absprachen zu einzelnen Projekten geben.