Hamburg. Ex-HSV-Spieler und -Vizepräsident glaubt an den Weg mit jungen Spielern und nennt Heckings Trainerleistung eine „Enttäuschung“.

„Wenn mich jemand anspricht und fragt, wie es mir gehe, sage ich immer: altersgerecht gut.“ Das letzte Spiel von Harry Bähre für den HSV liegt 53 Jahre zurück. Knie, Hüfte, Rücken – alles runderneuert. Sein Körper ist gezeichnet vom Fußballerleben auf den damals harten Plätzen ohne Rasenheizung. Vor vier Jahren musste er eine Krebserkrankung überstehen. Doch schon bei der Begrüßung in der Abendblatt-Redaktion wird deutlich, dass er auch im fortgesetzten Alter nichts von seinem Witz und seiner Schlagfertigkeit verloren hat. „Ich bin gerade 79 Jahre alt geworden, auch wenn man mir das nicht ansieht. Und meine inneren Werte sind sowieso noch vollständig vorhanden.“

Harry Bähre, der Mann mit der Spielerpass-Nummer 001 in der Bundesliga – so wird man ihn für immer in Erinnerung behalten (siehe auch die Rubrik „Menschlich gesehen“ auf Seite 1). „So richtig bewusst geworden ist mir das erst fünf Jahre später“, erinnerte sich Bähre während der Aufzeichnung für die neue Folge des Podcasts „HSV – wir müssen reden“. Witzigerweise wurde ausgerechnet der HSV-Mitspieler mit der Passnummer 002 später einer seiner besten Freunde: Fritz Boyens.

Wenn Bähre, der 30 Jahre sehr erfolgreich als Lithograf arbeitete (unter anderem mit dem Hamburger Künstler Horst Janssen), über die alten Zeiten beim HSV klönt, so kann man sich kaum vorstellen, dass sich die Anekdoten damals wirklich so zugetragen haben. So lud der damalige Bundestrainer Sepp Herberger Harry Bähre mehrfach zu Länderspielen ein. Doch HSV-Trainer Günter Mahlmann sagte nur zu Bähre: „Ich habe schon für dich abgesagt.“

Bähres HSV-Trainer sagte für ihn bei der Nationalelf ab

Hintergrund: Der HSV stellte Anfang der 60er-Jahre fünf deutsche Nationalspieler, mehr hielt Mahlmann für überflüssig – und Bähre noch für zu jung. „Klar war ich traurig und sauer, habe Mahlmann nach meiner Karriere richtig Feuer gegeben, und er hat sich auch entschuldigt. Aber was sollten wir damals machen? Wir waren alle brave Jungs.“

Jungs, die aber bekanntlich in Hamburg groß wurden, die für 360 Mark im Monat spielten – plus Prämien und einen Aufschlag bei prominenten Freundschaftsspielen – und auf deren Trikots noch keine Sponsoren Werbung machten. Fast ist man geneigt zu sagen, dass sich der HSV heute (zwangsweise) auf einem ähnlichen Weg befindet. Mit Stephan Ambrosius, Jonas David, Aaron Opoku und Josha Vagnoman stehen gleich vier in Hamburg geborene Spieler im aktuellen Kader, die auch für die HSV-Jugend gespielt haben.

Die HSV-Mannschaft 1961/1962: Hinten (v. l.): Peter Wulf, Uwe Reuter, Lothar Kröpelin; Mitte: Jürgen Kurbjuhn, Jochen Meinke, Horst Dehn, Uwe Seeler, Charly Dörfel, Erwin Pichowiak; Unten (v. l.): Harry Bähre, Dieter Seeler, Hans Krämer,  Gerd Krug,  Klaus Neisner.
Die HSV-Mannschaft 1961/1962: Hinten (v. l.): Peter Wulf, Uwe Reuter, Lothar Kröpelin; Mitte: Jürgen Kurbjuhn, Jochen Meinke, Horst Dehn, Uwe Seeler, Charly Dörfel, Erwin Pichowiak; Unten (v. l.): Harry Bähre, Dieter Seeler, Hans Krämer, Gerd Krug, Klaus Neisner. © picture alliance

„Es gibt im Moment für mich keine andere Option, als diesen Weg mit den Jungen zu gehen und darauf zu hoffen, dass der neue Trainer Daniel Thioune das bringt, was von ihm erwartet wird“, glaubt Bähre, der auch die Besetzung von Horst Hrubesch als Nachwuchschef sehr positiv sieht. Bereits in den 90er-Jahren, als Harry Bähre als Vize im Präsidium von Uwe Seeler saß, hätte es Pläne gegeben, möglichst viele Europapokalhelden von 1983 für den HSV zu gewinnen.

Für Dieter Hecking hat Bähre nicht viel Positives übrig

„Mit Bernd Wehmeyer, Holger Hieronymus und Michael Schröder hatten wir ja damals einige Ehemalige am Start“, sagt Bähre. „Später wollten wir noch Hrubesch und Manfred Kaltz einbinden. Aber das ist uns nie gelungen.“ Besonders Wehmeyers Potenzial hätte der Club leider viel zu oft brachliegen lassen. Wehmeyer würde den Fußball besser kennen „als alle, die da zuletzt rumgelaufen sind“. Nur mit Felix Magath, der während Bähres Präsidentenzeit zum Cheftrainer aufstieg, aber 1997 entlassen wurde, verbindet ihn nicht mehr viel: „Mit ihm habe ich seit 25 Jahren kein Wort mehr gewechselt ...“

Harry Bähre, der Spieler mit der Spielernummer 001.
Harry Bähre, der Spieler mit der Spielernummer 001. © Roland Magunia

Stichwort Trainer: Auch für Dieter Hecking hat Bähre nicht viel Positives übrig: „Für mich hat er in der vergangenen Saison eine enttäuschende Trainerleistung gezeigt. Er hat nicht nur zwei Punkte weniger geholt als eine Saison davor Christian Titz und Hannes Wolf, ich habe auch einige taktische Fehlleistungen gesehen, die in der Nachspielzeit zu Gegentoren geführt haben.“ Hätte Hecking nicht nur fünf-, sondern siebenmal auswechseln können, hätte er das wohl auch getan, behauptet Bähre.

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Dass der HSV nun vor allem auf die Entwicklung von Spielern setzen will, gefällt Bähre: „In den vergangenen zwei Jahren habe ich nicht beobachten können, dass sich ein Spieler verbessert hat. Im Gegenteil, die wurden doch alle schlechter.“ Dass der neue HSV-Weg gleich von Erfolg gekrönt sein wird, erwartet der 78-malige Bundesligaspieler nicht: „Sollte die Truppe in der jetzigen Besetzung den Aufstieg in die Bundesliga schaffen, wäre das für mich eine Überraschung, ich würde dagegen wetten.“

Wetten kann man allerdings darauf, dass Bähre seinem Club, dem er schon seit dem 1. Juli 1956 als Mitglied verbunden ist, weiter die Treue halten wird. Im Gegensatz zu früheren Funktionsträgern, die den Verein laut Bähre in den vergangenen Jahren ausgeräubert hätten. „Die sieht man gar nicht mehr ...“ Aber einen Wunsch, den hätte „001“ dann doch noch: „Klaus-Michael Kühne sollte den HSV glatt stellen. Aber dass er kein Vertrauen mehr hat in die Geschichte, verstehe ich auch. Der Mann will Erfolg sehen. In jedem Bereich.“

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