Hamburg. Ein Gespräch mit Intendant Christoph Lieben-Seutter über die Zwangs-Pause und die Zeit danach. Elbphilharmonie erfindet sich neu.

Elbphilharmonie, Großer Saal, Block A, Reihe 15, der Platz am Gang. Der Stammplatz von Generalintendant Christoph Lieben-Seutter, ansonsten fast allabendlich besetzt, ist nun schon seit Wochen verwaist und bleibt es weiter. Das Konzerthaus hat Generalpause, wie fast alles, fast überall auf der Welt. Was passiert, während dort nicht passiert? Welche Pläne für die Zeit ab dem ersten Tag nach der Rückkehr zu einer gewissen Normalität gibt es? Viele offene Fragen, viele entsprechend offene Antworten. Ein Teil seiner Pläne ist ein Hilfsfonds, um freischaffende Musiker zu unterstützen.

Wie geht es weiter? Genügt der 30. April, der auf der Elbphilharmonie-Homepage steht, als Deadline. Wie sieht’s jetzt aus mit Ihrer Planung?

Christoph Lieben-Seutter Da müssen wir gleich mit der schwierigsten Frage beginnen. Das ist das große Fragezeichen, das über uns allen hängt. Dass sich Pläne ändern, damit kann sich jeder arrangieren, damit haben wir durchaus Übung. Aber de facto hängt es komplett in der Luft. Offiziell sind Veranstaltungen in Hamburg bis Ende April abgesagt. Ich glaube nicht, dass es am 1. Mai wieder losgeht. Es wird irgendwann in den nächsten Monaten wieder starten, wir müssen uns auf jedes Szenario einrichten. Das macht die Planung einigermaßen komplex.

Das heißt, Sie sagen womöglich erst am 29., dass der 30.4. nicht das Ende ist? Oder haben Sie sich einen Vorlauf gesetzt?

Das liegt nicht ganz in unserer Hand, Voraussetzung ist die Vorgabe der Behörden. Ich nehme an, dass es rund um Ostern eine Aussage geben wird. Wir hängen mit den Absagen von Konzerten deswegen so an den Behörden, weil erst durch deren Anordnung höhere Gewalt eintritt. Was jede Art von Abwicklung – Rückgabe von Tickets, Mietverträge mit Veranstaltern, Künstlerverträge – rechtlich sofort sehr klar macht. Wenn wir Wenn wir ohne behördliche Anordnung absagen, zieht das sofort Diskussionen nach sich, wer wo wie regresspflichtig ist.

Ich muss lustigerweise sagen: Die Stimmung ist gar nicht schlecht.

Wie ist Ihre Stimmung? Sie sind Intendant von einem der berühmtesten Konzertsäle der Welt und das ganze Musikleben ist komplett verstummt, abgeknipst. Leere Hülle. Wachkoma…

Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter
Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter © picture alliance/dpa | dpa Picture-Alliance / Daniel Reinhardt

Ich muss lustigerweise sagen: Die Stimmung ist gar nicht schlecht. Weil es außergewöhnliche Zeiten sind und außergewöhnliche Maßnahmen zu treffen sind und unser Team mit den Aufgaben wächst. Auf eine komische, ja fast perverse Art macht es fast Spaß, diese Situation zu managen. Die letzten Wochen waren extrem, ich arbeite noch mehr als normal. Wir haben schon viel erreicht. Das hat eine gewisse Befriedigung – mit dem großen Wermutstropfen: Abends um acht geht’s nicht ins Konzert, wie normalerweise so gut wie jeden Tag. Da fehlt etwas ganz Großes. Nicht nur, dass einem die Musik fehlt, es fehlt die Begegnung mit dem Publikum, mit dem Saal. Da geht einem schon viel ab.

Wie viele Leute sind jetzt konkret noch in der Elbphilharmonie und was machen die da so?

Wenige. Der Großteil des Teams ist zuhause. Vor Ort ist vielleicht ein Dutzend, Techniker für Wartungsarbeiten beispielsweise. Wir haben die Produktion von Streams für Online-Inhalte hochgefahren. Und es sind einzelne Mitarbeiter da, die das Arbeiten dort – unter extremen Sicherheitsregelungen – angenehmer finden als zuhause.

Haben Sie einen Überblick, wie viele Konzerte Sie bisher abgesagt haben?

Nein, weiß ich nicht. Sicher dreistellig, gezählt habe ich sie nicht.

Was ist mit dem Kartenverkauf, gibt es da eine Zahl der Retouren?

Auch noch nicht. Der allergrößte Teil ist schon zurückgekommen. Aber uns hat die Menge der Anfragen von Menschen überrascht, die ihr Geld gar nicht zurückhaben, sondern spenden wollten – für Künstler, Veranstalter, die Elbphilharmonie. Wir haben jetzt einen Weg gefunden, diese Gaben gut zu kanalisieren. Abgesehen davon ist nicht jedes Konzert auf Nimmerwiedersehen abgesagt. Es gibt auch Veranstalter, die sich um Verschiebungen ins nächste Jahr bemühen. Einige Termine gibt es schon, einige werden noch gesucht. Wir haben in der Elbphilharmonie nicht viel Spielraum, weil ja auch nächstes Jahr schon so gut wie ausgebucht ist.

Wir sind gerade dabei, eine Art Hilfsfonds aufzusetzen, speziell für freischaffende Musiker

Wie viel an nicht abgerufenen Erstattungen ist zusammengekommen – Geld, das Künstlern helfen würde? Ein bisschen was ist ja besser als gar nichts.

Noch kann ich es nicht absehen, weil die Retouren gerade erst anlaufen. Nach den ersten Tagen hatten wir einen sechsstelligen Spendenbetrag, der wird sich sicher noch vermehren, weil viele sich noch nicht gemeldet haben. Wir sind gerade dabei, eine Art Hilfsfonds aufzusetzen, speziell für freischaffende Musiker, die durch die Absagen zu Schaden gekommen sind. Wir besprechen gerade mit den Veranstaltern, wer sich an dieser Aktion beteiligen will und wer der Meinung ist, dass er das Geld dringend selber braucht. In den nächsten Tagen haben wir die genaue Information.

Am 24. April wäre der Beginn des Musikfests gewesen, sechs Tage vor dem bisherigen Ende des Spiel-Stopps. Wie geht’s damit weiter? Geht’s überhaupt los? Gibt es Ansagen?

Nein, weil wir nicht wissen, was am 1. Mai passiert. Meine Prognose ist, das wird nicht stattfinden. Aber das ist meine Einschätzung und es ist nicht sicher. Wir brauchen etwa zwei Wochen Vorlauf, um das Haus wieder hochzufahren.

Die Bayreuther Festspiele hat es gerade erwischt, wegen der Proben-Pläne. Wenn Sie nun am 16. Mai Messiaens „Saint Francoise“ im Plan haben, eine große Produktion mit der Staatsoper, fünf Stunden lang, Riesen-Besetzung, der ganze Saal sollte genutzt und bespielt werden – das braucht viel Vorlauf. Die Wahrscheinlichkeit, dass es am 16. Mai passiert, falls Sie am 1. Mai wieder loslegen, ist eher gering?

Die Proben würden wohl nicht vorher beginnen, aber es wären Vorarbeiten zu tätigen. Opern-Intendant Georges Delnon steht auf meiner Telefonliste.

Lässt sich ungefähr abschätzen, wie viele Gastspiele aus dieser in der nächsten Saison wiederauftauchen können? Die Verträge für 20/21 sind abgeschlossen, Sie können ja nicht einfach diesen und jenen wieder ausladen.

Es wird das Wenigste kurzfristig nachholbar sein. Beim einen oder anderen Projekt fänden wir den Wegfall so schade, dass wir es unbedingt ermöglichen wollen. Das wird dann aber wahrscheinlich erst 2022 sein. Wirklich verschoben, um ein paar Monate? Eine Handvoll, ein Dutzend wird möglich sein. Da müssen wir uns als HamburgMusik auch erstmal zurückhalten, weil einzelne Veranstalter das viel größere Bedürfnis haben.

Ich hoffe sehr, dass die nächste Saison wie geplant beginnen kann.

Den Spielplan für 20/21 werden Sie wie geplant Ende April präsentieren?

Das haben wir so geplant, das Programm ist fix und fertig und auch schon in die Druckerei gegangen. Das ist sehr schön, sehr umfangreich. Ich hoffe sehr, dass die Saison wie geplant beginnen kann. Man muss aber sehr davon ausgehen, dass das eine oder andere Projekt dann doch nicht wie geplant stattfinden kann. Möglicherweise dürfen wir zwar spielen, aber ein amerikanisches Orchester darf noch nicht reisen. Oder eine Tournee kann nicht passieren, oder jemandem bricht ein Sponsor weg. Wir merken jetzt mehr denn je, wie komplex jedes einzelne Projekt vernetzt ist in der Musikwelt.

Diese Unsicherheit, diese Ahnungslosigkeit letztlich – damit verglichen, waren die Krisen während der Elbphilharmonie-Baujahre Streichelzoo. Sie haben sich bestimmt nie gedacht, noch einmal in einer solche Bredouille zu kommen. Und jetzt fällt Ihnen diese Krise auf die Füße.

Uns geht’s ja allen so, in jedem Lebensbereich, jeder Institution, wir sind nicht schlimmer dran. Jeder ist davon betroffen, es ist eine Herausforderung, damit umzugehen, und sie wird die eine oder andere positive Entwicklung haben.

Nämlich?

Dass man sich wieder auf gewisse Werte besinnt. Dass man die Sachen langsamer angeht, vielleicht nicht mehr alle Künstler ununterbrochen um den Globus jetten müssen. Dass die lokale Musikszene noch mehr gestärkt wird. Ich finde, das ist ein unglaublich spannender, absolut geschichtlicher Moment. Es ist toll, dabei sein zu können und mitbeeinflussen zu können, wie sich die Welt danach weiterentwickelt.

Wir haben uns einen Plan gemacht, dass wir bis zum Sommer gut durchkommen.

Wie viel kostet der monatliche Betrieb der Elbphilharmonie im Normalzustand, wenn sie Einnahmen generiert – wie viel kostet sie jetzt?

Das ist ein wunder Punkt. Man muss unterscheiden zwischen den beiden Elbphilharmonie-Firmen – der HamburgMusik, die in Elbphilharmonie und Laeiszhalle Konzerte veranstaltet und das Education-Programm, die ist öffentlich subventioniert. Hat jetz weniger Kosten, weil keine Künstler auftreten können. Die hat eine gute Zukunftsprognose. Das Sorgenkind ist die Elbphilharmonie & Laeiszhalle Betriebsgesellschaft, die ELBG, die die Häuser betreibt und keine öffentliche Unterstützung bekommt. Die lebt von der täglichen Vermietung des Saals, an welchen Veranstalter auch immer, eben auch an HamburgMusik. Da sind die Einnahmen auf Null zurückgegangen. Wir haben ein bisschen was auf der hohen Kante. Die Mitarbeiter werden gerade für Kurzarbeit angemeldet. Wir haben uns einen Plan gemacht, dass wir bis zum Sommer gut durchkommen. Dann wird man mit der Stadt sprechen müssen, wie wir die Betriebsgesellschaft weiter absichern, falls die ganze Chose noch länger dauert.

Haben Sie von der Kulturbehörde dafür eine Carte Blanche erhalten, können Sie nach der Draghi-Devise „whatever it takes“ jetzt Miese machen, weil es anders nun mal nicht geht?

Die Kulturbehörde hat gerade größere Sorgenkinder als die Elbphilharmonie. Die Elbphilharmonie an sich hat eine super Zukunftsprognose, der wird es sicher früher oder später wieder gut gehen. Was wir machen, wenn das Nichtspielen länger dauert, haben wir im Detail noch nicht besprochen.

Welche Reaktionen haben Sie von Künstlern und Orchestern auf die Absagen bekommen?

Größtes Verständnis allseits. Die Solidarität ist super. Natürlich sind sie sehr enttäuscht. Schlimm ist es, wenn bei sehr namhaften Ensembles schon vorab große Kosten für große Projekte angefallen sind. Da ist das Versprechen eines Nachholtermins eine hilfreiche Möglichkeit und wird sehr gern angenommen. Aber allzu viele Versprechungen können wir momentan nicht machen.

Im Juni wieder anfahren, mit kleineren Sälen oder einer etwas geringeren Dichte – denkbar.

Am 3. Juli sollte die Elbphilharmonie-Sommerpause beginnen. Werden wir vorher tatsächlich noch Konzerte erleben, vielleicht ja auch nur im Kleinen Saal?

Halte ich für möglich, aber nicht für superwahrscheinlich. Für den Mai würde ich persönlich nicht mehr viel wetten. Im Juni wieder anfahren, mit kleineren Sälen oder einer etwas geringeren Dichte – denkbar. Aber, wie gesagt, es ist alles möglich, vier Wochen, vier Monate oder noch länger. Man muss mit jeder Situation rechnen.

Vor einigen Tagen meldeten sich die Wirtschaftsweisen der Bundesregierung mit einem Best-, einem mittleren und einem Worst-Case-Szenario. Haben Sie das auch?

Best wäre meiner Einschätzung nach Juni, mittel ist nach dem Sommer wieder, und worst case: irgendwann im nächsten Jahr.

Alle streamen jetzt, Altes oder Selbstgemachtes, in Socken wie Igor Levit oder ganze Orchester – aber niemand verdient etwas damit. Ihre Meinung?

An sich ist es toll, weil das erste Hilfsmittel gegen die schlimmsten Entzugserscheinungen sind. Das setzt auch sehr viel Kreativität frei. Wir haben das jetzt auch begonnen und wir bieten auch Honorare an. Wobei das den Künstlern gar nicht so wichtig ist. Die fragen, ob man das nicht einem anderen guten Zweck zuführen oder andere Leute unterstützen kann. Da herrscht eine große gegenseitige Hilfsbereitschaft. Wenn sich Streaming-Angebote perpetuieren, ist das Einwerfen von kleinen Münzen eine gute Möglichkeit, um den Musikern etwas zukommen zu lassen.

Aber von Anfang an alles kostenpflichtig, um die Alles-umsonst-Fehler der Plattenbranche und der Medien nicht zu wiederholen, ist nicht geplant?

Solche Bezahlsysteme muss man aufbauen. Das kann ich mir auf Dauer schon vorstellen, für echte Produkte, eine klar definierte Ware. Was jetzt zu sehen ist, sind Kurzfilme, kleine Sessions. Darauf kann man nicht wirklich sinnvoll ein Preisschild kleben. Es geht ja auch darum, den Leuten in dieser schwierigen Situation etwas Freude zu bringen.

War die Konzert-Branche nicht überhitzt? Ist das womöglich ein heilsamer Schock, unfreiwillig einen Gang runterzuschalten und es zukünftig freiwillig besser zu finden?

Durchaus. Aber das betrifft nicht nur die Konzertbranche, sondern unser aller Leben. Es hat sich ja auch schon über die Klimadiskussion leise angeschlichen. Das eine oder andere Orchester wollte nicht mehr fliegen, der eine oder andere Künstler hat sich kritisch geäußert. Wir haben auch überlegt, wie können wir es vermeiden, Menschen um den ganzen Globus einzufliegen, nur damit unser Programm dramaturgisch schön rund ist. Das ist jetzt durch Corona ganz massiv auf dem Tisch.

Das Dumme ist nur, dass sich der Glamourfaktor sich dann verringert und die Attraktivität des Programms gleich mit.

Unter Umständen, aber das wird sich wandeln. Was ist schon glamourös? Das Jet-Set-Dasein war bis vor kurzem sehr gefeiert. Wenn das nicht mehr so en vogue ist, könnten auch andere Arten von Künstlern entsprechend gefeiert sein. Abgesehen davon, sind wir in der Elbphilharmonie in der glücklichen Lage, dass unser größter Star, der größte Glamour das Haus und der Saal sind. Das bleibt Zugpferd Nummer eins. Wir sind die letzten drei Jahre absolut auf Hochtouren gelaufen, Rekord-Konzertzahl, Rekord-Auslastungen, das nächste Jahrbuch legt da nochmal eins drauf. Aber dass es so nicht weitergeht, erfahren wir gerade, das wird uns vielleicht auch gar nicht so schlecht tun.

Ich kann mir vorstellen, dass lokales Musizieren einen noch höheren Stellenwert bekommen kann.

Dann wären wir wieder im Teufelskreis: weniger machen, weniger Einnahmen, ist auch nicht okay.

Darauf werden wir uns einstellen müssen, das stimmt.

Wollen Sie örtliche Künstler jetzt direkt unterstützen? Öfter Termine an lokale Größen, neue Reihen, so etwas? Eine Kehrtwende oder zumindest ein Abbiegen in eine andere Richtung als die bisherige?

Ich weiß nicht, ob eine Abbiegung nötig ist, aber dass es eine gewisse Verschiebung gibt, kann ich mir schon vorstellen. Die guten lokalen Kräfte waren schon sehr präsent, aber da geht bestimmt noch ein bisschen mehr. Es sind zwar nicht vier weitere Superorchester in der Stadt, die man auch präsentieren könnte. Aber ich kann mir vorstellen, dass lokales Musizieren einen noch höheren Stellenwert bekommen kann.

Könnte es sein, dass die Karten teurer werden, um die aktuellen Verluste später wieder auszugleichen?

Da sehe ich erstmal keinen Zusammenhang.

Gehen wir mal ein Jahr voraus, in den April 2021. Wie wird sich Ihr Alltag dann verändert haben, vorausgesetzt, wir haben dann Konzerte?

Das hängt total davon ab, wie sich die Corona-Situation weiterentwickelt. Sind wir in sechs Wochen back to normal, wird es ziemlich sicher so aussehen wie vor der Krise. Sind wir in einem halben Jahr noch nicht wieder im Normalbereich – was nicht heißt, dass wir dann nicht spielen, aber vielleicht laufen Sachen anders an oder weniger kann stattfinden oder internationale Tourneen passieren nicht -, dann sieht’s möglicherweise anders aus. Aber darüber, was ich genau in einem Jahr tun werde, mache ich mir wenig Gedanken.

Der Moment der Wiedereröffnung und die ersten Wochen mit neuen Konzerten werden unglaublich emotional und beeindruckend werden.

Es wird einen Stichtag geben, an dem es wieder weitergeht. Planen Sie dafür etwas Besonderes, eine Art zweite, kleinere Eröffnung wie im Januar 2017? Nur mit Hamburger Musikern, um nicht einfach an Tag X das zu bieten, was an Tag X im Sortiment stand?

Wir haben schon Ideen gewälzt, natürlich mit unserem NDR-Hausorchester, das hängt aber vom tatsächlichen Termin ab, von den Saalverfügbarkeiten… Aber klar: Der Moment der Wiedereröffnung und die ersten Wochen mit neuen Konzerten werden unglaublich emotional und beeindruckend werden.

Wann, glauben Sie, werden wir das erste, voll besetzte Konzert im Großen Saal erleben? Ohne Schutzmasken im Publikum, nicht nur mit einem Pianisten auf der Bühne, sondern großes Orchester, Chor hintendran, alles, was geht?

Das kann ich Ihnen nicht sagen, aber wir planen, spätestens mit Saisonbeginn wieder so eine Situation zu haben.

Was bedeutet diese Krise für die Musikstadt Hamburg?

Es ist alles die totale Frage der Dauer. Momentan sind wir super organisiert, was kurz- und auch mittelfristige Unterstützung der Wirtschaft und auch einzelner Künstler betrifft. Im Unterschied beispielsweise zu den USA, wo sofort die größten Orchester Leute auf die Straße setzen, ist hier so etwas wie eine Bestandsgarantie zu merken. Um die freiberuflichen Künstler müssen wir uns am meisten kümmern, dass sie genügend Einkünfte haben, um ihre Miete zahlen und sich um ihre Familien kümmern zu können. Wenn es noch ein paar Wochen dauert, werden wir alle das relativ unbeschadet überstehen. Wenn es länger dauert – mal schauen.

In Deutschland habe ich momentan um keine Institution unmittelbare Angst.

Welche verletzlichen Konzepte und Strukturen bleiben auf der Strecke, weil es da keine Rücklagen gibt und keine Chance, das wieder auszugleichen?

In Deutschland habe ich momentan um keine Institution unmittelbare Angst. Da gibt es Reserven und den politischen und gesellschaftlichen Willen, dass die Dinge so weitergehen wie bisher. In anderen Ländern sieht das ganz anders aus. Das hat mit dem Stellenwert von Kultur und Musik zu tun.

Können Sie sich eine spontane Aktion der Elbphilharmonie vorstellen, um zu signalisieren: Wir sind nicht die elitäre Adresse, in die niemand kann, der nicht mindestens eine Drittvilla in Blankenese hat, wir sind das Konzerthaus für alle? Kommt so ein Signal jetzt womöglich?

Auf unserer Website spielen wir mehr und mehr Dinge aus, um die Menschen zu unterhalten und Informationen über die Elbphilharmonie zu liefern. Wir produzieren gerade etwas, was auch für Kinder und Familien spannend ist, Musik-Workshops… Das ist die Plattform, über die wir die Menschen momentan erreichen, weil wir ja niemanden im Haus begrüßen können.

Können Sie in dieser Situation Musik – aus der Konserve oder gestreamt – hören? Oder gerade nicht? Bei mir jedenfalls ist der Entzug relativ groß. Wir sind beide diese Live-Situation gewohnt und jetzt stehen wir beide vor diesem großen schwarzen Loch und sagen: um Himmels willen…

Ich höre sehr viel Musik, und jetzt gerade auch Klassik. Normalerweise ist das für mich eher Live-Musik. Ich schaue in den einen oder anderen Stream und höre – das mag gerade eine Entzugserscheinung sein – sehr viel Klaviermusik. Mit Musik kann man seinen Gefühlshaushalt steuern. Ohne Musik lebe ich selbst in diesen Zeiten nicht.