Hamburg. Tessa und Norbert Aust erleben mit ihren Schmidt-Theatern eine verrückte Zeit. Auf das beste Jahr der Firmenhistorie folgte Corona.

Vor drei Jahren hat Norbert Aust, zusammen mit Corny Littmann Eigentümer der Schmidt-Theater, die Geschäftsführung an seine Tochter Tessa, ältestes von sechs Kindern, und seinen Schwiegersohn Hannes übergeben. Die beiden machten das Privattheater noch erfolgreicher, als es schon war – und wissen wegen Corona jetzt trotzdem nicht, wie es weitergeht.

Ein Gespräch in zwei Teilen: Mit Tessa Aust über Kurzarbeit, tolle Gäste und Plexiglas im Theatersaal. Mit Norbert Aust über Kompetenz in der Krise, seine neue Rolle als Präses der Handelskammer und ein Wort, das furchtbar ist.


Das sagt Tessa Aust über…

… das Jahr 2019:

„Wir haben mit 440.000 Besuchern einen neuen Rekord erreicht. Wirtschaftlich war das vergangene Jahr das beste in der Unternehmensgeschichte. Und wir hatten uns für 2020 wahnsinnig viel vorgenommen, viele neue Produktionen und ein Umbau der Gastronomie waren geplant. Dann kam das Virus.“

… die Schließung der Theater:

„Wir haben die Theater quasi von einem Tag auf den anderen schließen müssen, und für die meisten Mitarbeiter schon im April Kurzarbeit angemeldet. Zuletzt haben von 270 Kollegen noch 30 bis 40 gearbeitet. Seit wir wissen, dass wir bis Ende Juni nicht öffnen dürfen, haben wir diese Zahl auf das absolute Minimum reduziert, um möglichst lange in dieser Situation durchhalten zu können. Denn leider kann man uns ja auch nicht sagen, ob und wie es ab Juli weitergeht.“

Tessa Aust – die Frau, die auf Geduld und Zuversicht setzt

… bereits verkaufte Tickets:

„Für die Zeit bis Ende April hatten wir 40.000 Tickets verkauft, für Mai und Juni kamen noch einmal 25.000 dazu. Unsere Kunden sind zum Glück sehr verständnisvoll, die wenigsten fordern ihr Geld zurück, viele nehmen stattdessen Gutscheine. Wir haben jetzt auch extra einen Unterstützer-Gutschein ins Leben gerufen, den es ab 4,99 Euro gibt.“

… die Frage, wie lange ein Theater durchhält, wenn es nicht öffnen darf:

„Kein Unternehmen hält so eine Situation lange durch. Im Moment haben wir fast keine Einnahmen, denn wir verkaufen auch viel weniger Karten als sonst für zukünftige Vorstellungen. Das trifft uns als nicht subventioniertes Theater besonders hart. Wir müssen uns jetzt so aufstellen, dass wir möglichst lange den aktuellen Status quo durchhalten.“

… die Unterstützung durch die Stadt:

„Wir sind in sehr gutem Austausch mit der Kulturbehörde, ich wurde bis jetzt noch nicht von der Politik enttäuscht. Die große Frage bleibt, wie lange die Schließung dauert. Aber klar ist, dass auch wir am Ende in dieser Situation finanzielle Unterstützung brauchen.“

… Hygieneregeln in einem Theater:

„Wir überlegen natürlich auch, was möglich ist. Die Behörde hat Signale gegeben, gemeinsam darüber nachzudenken, wie Theater in Zeiten von Corona stattfinden könnte. Und deshalb sprechen wir zum Beispiel über Plexiglasscheiben, über eine andere Saalbestuhlung und weitere Ideen, kommen aber noch immer an den Punkt, dass das Ergebnis nur bedingt etwas mit einem Theatererlebnis wie bisher zu tun hat. Wir wollen im Rahmen der Hygieneregeln alles möglich machen, aber natürlich darf die Atmosphäre nicht zu sehr darunter leiden. Grundsätzlich gilt: Wir können ganz schnell wieder hochfahren.“

Das sagt Norbert Aust über…

… die Frage, ob ihm seine Tochter und sein Schwiegersohn leidtun, weil sie in einer Krise stecken, für die sie nichts können:

„Ich bedauere sie sehr. Sie haben alles gegeben, um das Unternehmen erfolgreich weiter zu führen – und jetzt das. In der Krise zeigt sich aber auch die wahre Kompetenz, und ich bin mir sicher, dass die beiden die Theater wieder aus der Krise herausführen werden. Jetzt beweist sich einmal mehr, dass es die richtige Entscheidung von mir war, den beiden das Unternehmen zu übergeben. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das in einer solchen Situation so hinbekommen hätte, wie Tessa und Hannes das gerade schaffen.“

… die Rolle des Staates:

„Die Schließungsverfügung ist ein Berufsverbot und entspricht einer Enteignung. Diese muss entschädigt werden. Kein Unternehmen darf wegen Corona in die Insolvenz gehen. Dafür muss der Staat sorgen, und davor wird er sich nicht drücken können. In Hamburg hat der Senat sehr gut reagiert, in dem er ein Sonderprogramm für die Kultur in Höhe von 25 Millionen Euro aufgelegt hat. Aber das reicht natürlich nicht aus.“

Norbert Aust – der Mann, der noch nie einen Chef hatte

… systemrelevante Branchen, zu denen die Kultur bisher nicht gehört:

„Ich finde dieses Wort fürchterlich und falsch. Es ist kränkend gegenüber den Kultureinrichtungen und Künstlern, die wertvolle Arbeit für unsere Gesellschaft leisten, und denen die Existenzberechtigung abgesprochen wird. Die Kultur ist das, was uns von anderen Lebewesen unterscheidet. Sie zu achten und zu schützen, ist unser aller Pflicht. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht in eine gesellschaftliche Krise rutschen, weil Unternehmen in systemrelevant und nicht systemrelevant eingestuft werden. Das Wort spaltet. Und es geht noch weiter: Wenn man bisher eine Erkältung hatte, hat man gesagt: ich habe mich irgendwo angesteckt. Jetzt heißt es: xy hat mich angesteckt. Das ist eine fatale Entwicklung.“

… seinen Einstieg als Präses der Handelskammer:

„Ich habe mich sehr gefreut, dass ich zum Präses gewählt worden bin, und wir wollten viele Themen angehen: Fachkräftemangel, Stadtentwicklung, Mobilität. Doch das wird jetzt alles überdeckt durch die Coronakrise. Bei der Kammer herrscht Hochbetrieb. Alle helfen. Die Handelskammer nimmt schließlich das wirtschaftliche Gesamtinteresse von 170.000 Unternehmen wahr. Wenn die Krise überstanden ist, wird es ja nicht so weitergehen, wie es vorher war. Wir haben jetzt schon viele Unternehmen, die vor existenziellen Problemen stehen. Wir müssen jetzt daran arbeiten, wie wir aus der Krise ohne großen Schaden gemeinsam herauskommen. Das bedeutet: großen Einsatz von allen, und es wird nur gehen, wenn sich auch Firmen, die von der Krise profitieren, solidarisch mit den anderen erklären. Und es wird nur in einer starken Zusammenarbeit der norddeutschen Länder gehen.“

… den Tourismus in Hamburg und Norddeutschland:

„Auch für den Tourismus wird es nicht mehr so sein, wie es vor der Krise war. Es wird lange dauern, bis die Krise überwunden ist. Einerseits werden mehr Besucher aus Deutschland hier Urlaub machen wollen und nach Hamburg und die Nord- und Ostsee kommen. Andererseits wird sich das Reiseverhalten von Geschäftsleuten ändern, weil sich viele an Video- und Telefonkonferenzen gewöhnt haben. Man hat gelernt, dass es oft auch ohne den persönlichen Kontakt gehen kann. In Hamburg hängen am Tourismus übrigens fast 100.000 Arbeitsplätze und die Lebensqualität von uns allen.“