Hamburg. Besonders erschütternd: Die Opfer waren zwei Kinder, die auf dem Schulweg waren. Eines bot dem Täter noch sein Frühstück an.

Es war ein Doppelmord, der vor 100 Jahren Norddeutschland erschüttert hat – ein äußerst brutales Verbrechen an zwei Kindern. Die Opfer hatten gegen ihre Peiniger keine Chance, als diese den Jungen und das kleine Mädchen auf deren Schulweg abpassten und töteten. Einer der Verbrecher wurde schließlich im kurzen Prozess zum Tode verurteilt, der andere kam für lange Zeit ins Gefängnis. Das Verbrechen vom 16. März 1922 offenbart einen intensiven Blick in die Historie von Gewalt und in ein Justizsystem, das sich von unserem heutigen erheblich unterscheidet.

Deshalb haben sich Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher und Rechtsmediziner Klaus Püschel in ihrem Podcast „Dem Tod auf der Spur“ diesmal mit einem Mord beschäftigt, der sehr lange zurückliegt. „Die Tat war so entsetzlich, dass sie mich besonders erschüttert hat“, sagt Mittelacher. Und Püschel bestätigt: „Verbrechen an Kindern sind immer besonderes schlimm.“

Verbrechen Hamburg: Kinder tot im Wald gefunden

„Einen Tag nach ihrem Verschwinden werden die beiden Kinder tot im Wald gefunden“, erzählt der ehemalige Dokumentationsjournalist Rolf Meyer, der zu diesem Fall in der Region Lüchow-Dannenberg sehr intensiv recherchiert hat und Gast in diesem besonderen Podcast ist. „Das Entsetzen über die Gewalttat an den beiden Grundschülern ist groß. Fieberhaft wird nach den Verbrechern gesucht, die die Kinder getötet haben.“

"Dem Tod auf der Spur": Der Crime-Podcast mit Klaus Püschel und Bettina Mittelacher. © Hamburger Abendblatt

In der Nähe sind zwei Verdächtige gesehen worden, nach denen nun öffentlich gefahndet wird. Wörtlich heißt es in dem Aufruf: … „damit das ruchlose Verbrechen seine Sühne finden kann“. Schließlich kommt es zur Festnahme zweier Männer, die schließlich die Tötungen gestehen. „Über den einen mutmaßlichen Mörder heißt es, sein Transport zum Gerichtsgebäude sei ,ziemlich glatt vonstatten gegangen‘“, berichtet Mittelacher.

Junge bot Männern noch sein Frühstück an

„Das bedeutet in diesem Fall, dass die Menschenmenge zwar versucht habe, den Mann zu lynchen, indem man mit Stöcken auf ihn einschlug und Steine nach ihm warf“, erläutert Rolf Meyer. „Aber ein größeres Polizeiaufgebot habe die aufgebrachten Leute zurückdrängen und das Schlimmste verhindern können.“

So wie die beiden Verbrecher die Tat schildern, geschah Folgendes: „Beide hätten die Kinder mit einem Revolver bedroht und in den Wald geführt“, erzählt Mittelacher. „Der Junge habe den Männern sein Frühstück angeboten, damit sie dem Mädchen nichts antun. Das zeigt doch, wie verängstigt und verzweifelt die Kinder waren. Und so wehrlos!!! Die kleine, flehentliche Geste half aber nichts. Die Männer haben den Jungen und das Mädchen erschlagen beziehungsweise mit einem Messer getötet.“

Kinder wurden brutal ermordert

Die Verhandlung beginnt drei Monate nach der Festnahme der Verdächtigen. Einer der Angeklagten ist 32 Jahre alt, war im Ersten Weltkrieg Soldat und ist ein Mann, den schon seine Mutter früher als „ganz gemeingefährlichen Burschen“ bezeichnet haben soll. Der andere ist 15, wuchs ohne Mutter auf und verbrachte große Teile von Kindheit und Jugend in der sogenannten Fürsorgeerziehung. Beide Männer begehen gemeinsam mehrere Straftaten.

Und dann begegnen sie am 16. März 1922 den beiden kleinen Kindern und töten sie mit größter Brutalität. „Der Junge wird mit einem Knüppel erschlagen“, erzählt Rechtsmediziner Püschel. „Außerdem haben ihm die Täter mehrere Messerstiche versetzt. Den Mord an seinem Freund musste das Mädchen mit ansehen. Dann wurde es vergewaltigt und ebenfalls getötet. Den Leichnam des Mädchens schändeten die Täter. Sie gingen wirklich extrem gewaltsam, roh, brutal und mit niederer Gesinnung vor. Ein furchtbares Verbrechen.“

„Er soll gesagt haben: ,Mord ist Sport‘“

Beide Angeklagten hätten laut damaligen Medienberichten ihre Mordtat „ohne jede Gefühlsregung und ohne einen Schimmer von Reue“ geschildert, berichtet Rolf Meyer. „Was ihre Motive anbelangte, so lieferten sie keine schlüssige Erklärung.“ Beim Jüngeren spreche allerdings viel für Mordlust. „Er soll gesagt haben: ,Mord ist Sport.‘“

„Das klingt derartig gefühlskalt, dass es mich nur so graust“, kommentiert Mittelacher. Und Püschel konstatiert: „So eine menschenverachtende Kälte erlebt man auch in Mordprozessen äußerst selten.“ Da die beiden Verbrecher in vollem Umfang geständig sind, wird im Prozess entschieden, auf die Vernehmung der meisten Zeugen zu verzichten. Dann geht alles ganz schnell: „Den Geschworenen wurden zehn Fragen vorgelegt, die sich auf Totschlag und Mord bezogen“, berichtet Meyer.

Verbrechen Hamburg: Täter bekommen Todesstrafe

Und alle zehn Schuldfragen werden nach kurzer Beratungszeit bejaht. Schließlich verkündet der Vorsitzende Richter, Landgerichtsrat Puttfarken, das Urteil: Todesstrafe in zwei Fällen für den 32-Jährigen. Und der 15-Jährige bekommt die damals für Minderjährige zulässige Höchststrafe von 15 Jahren Haft. In der Urteilsbegründung hebt der Richter die „bestialische Rohheit“ hervor, die beispiellos sei.

Die Täter gehörten zum „Abschaum der Menschheit“, früher seien solche Verbrecher aufs Rad geflochten, gevierteilt und unter Qualen zu Tode gebracht worden. Der eine Mann stirbt schließlich durch das Fallbeil. Der andere kommt erst in Haft, dann, 1935, ins Konzentrationslager. Dort verliert sich seine Spur.