Hamburg. Gäste aßen in der Gaststätte und ahnten nicht, dass ganz in ihrer Nähe ein Toter lag. Was es mit dem kuriosen Fall auf sich hat.

Es war ein besonderes Tötungsdelikt, das für reichlich Schlagzeilen sorgte. Nicht nur, dass ein Mensch in einem Restaurant eines gewaltsamen Todes gestorben ist. Sein Leichnam wurde auch noch im Lokal in einer Grube unter Baustoffen entsorgt.

Die Gäste, die fortan dort speisten, hatten keine Ahnung, dass nur wenige Meter entfernt ein Toter lag! „Eine gruselige Vorstellung“, sagt Rechtsmediziner Klaus Püschel im Abendblatt-Crime-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ mit Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher. „Es war der 18. November 2015, als die grausige Wahrheit ans Licht kam. An diesem Tag rückten Ermittler in dem Lokal an und ließen den Boden aufstemmen. Darunter entdeckten sie den Leichnam eines 49-Jährigen, der Wochen zuvor als vermisst gemeldet worden war.“

Tod im Restaurant: Hamburger betoniert Leiche ein

Mittelacher und Püschel haben in diesem Podcast jenen Juristen zu Gast, der mit seiner Kammer über diesen Fall zu entscheiden hatte. Joachim Bülter, jahrzehntelang Richter und die letzten 13 Jahre seiner juristischen Karriere Vorsitzender einer Schwurgerichtskammer, über die Tat: „Man kann sagen, dass sich letztlich herauskristallisierte, dass in diesem Fall die Grenzen von Gut und Böse, von Täter und Opfer verschwammen. Unsere Kammer hatte über den Mann zu entscheiden, der für den Tod eines anderen verantwortlich war und der den Leichnam einbetoniert hatte. Doch es stellte sich heraus, dass dieser Täter in Wahrheit auch Opfer war.“

Der Tote: ein 49 Jahre alter Mann, der damals in St. Georg unter dem Namen CinCin bekannt war. Seit dem 30. September 2015 wurde er vermisst. Nun war da also seine Leiche in einer Baugrube eines Restaurants. Und der Betreiber dieses Lokals gesteht, den Mann erschossen und vergraben zu haben. „Das war eine ungewöhnliche Sektion. Der Tote war bereits teilweise verwest“, erinnert sich Rechtsmediziner Püschel. „Wir haben letztlich festgestellt, dass das Opfer durch einen Schuss in den Nacken starb, der aus nächster Nähe abgefeuert wurde. Durch eine Atemlähmung trat sehr schnell der Tod ein.“

„Wenn du nicht zahlst, geht einer von uns beiden drauf“

„Und doch deutete sich früh an, dass es sich nicht um einen kaltblütigen Mord handelt“, erläutert Mittelacher. Richter Bülter erklärt: „Der Todesschütze behauptete, dass er zuvor von dem späteren Opfer massiv bedroht worden sei, unter anderem mit einer Schusswaffe. Der geständige Täter sagte außerdem, dass er die Kugel im Rahmen eines Kampfgeschehens abgefeuert habe.“

Lange lief das Restaurant hervorragend. Bis dann eines Tages CinCin aufkreuzte und anfing, Schutzgeld von dem Wirt zu erpressen. Der Restaurantpächter zahlte nach und nach insgesamt rund 25.000 Euro, dann ging es nicht mehr. Und schließlich kam der schicksalhafte 30. September 2015.

„Was weiter geschehen sei, hat der Angeklagte im Prozess folgendermaßen geschildert“, erzählt Richter Bülter. „CinCin hat eine Schusswaffe dabei. Er will das Geld und sagt: ,Wenn du nicht zahlst, geht einer von uns beiden drauf.‘ Dann habe CinCin gemeint, Wirt Alfredo M. solle seine schönen Töchter arbeiten schicken, die seien alt genug. Der Gastwirt deutet die Worte so, dass er seine Töchter für CinCin anschaffen lassen solle.“ Das ist der Punkt, an dem Alfredo M. die Fassung verliert. „Er schildert weiter, er sei voller Wut aufgesprungen“, sagt Mittelacher. „Dabei kippen Tische um, die Männer fallen zu Boden, es entsteht ein Handgemenge. Und dann spürt er unter sich etwas Hartes. Es ist die Waffe, die CinCin mitgebracht hatte. Alfredo M. greift danach und schießt.“

Darstellung vor Gericht sorgfältig geprüft

Dann bemerkt er schockiert, dass der Schutzgelderpresser tot ist. Am nächsten Tag versteckt er das Opfer in einer Grube im Lokal.

Einige Zeit später wird CinCin von Angehörigen als vermisst gemeldet. Nun mehren sich die Hinweise, dass der Verschollene zuletzt in dem Restaurant war. Schließlich kommt es zur Durchsuchung und dem Fund des Leichnams. Anschließend gesteht Alfredo M., dass er den Schutzgelderpresser während eines Kampfes erschossen habe.

Der Prozess gegen Alfredo M. beginnt am 11. Mai 2016. „Natürlich werden vor Gericht Darstellungen eines Angeklagten immer sorgfältig geprüft“, betont Richter Bülter. „Was Alfredo M. erzählt hat, wurde letztlich durch die Beweisaufnahme bestätigt.“

Freispruch: Angeklagter handelte in Notwehr

„Schließlich gab es am 31. August 2016 einen Freispruch — mit der Begründung, dass der Angeklagte in Notwehr gehandelt habe. Was zunächst nach einem Verbrechen geklungen hatte, dieser Schuss aus nächster Nähe, war eher eine Verzweiflungstat“, erzählt Mittel­acher. Und Bülter erläutert: „Die Tat war an der äußersten Grenze dessen, was Notwehr noch abdeckt. Man darf nach einem rechtswidrigen Angriff diesen nicht nur mit einem gleich intensiven Mittel abwehren, sondern man darf alles tun, um den Angriff endgültig und dauerhaft zu beenden. Man muss sich also nicht auf eine unklare Kampflage einlassen. Der Schuss des Angeklagten ist nach unserer Überzeugung das mildeste Mittel gewesen, um den Angriff abzuwehren.“

Der Freispruch wurde später vom Bundesgerichtshof bestätigt.