St. Petersburg. Russland hat ein schwimmendes Atomkraftwerk losgeschickt, um Bohrinseln mit Strom zu versorgen. Umweltschützer reagieren entsetzt.

Bei Umweltschützern wächst die Sorge vor einem zweiten Tschernobyl: Russland hat ein umstrittenes sogenanntes schwimmendes Atomkraftwerk für die Energieversorgung auf Außenposten in der Arktis vom Stapel gelassen. Das Schiff „Akademik Lomonossow“ verließ am Samstag seine Werft in St. Petersburg, wie die Agentur Interfax meldete.

In den kommenden Wochen soll es über die Ostsee und das Nordmeer in den russischen Marinehafen Murmansk fahren. Dort sollten die zwei Reaktoren des Kraftwerks mit nuklearem Brennstoff ausgestattet werden, sagte Pawel Ipatow vom Kraftwerksbetreiber Rosenergoatom der Agentur Tass. Er sprach von einem „historischen Ereignis“.

Die „Akademik Lomonossow“ hat für Russland strategische Bedeutung. Sie soll im Sommer 2019 von Murmansk aus in das Arktische Meer fahren und dort russische Außenposten mit Strom und Wärme versorgen sowie Meerwasser entsalzen. Das Kraftwerk kann rund 200.000 Menschen mit Strom versorgen. Zielhafen ist Pewek in Sibirien.

Die „Akademik Lomonossow“ soll 2019 in Betrieb genommen werden.
Die „Akademik Lomonossow“ soll 2019 in Betrieb genommen werden. © dpa | Dmitri Lovetsky

Umweltschützer kritisieren das Projekt als riskant. Mit Blick auf die Atomkatastrophe von Tschernobyl 1986 warnte die Organisation Greenpeace kürzlich, es drohe die Gefahr eines „Tschernobyl auf Eis“.

Tschernobyl: Super-GAU vor 30 Jahren

Es war der bisher schwerste Unfall in einem Atomkraftwerk, der Super-GAU: Am 26. April 1986 geriet ein Versuch im ukrainischen Kraftwerk Tschernobyl außer Kontrolle, sodass der Reaktorkern zerstört und das Kraftwerksgebäude schwer beschädigt wurde. Durch die Explosionen wurde eine extrem große Menge Radioaktivität freigesetzt.
Es war der bisher schwerste Unfall in einem Atomkraftwerk, der Super-GAU: Am 26. April 1986 geriet ein Versuch im ukrainischen Kraftwerk Tschernobyl außer Kontrolle, sodass der Reaktorkern zerstört und das Kraftwerksgebäude schwer beschädigt wurde. Durch die Explosionen wurde eine extrem große Menge Radioaktivität freigesetzt. © dpa | epa Tass
Am 25. April 1986, um 23.10 Uhr hatte die Mannschaft damit begonnen, Reaktor 4 testweise herunterzufahren. Das Experiment war kurz unterbrochen worden, weil aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew mehr Strom verlangt worden war.
Am 25. April 1986, um 23.10 Uhr hatte die Mannschaft damit begonnen, Reaktor 4 testweise herunterzufahren. Das Experiment war kurz unterbrochen worden, weil aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew mehr Strom verlangt worden war. © akg-images | akg-images GmbH
Am 26. April um 0.28 Uhr sackt die Leistung Atomkraftwerks plötzlich auf 30 Megawatt ab – und schnellt um 1.23 Uhr auf mehr als 300.000 Megawatt hoch. Die Temperatur steigt, das Kühlmittel verdampft, das Personal kann auch mit dem Notfallknopf die Kettenreaktion nicht mehr unterbrechen. Die Brennelemente reißen, reagieren mit Wasser, der Reaktor ist außer Kontrolle.
Am 26. April um 0.28 Uhr sackt die Leistung Atomkraftwerks plötzlich auf 30 Megawatt ab – und schnellt um 1.23 Uhr auf mehr als 300.000 Megawatt hoch. Die Temperatur steigt, das Kühlmittel verdampft, das Personal kann auch mit dem Notfallknopf die Kettenreaktion nicht mehr unterbrechen. Die Brennelemente reißen, reagieren mit Wasser, der Reaktor ist außer Kontrolle. © akg-images | akg-images GmbH
26. April, 1.23 Uhr: Es kommt zum „Größten Anzunehmenden Unfall“ (GAU). Zwei Explosionen zerstören den Meiler, vermutlich ausgelöst durch riesige Mengen Wasserstoff. Durch die Detonationen reißt das Dach auf. Radioaktive Partikel steigen auf und verbreiten sich über Europa.
26. April, 1.23 Uhr: Es kommt zum „Größten Anzunehmenden Unfall“ (GAU). Zwei Explosionen zerstören den Meiler, vermutlich ausgelöst durch riesige Mengen Wasserstoff. Durch die Detonationen reißt das Dach auf. Radioaktive Partikel steigen auf und verbreiten sich über Europa. © akg-images | akg-images GmbH
Bergungsmannschaften bei Aufräumarbeiten nach der Reaktorkatastrophe 1986: Rund vier Minuten nach der Explosion waren die ersten Feuerwehrleute vor Ort. Sie trugen keine Schutzkleidung. Viele überlebten die Katastrophe nur um wenige Wochen.
Bergungsmannschaften bei Aufräumarbeiten nach der Reaktorkatastrophe 1986: Rund vier Minuten nach der Explosion waren die ersten Feuerwehrleute vor Ort. Sie trugen keine Schutzkleidung. Viele überlebten die Katastrophe nur um wenige Wochen. © dpa
Denkmal für die 30 Feuerwehrleute und Kraftwerksmitarbeiter, die bei der Explosion des Reaktors im Kernkraftwerk Tschernobyl und durch die nachfolgende Strahlung umkamen: Insgesamt halfen rund 600.000 sogenannte Liquidatoren, die Folgen der Katastrophe zu mindern.
Denkmal für die 30 Feuerwehrleute und Kraftwerksmitarbeiter, die bei der Explosion des Reaktors im Kernkraftwerk Tschernobyl und durch die nachfolgende Strahlung umkamen: Insgesamt halfen rund 600.000 sogenannte Liquidatoren, die Folgen der Katastrophe zu mindern. © dpa | Andreas Stein
134 der Arbeiter wurden so stark verstrahlt, dass sie an akuter Strahlenkrankheit litten. 28 von ihnen starben innerhalb von Tagen und Wochen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass insgesamt rund 2200 Arbeiter vorzeitig an Strahlenschäden sterben werden.
134 der Arbeiter wurden so stark verstrahlt, dass sie an akuter Strahlenkrankheit litten. 28 von ihnen starben innerhalb von Tagen und Wochen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass insgesamt rund 2200 Arbeiter vorzeitig an Strahlenschäden sterben werden. © dpa | Viktor_Chabarow
Die freigesetzte Radioaktivität betrug fünf Millionen Curie – das entspricht dem 30- bis 40-fachen der Radioaktivität der Hiroshima-Bombe. Die radioaktive Wolke breitete sich von der Ukraine zunächst nach Nordosten aus, nach Polen und Skandinavien, und erfasste dann auch weite Teile Mitteleuropas einschließlich Deutschlands.
Die freigesetzte Radioaktivität betrug fünf Millionen Curie – das entspricht dem 30- bis 40-fachen der Radioaktivität der Hiroshima-Bombe. Die radioaktive Wolke breitete sich von der Ukraine zunächst nach Nordosten aus, nach Polen und Skandinavien, und erfasste dann auch weite Teile Mitteleuropas einschließlich Deutschlands. © © epd-bild / Keystone | Keystone
Innerhalb einer Woche wurden 135.000 Menschen aus einer 30-Kilometer-Sicherheitszone evakuiert.
Innerhalb einer Woche wurden 135.000 Menschen aus einer 30-Kilometer-Sicherheitszone evakuiert. © akg-images | akg-images GmbH
Zunächst wurde der Reaktor mit bis zu fünf Meter Sand bedeckt. Die im Juni 1986 begonnene Ummantelung...
Zunächst wurde der Reaktor mit bis zu fünf Meter Sand bedeckt. Die im Juni 1986 begonnene Ummantelung... © © epd-bild / RUFO | rufo
...des zerstörten Reaktors mit Beton und Stahl („Sarkophag“) wurde am 3. November 1986 fertig. Große Mengen radioaktiver Stoffe hatten bis dahin weite Teile Weißrusslands, der Ukraine und Russlands verstrahlt.
...des zerstörten Reaktors mit Beton und Stahl („Sarkophag“) wurde am 3. November 1986 fertig. Große Mengen radioaktiver Stoffe hatten bis dahin weite Teile Weißrusslands, der Ukraine und Russlands verstrahlt. © © epd-bild / Thomas Lohnes | Lohnes, Thomas
Bodenkontamination in Europa nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl: In Deutschland und anderen Staaten sorgte der Tschernobyl-Schock vor 30 Jahren für Angst und Unsicherheit. Die junge Ökobewegung erhielt Auftrieb. Als Reaktion richteten sogar konservative Regierungen Umweltministerien ein. Wegen Tschernobyl legte Italien 1987 seine AKWs still, Polen brach 1989 den Einstieg ab.
Bodenkontamination in Europa nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl: In Deutschland und anderen Staaten sorgte der Tschernobyl-Schock vor 30 Jahren für Angst und Unsicherheit. Die junge Ökobewegung erhielt Auftrieb. Als Reaktion richteten sogar konservative Regierungen Umweltministerien ein. Wegen Tschernobyl legte Italien 1987 seine AKWs still, Polen brach 1989 den Einstieg ab. © dpa-infografik | dpa-infografik GmbH
In Deutschland war die Bodenkontamination im Südosten am stärksten.
In Deutschland war die Bodenkontamination im Südosten am stärksten. © dpa-infografik | dpa-infografik GmbH
Ein an Krebs erkranktes Mädchen in der zentralen Klinik für Onkologie und Radiologie Weißrusslands in Minsk im Jahr 1993: Seit 1990 wurden mehr als 6000 Fälle von Schilddrüsenkrebs in Weißrussland, Russland und der Ukraine gemeldet – eine weit höhere Zahl, als statistisch gesehen zu erwarten wäre. Weil sich Schilddrüsenkrebs sehr gut behandeln lässt, starb nur etwa ein Prozent der Betroffenen an den Folgen der Krankheit.
Ein an Krebs erkranktes Mädchen in der zentralen Klinik für Onkologie und Radiologie Weißrusslands in Minsk im Jahr 1993: Seit 1990 wurden mehr als 6000 Fälle von Schilddrüsenkrebs in Weißrussland, Russland und der Ukraine gemeldet – eine weit höhere Zahl, als statistisch gesehen zu erwarten wäre. Weil sich Schilddrüsenkrebs sehr gut behandeln lässt, starb nur etwa ein Prozent der Betroffenen an den Folgen der Krankheit. © © epd-bild / Hermine Oberück | Hermine Oberück
Abgesehen von den Schilddrüsenkrebs-Fällen ist laut WHO kein Anstieg der Krebsrate in den belasteten Gebieten festzustellen. Dabei muss man allerdings zwischen den klar messbaren Fällen und den Prognosen unterscheiden: In Modellrechnungen geht auch die WHO allein unter den Liquidatoren und den Bewohnern der am stärksten betroffenen Zone von etwa 4000 Todesfällen wegen Strahlenschäden bis ins Jahr 2081 aus. Einige Studien und Berichte legen auch eine weit höhere Zahl von Krebs- und Leukämie-Erkrankungen nahe. Laut WHO ist dies aber nicht eindeutig festzustellen.
Abgesehen von den Schilddrüsenkrebs-Fällen ist laut WHO kein Anstieg der Krebsrate in den belasteten Gebieten festzustellen. Dabei muss man allerdings zwischen den klar messbaren Fällen und den Prognosen unterscheiden: In Modellrechnungen geht auch die WHO allein unter den Liquidatoren und den Bewohnern der am stärksten betroffenen Zone von etwa 4000 Todesfällen wegen Strahlenschäden bis ins Jahr 2081 aus. Einige Studien und Berichte legen auch eine weit höhere Zahl von Krebs- und Leukämie-Erkrankungen nahe. Laut WHO ist dies aber nicht eindeutig festzustellen. © dpa | epa Photomig
Die Kleinstadt Pryapat musste aufgegeben werden – zu groß war die Kontamination nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl.
Die Kleinstadt Pryapat musste aufgegeben werden – zu groß war die Kontamination nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl. © dpa | Andreas Stein
Die Gebäude verfallen, Katastrophen-Touristen haben...
Die Gebäude verfallen, Katastrophen-Touristen haben... © dpa | Andreas Stein
...sich an den Wänden verewigt.
...sich an den Wänden verewigt. © dpa | Andreas Stein
In Sichtweite des havarierten Reaktors arbeiten 30 Jahre nach dem Unglück mehr als 1400 Menschen einer neuen Hülle: In einer spektakulären Aktion sollen am Ende etwa 29.000 Tonnen Stahl über den radioaktiv strahlenden Betonklotz gedrückt werden.
In Sichtweite des havarierten Reaktors arbeiten 30 Jahre nach dem Unglück mehr als 1400 Menschen einer neuen Hülle: In einer spektakulären Aktion sollen am Ende etwa 29.000 Tonnen Stahl über den radioaktiv strahlenden Betonklotz gedrückt werden. © dpa | Andreas Stein
Der mehr als 100 Meter hohe und 30.000 Tonnen schwere Bogen aus rostfreiem Stahl...
Der mehr als 100 Meter hohe und 30.000 Tonnen schwere Bogen aus rostfreiem Stahl... © dpa-infografik | dpa-infografik GmbH
...soll ab 2017 für 100 Jahre über dem explodierten Reaktor 4 des Atomkraftwerks Tschernobyl stehen.
...soll ab 2017 für 100 Jahre über dem explodierten Reaktor 4 des Atomkraftwerks Tschernobyl stehen. © dpa | Andreas Stein
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Russland will sich reiche Vorkommen an Öl und Gas sichern, die in der Region um den Nordpol vermutet werden. Zudem werden durch die klimabedingte Eisschmelze neue Schifffahrtsrouten im hohen Norden Russlands frei. Daher stärkt Moskau seine Präsenz in der Region zunehmend militärisch. Auch die USA und andere Anrainerstaaten haben Interesse an der Arktis angemeldet. (dpa)