Hamburg. Künftig sollen mehr städtische Flächen über Erbbaurechte vergeben werden. Wie die Grundstücksvergabe bisher funktioniert.

Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt gehört nicht zu den Politikern, die wöchentlich mit kernigen Aussagen von sich reden machen. Wer sich als Journalist von Gesprächen mit der promovierten Kunsthistorikerin eine aufregende Schlagzeile erhofft, der steigt auf dem Rückweg von ihrer Behörde meist enttäuscht am Bahnhof Wilhelmsburg in die S-Bahn. Nun aber hat die zurückhaltende Sozialdemokratin einen Schwenk in der Baupolitik angekündigt, der Auswirkungen auf die Zukunft der Stadt haben dürfte: Hamburg will trotz Wohnungsbauprogramms weniger Grundstücke verkaufen. Stattdessen will man Grund und Boden oft nur noch für meist 75 Jahre über Erbbaurechte verpachten.

„In Zukunft sollen mehr städtische Flächen in Hamburg, wo es sinnvoll ist, im Erbbaurecht vergeben werden. Damit erhalten wir langfristig den Einfluss der Stadt auf die bauliche Entwicklung und die städtebauliche Sicherung unserer sozial- und wohnungspolitischen Ziele“, sagte Stapelfeldt dem Abendblatt. „So tragen wir Verantwortung für nachfolgende Generationen.“ Der Senat habe sich vorgenommen, „künftig mehr Flächen in städtischer Hand zu behalten als bislang“. Wie hoch der Anteil sein soll, mag die vorsichtige Senatorin allerdings nicht sagen.

Instrument zuletzt kaum eingesetzt

„Schon jetzt hat Hamburg rund 4400 Grundstücke in Erbbaurecht vergeben“, sagt Stapelfeldt. „Das ergibt eine Fläche von 1250 Hektar, einen Anteil von 4,3 Prozent der städtischen Flächen. Diesen Prozentsatz wollen wir deutlich steigern. So können die Hamburgerinnen und Hamburger weiterhin sicher sein, dass mit diesem Senat kein Ausverkauf städtischer Flächen stattfinden wird.“

Zuletzt hat der Senat das Instrument der Erbbauvergabe kaum eingesetzt. Der Großteil der Erbpachtverträge mit mehr als 150 Grundstücken ist in den vergangenen zehn Jahren laut Finanzbehörde an die städtische Saga gegangen. Zwischen 2007 und 2017 gingen nur elf Flächen in Erbpacht an Private. Die SPD ist bei dem Thema weiterhin zurückhaltender als Grüne und Linke. Die Grünen haben gerade die Forderung beschlossen, Grundstücke in Hamburg künftig nur noch in Erbbaurecht zu vergeben – und gar nicht mehr zu verkaufen. Ein ähnlicher Antrag der Linken wird demnächst im Stadtentwicklungsausschuss der Bürgerschaft verhandelt.

Rund eine Milliarde Euro eingenommen

Einen formalen Beschluss des rot-grünen Senats über den neuen Kurs gibt es zwar noch nicht. Er dürfte aber in absehbarer Zeit gefällt werden. Damit bremst die Stadt eine Privatisierungspolitik, die sie über Jahrzehnte mehr oder weniger intensiv betrieben hat. Nachdem die CDU-geführten Senate in umfassenden Verkaufsprogrammen im vergangenen Jahrzehnt wenig konservativ sogar Behördengebäude wie die Finanzbehörde selbst verkauft hatten, veräußerten die SPD-Senate von 2011 an große Flächen an Investoren – nun vor allem für dringend nötigen Wohnungsbau.

Abendblatt und Correctiv haben exklusiv die Grundstücksverkäufe der Stadt aus den Jahren 2011 bis 2017 ausgewertet (siehe weiterführende Artikel). Mit diesen Verkäufen nahm die Stadt rund eine Milliarde Euro ein. 61 Prozent der in diesem Zeitraum verkauften Grundstücke gingen an Privatpersonen und Unternehmen. Mehr als ein Drittel wurde an die städtische Saga oder Genossenschaften verkauft.

Punktesystem soll entscheiden

Wie aber funktioniert die Grundstücksvergabe konkret? „Seit 2011 vergeben wir Grundstücke über Konzeptausschreibungen, deswegen bekommt längst nicht derjenige das Grundstück, der den höchsten Preis bietet, sondern derjenige, der das beste Konzept vorlegt“, sagt Stadtentwicklungs-Staatsrat Matthias Kock. „Für uns ist der Preis nicht maßgeblich, sondern das, was mit den Grundstücken am Ende passiert.“

Bei Ausschreibungen soll ein Punktesystem entscheiden, wer den Zuschlag erhält. Dabei werden 1000 Punkte vergeben. 300 gibt es für den höchsten Preis, 700 werden für die Erfüllung der Konzeptvorgaben verteilt. Diese unterteilen sich wie folgt: 280 Punkte gibt es für städtebauliche Kriterien (Architektur etc.), 280 für die wohnungspolitischen Konzepte (Anteil an Sozialwohnungen), für Energieeffizienz und Umweltstandards gibt es 140 Punkte.

Manche Beteiligte bestreiten, dass die Qualität wirklich wichtiger sei als der Preis. „Mit der Zeit wurden sich die Konzepte ähnlicher, sodass der Preis wieder wichtiger wurde“, räumt Kock ein. „Deswegen haben wir den Anbietern ermöglicht, ohne starre Vorgaben eigene Konzeptdetails einzubringen. Durch diese Weiterentwicklung haben wir sichergestellt, dass der Preis nicht wieder das wichtigste Kriterium wird.“ Doch der Staatsrat betont auch, dass es nicht nur auf sozialen Wohnungsbau ankomme. „Hamburg soll eine Stadt für alle sein und bleiben“, so Kock. „Auch besser verdienende Menschen sollen hier leben, daher sollen auch Eigentumswohnungen angeboten werden.“ Anders als Umweltverbände es fordern, solle man in Hamburg zudem weiterhin Einfamilienhäuser bauen dürfen.

Kein völliger Verzicht auf Verkäufe

Dabei steht Kock voll hinter dem Schwenk zu mehr Erbbau. „Ein gedankenloses Verkaufen wäre nicht richtig. Es ist vernünftig, mehr Grundstücke in Erbpacht zu vergeben, damit unsere Erbinnen und Erben später wieder Einfluss auf die Stadtentwicklung Hamburgs nehmen können“, sagt der Jurist. „In der Regel werden Grundstücke für 75 Jahre in Erbpacht vergeben, derzeit zu einer Pacht von jährlich zwei Prozent des aktuellen Verkehrswertes.“

Ein völliger Verzicht auf Verkäufe ist damit aber nicht verbunden. Es soll im Einzelfall entschieden werden. Beim Erbbaurecht gebe es nämlich auch Nachteile – nicht nur für Pächter, sondern auch für die Stadt. „Oft ist es so, dass vor Ende der Erbpacht Gebäude nicht mehr modernisiert werden – weil Pächter Probleme haben, Kredite zu bekommen, oder meinen, es lohne sich nicht mehr“, so Kock. „Die Stadt muss also frühzeitig verlässliche Rahmenbedingungen und Anschlussregelungen finden, damit so etwas nicht passiert.“

Mithin: Die Neuausrichtung der Bodenpolitik könnte nicht nur eine Antwort auf die Gefahr von Spekulationsgeschäften sein, die Preise und Mieten nach oben treiben. Sie wirft auch neue Fragen auf, die der Senat in den kommenden Monaten beantworten muss.