Hamburg. Hamburg steckt 250 Millionen Euro in ein Förderprogramm. Und dennoch sinkt der Bestand. Wie passt das zusammen?

Wie wichtig dem neuen Bürgermeister das Wohnen ist, wurde in seiner Regierungserklärung deutlich. Knapp fünf Minuten seiner gut halbstündigen Rede referierte Peter Tschentscher über dieses Thema, am Ende versprach er: „Wir werden viele günstige neue Wohnungen schaffen, damit sich jeder das Wohnen in Hamburg leisten kann.“ Für dieses Ziel werde man künftig jedes Jahr 3000 Sozialwohnungen bauen, viel mehr als zuvor.

Es klingt nach einer Erfolgsmeldung. Und in der Tat förderte die Stadt mit zinsgünstigen Darlehen und Zuschüssen im vergangenen Jahr 3165 neue Mietwohnungen – eine Steigerung um fast 40 Prozent gegenüber 2016 (2290 Wohnungen). Zudem können seit 2011 auch mittlere Einkommensgruppen auf den Einzug in eine geförderte Wohnung hoffen. Für sie gibt es den sogenannten zweiten Förderweg mit einer etwas höheren Miete. Und mit 128 geförderten Wohnungen je 100.000 Einwohner lag Hamburg 2016 im Ranking der Flächenländer und Stadtstaaten klar vorn, in Sachsen-Anhalt, Sachsen und dem Saarland wurde nicht mehr eine einzige Wohnung gefördert.

Image war im Keller

Man könnte die Bilanz indes auch ganz anders bewerten. Denn trotz Neubau sinkt die Zahl der Sozialwohnungen Jahr für Jahr – von 118.000 (2007) auf 78.779 (2017). Mitte der 1980er-Jahre gab es sogar noch mehr als 350.000 öffentlich geförderte Wohnungen in der Hansestadt. Wie passt das zusammen? Wieso geht der Bestand an öffentlichem Wohnraum immer weiter zurück, obwohl der Senat 250 Millionen Euro in das Wohnraumförderprogramm steckt?

Leitartikel: Hamburgs größte Baustelle

Bei der Suche nach Antworten lohnt ein Gespräch mit Willfried Maier, Gründungsmitglied der Grünen und von 1997 bis 2001 Senator für Stadtentwicklung, Bundes- und Europaangelegenheiten. Maier, 15 Jahre Mitglied der Bürgerschaft, erzählt gern die Anekdote des 2008 verstorbenen Unternehmers und FDP-Politikers Robert Vogel, um zu illustrieren, warum es mit dem sozialen Wohnungsbau in Deutschland bergab ging. Der milliardenschwere Immobilieninvestor hatte sich 1974 bewusst arm gerechnet, um binnen zehn Minuten einen sogenannten Paragraf-5-Schein zu bekommen, der zum Einzug in eine Sozialwohnung berechtigt. In die zog Vogel zwar nie ein, wedelte aber PR-wirksam in der Bürgerschaft mit dem Papier, um zu beweisen, wie leicht man eine Behörde austricksen kann.

Später, sagt Maier, habe es solcher Kniffe gar nicht mehr bedurft: „Nach dem Korruptionsskandal um die Neue Heimat war das Image des sozialen Wohnungsbaus endgültig im Keller.“ Der „Spiegel“ hatte 1982 aufgedeckt, dass sich Vorstände bereichert hatten – ausgerechnet bei einem gewerkschaftseigenem Konzern. Zudem entwickelten sich Hochhaussiedlungen wie Kirchdorf Süd oder Mümmelmannsberg zu sozialen Brennpunkten.

Bindungsfristen wurden verkürzt

„Es gab dann noch Prognosen, dass sich die Einwohnerzahl angesichts des Geburtenrückgangs zurückentwickeln würde“, sagt Maier. Vom Leitbild der „Wachsenden Stadt“, geprägt durch Ole von Beust, war Hamburg damals weiter entfernt als der HSV derzeit von der Champions League.

Um den sozialen Wohnungsbau für Investoren halbwegs attraktiv zu halten, wurden die Bindungsfristen, also die Fristen, in denen eine Wohnung zu besonderen Konditionen vermietet werden muss, verkürzt, häufig auf nur noch 15 Jahre. Der Niedrigzins verschärfte zuletzt das Problem. Das Lockmittel von günstigen Darlehen für Vermieter, die bereits sind, in den sozialen Wohnungsbau mit gedeckelten Mieten zu investieren, hat seine Wirkung verloren.

Bittere Konsequenz

All dies führt jetzt dazu, dass seit 2010 in Hamburg 34.400 Sozialwohnungen aus der Bindung gefallen sind, bis zum Jahr 2020 kommen noch einmal 12.000 dazu. Die bittere Konsequenz für Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt: Selbst die größten Förderanstrengungen im Neubau können allenfalls dafür sorgen, dass die Zahl der Wohnungen mit Sozialbindung in der Zukunft konstant bleibt.

„Die Verkürzung der Fristen hat dazu geführt, dass der dringend erforderliche bezahlbare Wohnraum bereits nach 15 Jahren nicht mehr bereitsteht“, kritisiert Siegmund Chychla, Vorstand des Mietervereins Hamburg. „Teilweise müssen Bewohner dann ausziehen, weil sie die erhöhten Mieten nicht mehr zahlen können. Bei Mieterwechsel werden Neuvermietungsmieten verlangt, die erheblich über dem Mietenspiegel liegen.“

Linke fordert eine deutlich längere Bindung

Der ehemalige Senator Maier ist heilfroh, dass der Senat immerhin einen Fehler anderer Metropolen nicht machte. Der Stadt widerstand der Versuchung, mit kommunalen Wohnungen Kasse zu machen: „Wir haben die Saga gehalten, das ist ein Glücksfall.“ In der Tat leistet die Saga den Löwenanteil für den günstigen Wohnungsbau. „Sie soll künftig doppelt so viele Wohnungen bauen wie bisher. 2000 neue städtische Wohnungen pro Jahr sind das Ziel“, sagt Tschentscher.

Der Linken reicht das nicht. Heike Sudmann, als Abgeordnete in ihrer Fraktion zuständig für Stadtentwicklung, hält die Wohnungsbaupolitik des Senats angesichts wachsender Einwohnerzahlen für „grundlegend falsch“. Sie sagt: „Die Mieten steigen viel stärker als die Einkommen. Nur die Zahl der öffentlich geförderten Wohnungen wächst nicht. Hamburg braucht viel mehr Sozialwohnungen mit mindestens einer 30-jährigen Bindung.“ Dies würde sich für Sudmann finanziell rechnen, da die Stadt dann andere Sozialausgaben etwa für das Wohngeld senken könne.

Unternehmen stärker fördern

Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VDN), hält dagegen eine Verlängerung nur in Ausnahmefällen für notwendig: „Wohnungsgenossenschaften und Saga nehmen auch nach Ende der Bindung nicht Höchstmieten. Damit bleibt bezahlbarer Wohnraum über Jahrzehnte erhalten. Die betroffenen Wohnungen sind ja nicht weg, sondern existieren weiter. Mieten werden nur angehoben, wenn die Kosten für Instandhaltung und Bewirtschaftung steigen.“ Er plädiert für das Prinzip der Freiwilligkeit: „Einen gesetzlichen Zwang zur Verlängerung von Bindungen lehnen wir ab.“

Stattdessen solle man lieber jene Unternehmen stärker fördern, die die Mietpreisbindung verlängern: „In Tübingen bekommt jeder Eigentümer einer Mietwohnung bis zu 700 Euro pro Quadratmeter ausgezahlt, wenn dieser sich dazu verpflichtet, die Wohnung 30 Jahre lang um 33 Prozent unter dem Mietspiegelwert zu vermieten.“