Hamburg. Der Sohn einer Kaufmannsfamilie machte Karriere als Anwalt. Bis ein Hilferuf aus der linken Szene sein Leben veränderte.

Der Weg in das Reich von Hans-Jochen Waitz führt vorbei am mächtigen Steigenberger-Hotel in eine Straße mit Kopfsteinpflaster. Zwischen der modernen Fleetinsel-Klinik und dem Hochhaus eines Versicherers ducken sich betagte Kontorhäuser. Beim Stadtbummel – etwa zum Michel oder zum Neuen Wall – übersieht man sie schnell. Und so wissen selbst viele geborene Hamburger nicht, dass an der Admiralitätstraße Galerien, ein Theater und eine Buchhandlung für Kunst, Architektur und Film ihre Heimat gefunden haben.

Der Hausherr trägt beim Abendblatt-Besuch ein hellblaues Hemd und ein dunkelblaues Jackett. Wer nur die Biografie von Waitz kennt, würde ihn viel eher auf der anderen Seite des Quartiers in der Edelmeile Neuer Wall verorten. Aufgewachsen ist er in Lemsahl-Mellingstedt als Sohn einer Kaufmannsfamilie, sein Urgroßvater Georg – Namensgeber der Waitzstraße in Othmarschen – saß für die kaisertreue Casino-Partei in der Frankfurter Nationalversammlung.

Abitur an der Gelehrtenschule des Johanneums, Jurastudium in Freiburg, Lausanne und Berlin, schließlich mehr als drei Jahrzehnte Partner einer internationalen Sozietät mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsrecht. Verheiratet, wohnhaft in Winterhude, vier Söhne, allesamt Juristen. Doch statt auf dem Golfplatz oder im Rotary-Club treffen wir den Mann mit den markanten Theo-Waigel-Augenbrauen in seinem Büro im dritten Stock mit knarzenden Dielen. Im Erdgeschoss baut gerade ein Galerist Scheinwerfer für eine Lichtinstallation auf, im alternativen Theater Fleetstreet wird geprobt.

Kunstverständiger Mäzen auf Augenhöhe

„Das hier ist meine Heimat, hier fühle ich mich wohl“, sagt Waitz. Wer ihn bei einem Rundgang durch das Quartier mit fingerdicker Patina begleitet, spürt, wie sehr ihn seine Mieter mögen. Für die meisten ist der ältere Herr schlicht der „Jockel“. Ein kunstverständiger Mäzen auf Augenhöhe. Und kein millionenschwerer Gönner, der für milde Gaben Dankbarkeit einfordert. Ohne Waitz, das ist sicher, gäbe es dieses „geheime Zentrum der Kunst in Hamburg“ („Merian“) längst nicht mehr. 1986 sollten die Kontorhäuser geopfert werden für Büros und einen Parkplatz. In den abbruchreifen Gebäuden werkelten damals Künstler, manche hatten sich – nicht ganz legal – mit Matratzen komplett einquartiert.

Als die Bagger kommen sollten, protestierten die Bewohner mit einem Spruchband „Senat essen Straße auf“. Ein Künstler rief Waitz an, der seine Kanzlei damals in der Nähe hatte: „Jockel, du musst uns helfen.“ Hans-Jochen Waitz willigte ein, Kunst hatte ihn schließlich schon als Kind fasziniert. Sein Vater hängte jedes Jahr zu Weihnachten fünf Bilder an die Wand, jedes der fünf Kinder durfte sich ein Kunstwerk aussuchen – notfalls entschied das Los. Als Student baute Waitz seine Sammlung aus: „Immer wenn ich etwas übrig hatte, steckte ich es in die Kunst.“

Doch erst der Anruf katapultierte den passionierten Sammler in eine neue Rolle: als Spezialist für die ganz schwierigen Immobilienfälle. Waitz überredete den damaligen Kultursenator Ingo von Münch zu einem Besuch bei den Künstlern, der Beginn schwieriger Verhandlungen. Nach langem Tauziehen war die Lösung – zumindest auf dem Papier – am Ende erstaunlich einfach. Waitz kaufte 1989 mit einem befreundeten Architekten die vier Häuser, sanierte sie – und vermietet sie seitdem an eine Klientel mit viel Kreativität und wenig Geld.

Monatelange Verhandlungen

In der Realität war der Weg natürlich deutlich schwieriger. „Wie heruntergekommen die Häuser wirklich waren, wurde uns erst bei der Sanierung klar“, sagt Waitz. Zum Lohn sitzt er nun auf einem Schatz, angesichts des Immobilienbooms könnte Waitz mit einem Verkauf das Geschäft seines Lebens machen – oder zumindest die Mieten auf ein Niveau anheben, das Makler so gern „marktüblich“ nennen.

Aber Waitz denkt gar nicht daran, im Gegenteil. „Wir schmeißen hier niemanden raus“, sagt er. Wenn es bei einem Künstler finanziell mal klemmt – was zu diesem fragilen Gewerbe gehört wie Pinsel, Ton oder Leinwand –, findet er immer einen Weg, etwa indem der Künstler in ein kleineres Atelier oder eine kleinere Wohnung umzieht.

Kein Wunder, dass die seltene Kombination aus juristischer Expertise, kaufmännischer Denke und sozialem Engagement für Nachfrage sorgt. Als 1994 der Konflikt um die Hafenstraße eskalierte, engagierte der Senat Waitz erneut als Vermittler. „Am liebsten wäre es der Politik gewesen, wenn ich auch diese Häuser gekauft hätte“, sagt Waitz. Aber schon beim ersten Gespräch in den besetzten Gebäuden spürte Waitz, dass die Lösung der Admiralitätstraße hier nicht funktionieren würde: „Den Aktivisten war die Eigenständigkeit wichtig. Einen Kauf hätten sie als Enteignung betrachtet.“ Monatelang verhandelte Waitz mit Senat und Hafenstraße – in einer hoch brisanten Atmosphäre angesichts der Gewaltausbrüche der autonomen Szene.

Waitz half, die Hafenstraße zu befrieden

Nun verbindet man die Rolle eines Mediator nicht unbedingt mit einem Anwalt, der ja in allererster Linie für die Interessen seines Mandanten kämpft, ihn vor einer Gefängnisstrafe schützt oder die Zahlungen im Rosenkrieg an die Ex-Frau drückt. Aber Waitz tickte als Jurist anders, vor Gericht trat er so selten auf, dass er sich die Robe lieber lieh: „Ich war immer jemand, der im Wirtschaftsrecht den Ausgleich zwischen Unternehmensinteressen gesucht hat.“ Diese Eigenschaft half ihm auch intern, gerade konservative Partner der Kanzlei fürchteten durch das Engagement ihres Kollegen in der Auseinandersetzung mit gewaltbereiten Chaoten um das Renommee der Sozietät. „Ich konnte sie aber in langen Gesprächen überzeugen, dass dieses gesellschaftliche Engagement wichtig ist“, sagt Waitz.

Die Lösung war schließlich ein Genossenschaftsmodell, praktischerweise wurde Waitz direkt Mitglied des Aufsichtsrats. Er ist heilfroh über diesen Weg: „Uns ist es gelungen, dass die Hafenstraße weitgehend befriedet wurde.“

Jetzt hat der Jurist das nächste ehrenamtliche Mandat übernommen. Er engagiert sich für den Künstler- und Handwerkerhof an der Bernstorffstraße in Altona (siehe Text unten auf dieser Seite). Sein Freund, der Musiker und Schriftsteller Rocko Schamoni, der dort in seinem Atelier töpfert, hatte ihn gebeten, im Konflikt mit den neuen Eigentümern zu vermitteln. Wieder geht es um Menschen, die fürchten, dass sie ihre Heimat verlieren. „Die Hofgemeinschaft möchte weiter dort leben und arbeiten. Ich halte das für ein erstrebenswertes Ziel“, sagt Waitz, der nun mit am runden Tisch im Bezirksamt tagt.

Waitz ist in Sorge

Mit einiger Sorge beobachtet Waitz die Entwicklungen auf dem Immobilienmarkt, er sieht die gesellschaftliche Balance in seiner Heimatstadt in akuter Gefahr: „Wir müssen aufpassen, dass wir hier nicht eines Tages Zustände wie in Paris oder London bekommen, wo nur noch Gutbetuchte sich eine Wohnung leisten können.“ Früher habe man zumindest in Vierteln wie Jenfeld noch günstigen Wohnraum finden können: „Doch selbst dort ziehen die Mieten immer weiter an.“ Die Stadt müsse alles versuchen, um die Angriffe von Investoren, für die allein die Rendite zähle, abzuwehren. Auch deshalb sei die Losung des rot-grünen Senats richtig: „bauen, bauen, bauen.“

Sich in einer Partei zu engagieren schließt Waitz aus, eine kurze Mitgliedschaft in der FDP hat ihm gereicht. Er hat ja genug zu tun in seinem Künstler-Biotop, besonders die mitunter etwas sperrigen Produktionen des Fleetstreet-Theaters haben es ihm angetan: „Diese jungen Künstler verdienen ihre Chance.“ Noch bis zum 29. November ist dort das Stück „The Voice of Shannon“ zu sehen. Im Programm heißt es unter anderem: „Die titelgebende Hauptfigur hat den Aufführungsraum längst verlassen, und es bleiben nur Hinweise, verteilt in einer Rauminstallation, die futuristisch, aber gleichzeitig auch abgenutzt und antiquiert erscheint.“

Gute Seele der Admiralitätstraße

Was zu der Frage führt, wie es weitergeht, wenn die Hauptfigur namens Hans-Jochen Waitz einmal den Dienst als gute Seele der Admiralitätstraße quittieren sollte. Droht dann der Angriff der Rendite-Jäger auf das künstlerische Kleinod? Man könne da unbesorgt sein, sagt Waitz. Einer seiner Söhne hat ihm schon versprochen, das Werk in seinem Geiste weiterzuführen.

In der Hafenstraße ist Waitz nur noch selten. Zu den jährlichen Genossenschaftssitzungen geht er aber in aller Regel, was mitunter am Eingang für Irritationen sorgt, die jüngeren Aktivisten kennen ihn nicht. Waitz bittet dann in seiner ruhigen freundlichen Art, ins Genossenschaftsverzeichnis zu schauen: „Sie finden mich dort unter Mitgliedsnummer vier.“ Dann darf Waitz sogar zum Essen bleiben.