Hamburg. Wohngruppe kündigt 52-jähriger Frau mit Autismus fristlos. Ihr Bruder sucht verzweifelt einen neuen Platz.

Das Schreiben erreichte Erik H. per Boten. „Hiermit kündigen wir den mit Ihnen geschlossenen Vertrag fristlos“, heißt es im ersten Satz. Seine Schwester Karen H. müsse die Wohngruppe im Hamburger Bezirk Nord verlassen, nur aus „sozialen Gründen“ dürfe sie noch bis Monatsende bleiben, falls dies gewünscht sei.

Es ist ein Brief, der das Leben von Erik H. verändert hat. Er kümmert sich auch als rechtlicher Betreuer um seine Schwester, die seit Geburt an frühkindlichem Autismus leidet; die Eltern sind gestorben. Viele Jahre lebte Karen H. zufrieden in der Wohngruppe, tagsüber ging sie in eine betreute Werkstatt. Jetzt hat sich ihr Gesundheitszustand jedoch verschlechtert, sie kann nicht mehr sprechen. Nach Einschätzung der Einrichtung benötige sie eine „nächtliche Versorgung durch eine Nachtwache“ und eine „durchgehende Assistenz am Tag“, da sie nicht mehr arbeiten könne. Darauf sei die Einrichtung nicht eingestellt.

Anwalt eingeschaltet

Erik H. sagt: „Meine Schwester ist eigentlich eine ganz Liebe. Wenn man sich intensiv um sie kümmert, gibt es keine Probleme.“ Er hat inzwischen einen Anwalt eingeschaltet, um sich gegen die Kündigung zu wehren. Ein Zurück in die Wohngruppe soll es für seine Schwester allerdings auf keinen Fall geben.

Vorübergehend wurde Karen H. in der Psychiatrie in Ochsenzoll untergebracht. Dort attestierten ihr die Mediziner „keinerlei auto- oder fremdaggressive Tendenzen oder Handlungen trotz eines erhöhten Reizaufkommens auf dieser Akutstation“. Ihr weiterer Verbleib sei „unvorteilhaft“, nachdem sie von einer Mitpatientin mit der Gabel angegriffen wurde. „Karen gerät von ihrem Wesen her leicht in eine Opferrolle“, sagt Erik H.

Hoher Betreuungsaufwand

Nach vielen Telefonaten erreichte er nun, dass seine Schwester in einer Spezialklinik in Heiligenhafen betreut wird. Doch auch dort darf sie maximal sechs Wochen bleiben. Entsprechend dringend sucht er nun nach einem freien Platz in einer Wohngruppe, die auf autistische Erkrankungen eingerichtet ist – bislang vergebens. Erik H. möchte unbedingt, dass seine Schwester im Großraum Hamburg bleiben kann, damit er sie weiter oft besuchen kann.

„Die Probleme, die Erik H. schildert, kennen wir nur allzu gut“, sagt Maria Kaminski, Vorsitzende des Bundesverbands zur Förderung von Menschen mit Autismus. Gerade für Erwachsene mit frühkindlichem Autismus sei es enorm schwierig, eine geeignete Wohngruppe zu finden: „Viele Einrichtungen für Menschen mit einer Behinderung scheuen den hohen Aufwand dieser Betreuung.“ Entsprechend oft versuchen Eltern in Eigenregie, eine Wohngruppe zu gründen.

Eine Lösung könnte aus Sicht von Maria Kaminski allerdings die Unterbringung in einer Wohngemeinschaft für Menschen sein, die an Demenz erkrankt sind: „Eine kanadische Studie hat gezeigt, dass sich Menschen mit frühkindlichem Autismus in einer solchen Wohngemeinschaft wohlfühlen.“

Wer eine geeignete Wohngruppe kennt, kann Erik H. unter dieser Mail erreichen: wohinmitmeinerschwester@gmx.de