Hildesheim. „Meine gute Nachricht des Jahres“ – Teil 3: Maybritt Klaß ist schwer krank, blickt aber optimistisch nach vorn.

Hauptsache gesund. Das wünschen sich die Menschen für sich und ihre Familie. Maybritt Klaß ist eine lebensfrohe junge Frau, sie studiert Biologie, kocht, backt und liest gern. Gesund ist die 18-Jährige nicht. Sie leidet an einer seltenen Form von fortschreitendem Muskelschwund, die bisher als unheilbar galt. Für Maybritt und ihre Familie in Hildesheim war es daher eine „supergute Nachricht“, dass in diesem Jahr endlich ein Medikament auf den Markt kam, das auf Besserung hoffen lässt. „Wir freuen uns riesig“, sagen Eltern und Tochter. Und Maybritt strahlt, weil sie schon Erfolge sieht: Bei einem Treffen mit Freunden konnte sie neulich eine Stunde stehen, ohne erschöpft zusammenzusacken: „Die lange Zeit war mir nicht einmal aufgefallen.“

Der Grund für Maybritts Schwäche und Bewegungseinschränkung heißt SMA. Die spinale Muskelatrophie ist eine ererbte neuromuskuläre Erkrankung, die kaum bekannt ist. Ein Gen­defekt führt dazu, dass das für den Muskelaufbau notwendige Eiweiß nicht produziert wird. Nach Angaben der Deutschen Muskelstiftung gibt es in Deutschland rund 5000 Betroffene in allen Altersgruppen, ungefähr zwei Millionen Deutsche sind Überträger – in der Regel ohne davon zu wissen.

Diagnose war ein Schock

So war es auch bei Thomas und Tanja Klaß aus Hildesheim, und deshalb dauerte es Jahre, bis die SMA-Erkrankung der jüngsten Tochter erkannt wurde. „Lange galt ich einfach als ungeschicktes und bewegungsfaules Kind“, sagt die schlanke junge Frau mit den langen dunklen Haaren. Die Diagnose war schließlich ein Schock: „Es hieß, das wird immer schlimmer und lässt sich nicht aufhalten“, sagte Tanja Klaß. Immerhin wurde bei Maybritt eine besonders leichte Form der SMA festgestellt. Schwer Erkrankte müssen oft schon als Babys künstlich beatmet werden, können nicht schlucken, nicht sitzen und sich nicht selbst fortbewegen.

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Maybritt fährt mit dem E-Rad zur Universität und zum Einkaufen. Gehen kann sie nur mühsam und dreht die Knie dabei etwas nach innen, aber sie kommt auch so alleine voran – kürzlich beim medizinischen Sechs-Minuten-Gehtest genau 375 Meter. Was sie gefreut habe: Zwei Jahre zuvor war das Testergebnis fast identisch gewesen. „Das heißt, ich bin seit zwei Jahren stabil.“

Erfolge sind verblüffend

Die Familie führt das auf die Schweizer Arzneistudie zurück, an der Maybritt in dieser Zeit teilgenommen hat. Derselbe Wirkstoff steckt nun in dem Medikament einer amerikanischen Firma, auf dessen Zulassung Betroffene fieberhaft gewartet hatten. Im Juni war es so weit: Die Europäische Kommission genehmigte „Spinraza“. „Wir konnten es kaum fassen, dass es plötzlich so schnell ging“, sagt Thomas Klaß. „Wegen der großen Behandlungserfolge in den Studien war das Verfahren verkürzt worden.“

Berichte unter anderem im „Ärzteblatt“ legen nah, dass die Erfolge tatsächlich verblüffend sind. Gleichzeitig waren keine schlimmen Nebenwirkungen zu erkennen. Das Medikament wird zwischen zwei Lendenwirbel gespritzt, in der Regel alle vier Monate. Die Genforschung hat ihren Preis: Fast 110.000 Euro kostet eine Spritze. Die Familie sei sehr dankbar, dass in Deutschland seit der Zulassung die Krankenkassen das Medikament zahlen, betont Maybritts Vater.

Maybritt Klaß
studiert Biologie
in Hannover (18).
Sie leidet an
fortschreitendem
Muskelschwund
Maybritt Klaß studiert Biologie in Hannover (18). Sie leidet an fortschreitendem Muskelschwund © Samantha Franson

Im Herbst ist Maybritt nach Hannover gezogen und teilt sich dort in der Südstadt eine Wohnung mit zwei Freundinnen im ersten Stock. Am Biologiestudium interessieren sie besonders Neurologie und Genetik – „vor allem seltene Krankheiten.“

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Die Aktion

„Meine gute Nachricht des Jahres 2017“ ist ein Projekt des Hamburger Abendblatts mit dem Radiosender NDR Info, der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“, den „Kieler Nachrichten“ und der „Ostsee-Zeitung“ in Rostock. Alle Medien hatten ihre Leser und Hörer aufgerufen, schöne, außergewöhnliche Erlebnisse einzusenden, von denen eine Jury sechs ausgewählt hat. Diese können Sie bis Sonnabend täglich in den Zeitungen lesen sowie bei NDR Info um 7.50 und 9.50 Uhr und auf abendblatt.de/gutenachricht hören.