Berlin. Eine DGB-Studie kritisiert den hohen Anteil von befristeten Arbeitsverhältnissen. Vor allem Frauen und junge Menschen sind betroffen.

Norbert Blüm, der ewige CDU-Sozialminister unter Bundeskanzler Helmut Kohl, war bekannt für seine flotten Sprüche. Einer ging so: „Lieber befristet in Arbeit als unbefristet arbeitslos.“ Mit dieser Argumentation verteidigte Blüm damals die Einführung von befristeten Arbeitsverträgen. Im Jahr 1985 war das. Die Wirtschaft lief gut, aber die Zahl der Arbeitslosen war mit gut zwei Millionen für die Verhältnisse der alten Bundesrepublik ziemlich hoch.

Blüm und Kohl wollten die Zahl drücken und ließen befristete Arbeitsverträge auch ohne sachlichen Grund zu: „Mehr Flexibilität macht Neueinstellungen möglich“, formulierte Kohl den Gedanken dahinter. Die Wirkung der Maßnahme war damals begrenzt. Trotzdem blieb die sogenannte „sachgrundlose Befristung“ bis heute erhalten. In den 30 Jahren, die seither vergangen sind, wurden befristete Jobs bei Arbeitgebern immer beliebter.

Befristung ohne Sachgrund

Inzwischen haben 3,2 Millionen Menschen nur ein befristetes Arbeitsverhältnis, so steht es in einer aktuellen Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), die dieser Redaktion vorliegt. Das seien gut neun Prozent aller Beschäftigten. Mehr noch: 42 Prozent und damit fast die Hälfte aller neu abgeschlossenen Arbeitsverträge, würden zunächst nur befristet abgeschlossen, heißt es in der Studie weiter.

Vor gut 30 Jahren, als die Befristung ohne Sachgrund – also ohne dass beispielsweise Ersatz für kranke oder schwangere Kollegen gesucht wird – eingeführt wurde, waren gerade einmal zwei Prozent aller neuen Stellen befristet.

Eine Steigerung von zwei auf mehr als 40 Prozent, das ist mehr als zwanzigmal so viel in rund 30 Jahren. „Wir reden von einem Massenphänomen, das nicht hinnehmbare Ausmaße angenommen hat“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach dieser Redaktion. „Es kann nicht sein, dass viele Arbeitgeber befristete Arbeitsverträge als ausgedehnte Probezeit ansehen.“ Buntenbach forderte die Abschaffung der sachgrundlosen Beschäftigung: „Der Gesetzgeber darf hier nicht länger tatenlos zusehen.“

Unterschiede im Einkommen

Den Arbeitnehmern brächten Befristungen Nachteile, weil sie sich in permanenter Unsicherheit befänden, sagt Buntenbach. Aus Angst, einen möglichen Anschlussvertrag zu gefährden, würden sie aber nicht protestieren. Die DGB-Zahlen zeigen einige Trends sehr deutlich. Trend Nummer eins: Frauen bekommen häufiger befristete Stellen als Männer. Im gesamtdeutschen Durchschnitt erhalten 38 Prozent der Männer auf einer neuen Stelle einen befristeten Arbeitsvertrag. Bei Frauen sind es dagegen 47 Prozent.

Trend Nummer zwei: Je älter die Beschäftigten sind, desto eher haben sie einen unbefristeten Job. Während etwa jeder vierte 20- bis 25-Jährige nur befristet eingestellt wird, liegt die Quote im Alter zwischen 45 und 50 Jahren bei weniger als fünf Prozent. Ab 60 Jahren nimmt die Zahl der befristeten Jobs wieder zu. Schließlich, und das ist Trend Nummer drei, verdienen befristet Beschäftigte nach Angaben des DGB weniger als ihre unbefristeten Kollegen. Je länger die befristete Beschäftigung andauere, desto größer werde der Einkommensunterschied, heißt es in der Studie.

Schlecht laufende Wirtschaft

Grund dafür sei, „dass befristet Beschäftigte seltener Einkommenszuwächse erreichen“. Bei den Einstiegsgehältern seien die Gehaltsunterschiede noch gering. Wer einen Zeitvertrag habe, profitiere seltener von Lohnerhöhungen, Aufstiegs- und Weiterbildungsangeboten, kritisiert DGB-Frau Buntenbach. Besonders problematisch ist nach Meinung der Gewerkschaften, die schon vor 30 Jahren gegen die Befristung protestierten, dass in Zeiten guter Konjunktur viele neue befristete Stellen geschaffen werden, die bei schlechter laufender Wirtschaft wieder verloren gingen.

„Arbeitsmarktpolitisch besteht das Risiko, dass es immer wieder dieselben Arbeitnehmer sind, die zwischen Arbeitslosigkeit und befristeter Beschäftigung hin und her wechseln“, heißt es in der Studie. Zwischen zehn und 15 Prozent der nur auf Zeit Beschäftigten stünden nach einem Jahr ohne Job da. Von Arbeitnehmern mit unbefristetem Vertrag seien nur fünf Prozent nach einem Jahr arbeitslos. Arbeitsmarktforscher sehen befristete Stellen weniger kritisch.

Angebot an die Jugend

In einer aktuellen Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) heißt es, dass fast 40 Prozent der befristet Eingestellten übernommen werden. Auch sei der Anteil der befristeten Stellen seit einigen Jahren wieder leicht rückläufig, wenn auch auf hohem Niveau.

Einen Verbündeten haben die Gewerkschaften in SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz gefunden. Er hat vor wenigen Wochen angekündigt, die Befristung von Jobs einzuschränken: „Das kann nicht unser Angebot an die Jugend sein.“ Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sieht das genauso und versprach: „Sachgrundlose Befristungen gehören abgeschafft!“