Hamburg. 25 Prozent mehr Fälle in Hamburg. Zuletzt wurden drei Frauen in Hinterhalte gelockt. Bislang konnten keine Täter ermittelt werden.

Als eine Masche, die besonders perfide ist, weil die Opfer geradezu paralysiert werden, bezeichnet der Kriminologe Wolf-Reinhard Kemper die Methode, Frauen mit Hilferufen anzulocken. Innerhalb weniger Wochen waren in Hamburg drei Frauen in eine Falle gelockt und vergewaltigt worden. „Sie werden in einem Bruchteil einer Sekunde vom Helfer zum Opfer. Wenn sie die wahre Situation erkennen, löst das bei ihnen eine Schocksituation aus, in der sie besonders wehrlos sind.“

Am 7. Januar hatte die Verbrechensserie begonnen. In St. Georg wurde eine Krankenschwester, die nach Dienstschluss zu ihrem Wagen wollte, durch Hilferufe in den Lohmühlenpark gelockt. Dort fielen mehrere Männer über sie her. Am 8. März traf es eine Krankenschwester auf dem Gelände des Krankenhauses Altona. Auch sie wollte zu ihrem Auto. Auch sie wurde durch Hilferufe in eine Falle gelockt.

Ähnliche Tat in Ohlstedt

Und am Dienstag wurde bekannt, dass es bereits am 13. Januar in Ohlstedt eine ähnliche Tat gegeben hatte: Eine Autofahrerin bemerkte am Straßenrand einen Mann, der gestikulierte, als ob er Hilfe benötigte. Als die 54-Jährige ihren Wagen stoppte und ausstieg, kam ein Komplize, zerrte sie in einen Wald und vergewaltigte sie. Die schwerst traumatisierte Frau entschloss sich erst jetzt, die Tat anzuzeigen. Die Frauen beschrieben die Täter mal als Südosteuropäer oder Araber, mal als Schwarzafrikaner, mal als akzentfrei Deutsch sprechend. Ob es Verbindungen zwischen den Verbrechen gibt, untersucht das für Sexualdelikte zuständige LKA 42.

Dass Frauen durch vermeintlich hilfesuchende Männer angelockt werden, ist neu. Vergleichbare Fälle gab es in den vergangenen Jahren nicht. Dabei ist die Masche laut Kemper geradezu auf Frauen zugeschnitten. „Frauen sind grundsätzlich eher dazu bereit, zu helfen, als Männer.“ Das bestätigt auch Kristina Erichsen-Kruse. „Frauen, gerade wenn sie Kinder haben, rennen in so einer Situation einfach los, um zu helfen“, sagt die stellvertretende Landesvorsitzende der Opferhilfeorganisation Weisser Ring.

Gefahr für Frauen ist in Hamburg gestiegen

Tatsächlich ist die Gefahr für Frauen in Hamburg größer geworden. Die Zahl der Vergewaltigungen und schweren sexuellen Nötigungen ist im vergangenen Jahr nicht nur um rund 25 Prozent auf 181 Taten gestiegen. Es gab auch einen neuen Trend: Während in der Vergangenheit die Mehrzahl der Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen als Beziehungstat galt, wurden im vergangenen Jahr mehr Frauen Opfer, die ihren Peiniger vorher nicht kannten und meistens auf der Straße überfallen wurden.

Der Lohmühlenpark in St Georg wurde Tatort einer Vergewaltigung
Der Lohmühlenpark in St Georg wurde Tatort einer Vergewaltigung © Andreas Laible | Andreas Laible

Ein Grund dafür sind die „Silvesterübergriffe“. Sie sind Teil der insgesamt 50 Taten, bei denen ganze Gruppen von Männern über Frauen herfielen. Nur neun dieser Fälle gelten als aufgeklärt. Zum Vergleich: Bei den 84 Taten, die als Beziehungstat galten, beträgt die Aufklärungsquote fast 87 Prozent.

Betroffene Frauen sind schwer traumatisiert – ein Leben lang

Die Folgen für Frauen, die Opfer einer schweren Sexualstraftat werden, sind gravierend. „Sie sind schwer traumatisiert“, sagt Erichsen-Kruse. „Lebenslang.“ Zu den drei Opfern sagt sie: „Sie werden sich beschmutzt, erniedrigt, verletzt und auch schuldig fühlen. Schuldig, weil sie in einer Situation so reagiert haben, wie eigentlich jeder reagiert hätte, und helfen wollten.“

Der Weisse Ring betreut betroffene Frauen. Das Fachdezernat für Sexualdelikte im Landeskriminalamt schätzt die Arbeit der Opferhilfeorganisation. Die Beamten bieten immer an, den Kontakt zum Weissen Ring herzustellen. „Ist die Frau einverstanden, bekommt sie unsere Nummer oder, was oft vorkommt, wir bekommen die Nummer der betroffenen Frau, damit sie nicht den ersten Schritt gehen muss“, sagt Erichsen-Kruse. „Man kann sagen, dass eine professionelle Betreuung möglichst früh in Anspruch genommen werden soll“, weiß Erichsen-Kruse. Dann sei die Chance, die Tat zu überwinden, größer. „Sie wird aber immer das Opfer ein Leben lang belasten.“ Zudem bestehe immer die Gefahr, dass die traumatischen Erfahrungen durch „Schlüsselreize“ wieder hochkommen. „Das kann ein Bericht über eine ähnliche Tat sein. Es können bestimmte Geräusche oder Situationen sein, und schon hat das Opfer die Tat wieder vor Augen“, sagt Erichsen-Kruse.

Das Gelände der Asklepios Klinik in Altona
Das Gelände der Asklepios Klinik in Altona © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Christian Charisius

Betreut werden nicht nur die vergewaltigten Frauen selbst. Auch ihr nächstes Umfeld, meistens Mann oder Kinder, nehmen oft die Hilfe des Weissen Rings in Anspruch. „Manchmal leiden sie noch mehr als die Frau selbst“, weiß die Opferhelferin. „Sie sind dann einfach überfordert und wissen nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollen.

Die Betreuung, egal für Opfer oder Angehörige, sei immer „sehr intensiv“. „Wir begleiten sie überall dorthin, wo sie es brauchen“, sagt Erichsen-Kruse. Oft gehen Helfer vom Weissen Ring auch mit zum Prozess, dessen Ende wie ein vorläufiger Schlussstrich für die Opfer sein kann.

Bislang konnte in den aktuellen Vergewaltigungsfällen kein Verdächtiger ermittelt werden.
Die Täter aus dem Lohmühlenpark wurden vom Opfer als fünf 20 bis 30 Jahre alte Schwarzafrikaner beschrieben. Unter ihnen war auch ein mehr als 180 Zentimeter großer Mann, der ein grünes Gewand mit glitzernden Nähten trug. Er hatte helle Punkte auf beiden Wangen. Die Tat ereignete sich am 7. Januar gegen 21.45 Uhr.


Der Täter, der in Altona am 8. März gegen 21.30 Uhr eine Krankenschwester vergewaltigte, ist größer als 1,80 Meter. Er sprach akzentfreies Deutsch.


Die beiden Männer, die am Lottbeker Weg/Ecke Ellerbrookswisch am 13. Januar gegen 21.30 Uhr eine Frau missbrauchten, werden als 25 bis 30 Jahre alte Südosteuropäer oder Araber beschrieben. Sie waren dunkel gekleidet, trugen dunkle Wollmützen, sprachen gebrochen Deutsch.


Hinweise an die Polizei in allen drei Fällen unter Telefon (040) 428 65 67 89.