Istanbul. Der türkische Parlamentspräsident will die Trennung zwischen Kirche und Staat beenden. Nicht nur die Opposition kritisiert die Pläne.

In der türkischen Regierungspartei AKP gibt es Streit über die Rolle der Religion in der geplanten neuen Verfassung. Parlamentspräsident Ismail Kahraman sprach sich am Montagabend für eine islamische Verfassung aus. Der Politiker der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP forderte ein Ende der Trennung zwischen Staat und Religion, die auf Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk zurückgeht. „Der Begriff des Säkularismus sollte nicht in der neuen Verfassung stehen“, sagte Kahraman nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu in Istanbul. „Wir sind ein islamisches Land. Deshalb sollten wir eine religiöse Verfassung schaffen.“ Die Äußerung Kahramans löste Proteste aus.

Parlamantspräsident Ismail Kahraman eckt mit seiner Forderung auch in der Erdogan-Partei AKP an.
Parlamantspräsident Ismail Kahraman eckt mit seiner Forderung auch in der Erdogan-Partei AKP an. © imago/Xinhua | imago stock&people

Der Chef der Kommission für die neue Verfassung und AKP Abgeordnete Mustafa Sentop wies solche Überlegungen nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Dienstag zurück. Im neuen Verfassungsentwurf sei der Säkularismus vertreten, sagte er demnach vor Journalisten in Ankara. Über dessen Streichung aus dem Verfassungstext sei nicht diskutiert worden. „Der Parlamentspräsident ist unabhängig, er spricht nicht im Namen einer Partei“, fügte Sentop hinzu.

Oppositionsführer kritisiert Vorschlag

Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu kritisierte die Forderung des Parlamentspräsidenten. „Säkularismus ist ein Prinzip des sozialen Friedens“, schrieb der Chef der säkularen Mitte-Links-Partei CHP im Kurznachrichtendienst Twitter. „Es sollte uns nicht verwundern, dass diejenigen, die es schon lange auf unseren sozialen Frieden abgesehen haben, dieses Prinzip ignorieren.“

Vor dem Parlamentsgebäude in Ankara protestierte eine Gruppe Demonstranten gegen die Äußerungen Kahramans, wie die Nachrichtenagentur DHA berichtete. Die Polizei habe Tränengas eingesetzt und mehrere Menschen festgenommen, meldete DHA ohne weitere Details zu nennen.

AKP will Präsidialsystem einführen

Die aus dem politischen Islam kommende Regierungspartei bemüht sich seit einiger Zeit, das nach dem Militärputsch 1980 beschlossene Grundgesetz des Landes zu ersetzen. Kritiker befürchten, dass eine neue Verfassung dem zunehmend autokratisch regierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdogan weitere Befugnisse verleihen könnte. Erdogan will aus der Parlaments- eine Präsidialdemokratie machen.

Für ein Referendum über eine neue Verfassung benötigt die Partei eine 60-Prozent-Mehrheit von 330 der 550 Abgeordneten im Parlament in Ankara. Dafür fehlen der AKP 13 Stimmen.

Die Türkei hatte ihre ursprüngliche Verfassung von 1924 vier Jahre später geändert und den Islam als Staatsreligion gestrichen. Historiker betrachten diesen Schritt als Grundstein für die moderne, demokratische und säkulare Türkei. Die derzeitige Verfassung enthält keine Staatsreligion und beruft sich auch nicht auf Allah. Die meisten Türken sind sunnitische Muslime, dazu kommen etwa 20 Prozent Aleviten. Außerdem leben in der Türkei etwa 100.000 Christen und 17.000 Juden. (dpa/rtr)